Markenmythos Underberg
Was für ein cooles OMR-Podcast-Interview mit Christiane Underberg. Kann mich nicht entscheiden, ob ich den Ruhrpott-Akzent oder das knuffige Kichern sympathischer fand. Grün war schon vor Underberg ihre Lieblingsfarbe, Jägerin ist sie auch; ich würde sagen, da passt einiges zusammen.
Bislang hatte ich ehrlicherweise keine klare Vorstellung von der Marke – grün, hochprozentig, irgendwas mit Kräutern und dieses eingepackte Fläschchen, so als würde es sich verstecken wollen. Die Packung hatte sich dann auch ziemlich gut im Regal neben der Supermarktkasse versteckt.
Meine Meinung: Für einen qualitativ hochwertigen Kräuter-Digestiv in etwas zweifelhafter Gesellschaft 😅. Könnte man aus Markensicht überdenken, wenn man weg von einem gewissen Image möchte – auch wenn es mit der Gewohnheit dieser Kundengruppe brechen würde.
Natürlich drehte sich das Gespräch auch um das Geheimrezept und das „Semper idem®“ Extraktionsverfahren der Kräuterwirkstoffe, die Essenz der Marke. In diesem OMR-Youtube-Video ab Minute 16.
Mein Lieblings-Moment: Philip Westermeyer gerät verbal ins Straucheln. Genau genommen sieht man auf dem Video, dass ihm die Kinnlade runterklappt.
Respekt, „Frollein" Underberg.
Er kann nicht glauben, dass nebst Christiane nur – und hauptsächlich – Tochter Hubertine mit drei eingeweihten, vertrauten Geistlichen die Zusammenstellung des Kräutermixes händisch vornehmen. Nach einem Rezept, das sie nur mündlich untereinander weitergeben. Zusammen reisen kann die Familie nicht; wie das so ist, wenn geheime Dinge nur in wenigen Köpfen stecken.
Ab unter die Haube – die Herstellung ist Handwerkskunst
Philip: „Sie mischen das SELBER??“
„Händisch, natürlich. Wir sind Handwerker.“ […]
„Aber Ihr Mann kann ja nicht mehr mixen.“
„Nö, brauch er auch nicht. Der kann sich doch dazusetzen und kontrollieren, ob die Anderen das richtig machen.“
„Aber, aber … wie viel muss man denn da zusammenmischen, um 100 Mio. Liter da zu produzieren? […] Sie sind 83 Jahre alt!?“
„JA UND?“ […]
„Und die [Tochter] ist mehr oder weniger die Einzige, die … “
Zack, Christiane: „Wir sind die Kräuterhexen, ja.“
Ein fassungsloser Philipp: „FÜR DIE GESAMTE PRODUKTION???“
„Ja!“
Da hatte se mich 🤩. Eine echte Macherin.
Ich also bei Sturm und Regen ab zum Edeka: Martha on a mission.
Ziemlich durchnässt, aber erfolgreich. Da auch ich eine hands-on Macherin bin, sieht man im Bild noch Teile der Ausbeute vom Baumarkt-Abstecher. Ein ganz normaler Nachmittags-Einkauf 🤭 .
Geschmacklich nicht ganz meins, wobei ich sagen muss, dass die Kräuter wirklich krass und nuanciert waren, manche konnte ich geschmacklich nicht mal zuordnen. Aber zurück zur Marke.
Aus Markensicht aus vielerlei Gründen spannend
Oldschool, aber dennoch gut im Heute angekommen
Underberg hat den Spagat zwischen Tradition und Moderne gut gemeistert, sich selbstähnlich weiterentwickelt.
Empfohlen von LinkedIn
Wie die meisten Familienunternehmen sind auch die Underbergs neugierig, zukunftsmutig und innovationsfreudig. Tatsächlich sehr umtriebig: Burton, Wacken, SIEGFRIED Gin uvm., hört einfach rein, es lohnt sich.
Es ging auch um den Versuch, Underberg-Bonbons auf den Markt zu bringen.
Vom Kräuter-Digestiv zum Bonbon?
Die Idee: Kräuter-Bonbons für den Magen bzw. eben als Verdauungsunterstützung. Bonbons für alle, die keinen Alkohol trinken. Kompakt zum mitnehmen, wie die Fläschchen auch.
Hat unter der Marke Underberg nicht funktioniert. Die Bonbon-Idee wurde ihnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht abgekauft.
Ich hoffe natürlich, die waren Unterberg-stilecht grün und in Strohpapier verpackt, auch wenn das letztlich nicht geholfen hat. Scheinbar gibt es noch Restexemplare, würde mich ja schon interessieren!
„Wir müssen irgendwas falsch gemacht haben,“ ist ihr klar.
Ich bin natürlich über die Hintergründe nicht im Bilde, aber mein markenstrategischer Erklärungsversuch wäre dieser.
Warum Bonbons unter der Marke Underberg nicht funktionieren
Marken nutzen, was bereits im Kopf ist. Nutzen, was Menschen mit der Marke verbinden. Nutzen die Schublade, in die sie gesteckt werden.
Aus dieser Schublade können Marken nicht einfach so rausspringen, auch wenn der Impuls besteht, öfter mal was Neues ausprobieren zu wollen. Experimentieren ja, aber innerhalb der gegebenen Markengrenze.
Wo genau die verläuft und wie weit die gedehnt werden kann, darüber muss man sich intern Gedanken machen (strategische Positionierung) und mit der externen Markenwahrnehmung abgleichen. Qualitative Gespräche führen, Fokusgruppen zuhören oder auf MaFo zurückgreifen, um Insights zu gewinnen.
Meine These:
Vermutlich liegt die Glaubwürdigkeitsgrenze der Marke nicht bei „Kräutern“ an sich. Sondern bei „Kräutern in Getränkeform“ - jedenfalls in meinem Kopf. Und für einige Trinkfeste vielleicht eher bei „Kräuter + Alkohol“.
Kompaktes Format gehe ich mit, aber vielleicht besser in flüssigen Form. Nicht als festes Bonbon. Ich meine, es gäbe inzwischen Versuche, eine Art Getränke"kapsel" für Trinkwasser zu entwickeln, die sich im Mund auflöst; das wäre ggf. ein Ansatz fürs Format.
Fazit:
In der Schublade BONBON fehlt Underberg schlicht die Glaubwürdigkeit. Sich mit einem Player aus dieser Kategorie zusammen zu tun als limited edition - hätte vielleicht besser geklappt.
Ausblick in die Zukunft
Vor dem Hintergrund zunehmender Attraktivität von 0,0 % Produkten wäre eine alkoholfreie Underberg-Edition mit derselben Wirkung theoretisch eher denkbar. Darüber sprach Philipp im zweiten Teil des Podcasts noch mit Michael Söhlke, dem Vorstandssprecher der Underberg Gruppe.
Alkoholfrei? Nicht für die Kernkundschaft, aber um die geht es bei Markendehnungen oder Neuproduktentwicklung nicht unbedingt.
Um NEUE Zielgruppen zu erschließen, wäre das gar nicht so blöd, denn die haben vermutlich – so wie ich – noch gar kein gefestigtes Markenbild in ihren Köpfen. Heißt, man könnte hier ein anderes Bild prägen und die Marke neu aufladen. Gegebenenfalls eine glaubwürdigere Marken-Ausdehnung als das Bonbon.
Die allseits beliebte Veggie-Wurst von Rügenwalder klappte ja auch unter der bis dato fleischlastigen Marke Rügenwalder und hat sich stetig zum Verkaufsschlager entwickelt.
Zeiten ändern sich und Marken müssen mit der Zeit gehen, um relevant zu bleiben.
Allerdings: Bei allen Innovationsbestrebungen nicht vergessen, immer schön den eigenen Markengrenzen treu zu bleiben.
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Über mich:
Ich bin wissbegierige Markenstrategin und schreibe als Co-Gründerin und Geschäftsführerin bei Marken von Morgen leidenschaftlich gerne über Markenthemen. Ursprünglich als Ruhrpott-Kind aufgewachsen, hat es mich vor über drei Jahren ins schöne München verschlagen.
In unserer Strategieberatung unterstützen wir ambitionierte, charakterstarke Unternehmer:innen bei allen Themen der persönlichkeitsbasierten Marken- & Unternehmensentwicklung.
Und wenn ich mir nicht Gedanken mache (Berufskrankheit) oder meiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgehe, hänge ich in Baumärkten rum und treibe daheim meine DIY-Bauprojekte voran 👩🏼🔧.
Schreibt schneller als sein Schatten! Olivenölexperte, Mitglied im Deutschen Olivenöl Panel, Jury-Mitglied bei internationalen Wettbewerben, Organisator Erlebniswelt Olivenöl der Biofach | Member German Olive Oil Panel
11 Monatemein kleiner Liebling nach dem Essen! Tolle Marke!
Ich bewahre Marken vor Ignoranz, Freelance Copy / Concept
12 MonateVielleicht lag‘s auch an der Kampagne für Underberg-Bonbons? Kenne die nicht.
Fun-loving brand strategist passionate about supporting entrepreneurs who strive to change the world for the better.
12 MonateSarah!! 😁 🍸
Fun-loving brand strategist passionate about supporting entrepreneurs who strive to change the world for the better.
12 MonateBei alkoholfreien Alternativen fallen mit natürlich direkt Stella-Oriana Strüfing mit Laori Drinks oder FREEDL von Maria-Elisabeth Laimer ein.
Expertin für Markenaufbau und Marketingstrategien | 5 Jahre erfolgreich als Freelancerin & Interim Managerin | Projekte gewinnen, ohne Kaltakquise
12 MonateDiese Gedanken kreisen seit der letzten OMR in meinem Kopf, wo Underberg mit seinem Magic Herbst sehr präsent war. Mein erster Ansatz, um eine neue Zielgruppe zu gewinnen, wäre definitiv auch die 0,0% Schiene gewesen, zudem meine Marken Assoziation bis dazu zu Underberg weniger glamorös war/ ist.