Metriken: Auf dem richtigen Weg vs. sind wir schon da?
Wirkungen: Wie war das noch gleich?
So hatten wir uns die agile Zukunft vor 20 Jahren nicht vorgestellt: Agilität scheint heute vielfach Selbstzweck; das macht man halt so. Wir waren von Agilität begeistert, weil wir Wirkungen erzielen konnten: bessere Produkte und Services, die die Kunden lieben und von denen das eigene Unternehmen profitiert.
Dieser Wirkungsfokus ist mit der wachsenden Verbreitung von Agilität leider in vielen Bereichen verloren gegangen. Folglich bleiben viele Unternehmen mit ihren agilen Implementierungen deutlich hinter den Möglichkeiten zurück.
Um das agile Potenzial auszuschöpfen, müssen wir immer den Fokus auf die Wirkungen behalten und die erstellten Ergebnisse (Software oder sonstige Produkte) als Mittel zum Zweck begreifen.
Detailliertere Beschreibungen finden sich z.B. in diesen LinkedIn-Artikeln:
Vom Ergebnis zur Wirkung mit Wirkketten von Markus Gärtner
Von Business-Wirkungen zu Leistungsfähigkeiten von Markus Gärtner
Die Geschichte von Metriken ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Obwohl die Intention von Metriken häufig einen unterstützenswerten Kern beinhaltet, kann das Arbeiten mit Metriken zu großen Mißverständnissen führen, wenn dieser Kern in Vergessenheit gerät - und dann passieren rund um missverstandene Metriken doch immer wieder allerlei Kuriositäten. In Bezug auf Organisations-Veränderung haben wir in vorherigen Artikeln in Bezug auf Wirkketten bereits die Aspekte von business-relevanten Wirkungen und den zu entwickelnden Leistungsfähigkeiten in Organisationen auseinandergesetzt. Für eine potentiell länger dauernde Organisations-Veränderung ist neben der reinen Zielsetzung auch der Punkt relevant, wann wir die Organisation denn gut-genug-für-den-Moment entwickelt haben, und zur objektiven Einschätzung lässt sich eine Diskussion zu Metriken dabei nicht vermeiden.
Für die weitere Diskussion führen wir unser bisheriges Wirkketten-Beispiel fort. Zusammengefasst versucht unsere fiktive Firma die Time-to-Market für ihre Produkte zu verkürzen. Bei der Betrachtung der Leistungsfähigkeiten hat die Firma bereits identifiziert, dass es nicht ausreichend sein wird, Agilität in der IT einzuführen, da die Wartezeiten auf Antworten von der Business- oder Fachseite einen Großteil der Entwicklungszeit ausmacht. Deswegen hat die Firma als weiteren Teil der Veränderung identifiziert, dass es den Business-Bereich im engeren Kontakt mit der IT sehen möchte.
Empfohlen von LinkedIn
Ausgehend von der Wirkung könnten wir versuchen, eine Metrik zu formulieren, um herauszufinden, ob wir die Wirkung schon erzielen können. Im Beispiel würden wir uns relativ schnell einigen können, dass es für unsere fiktive Firma relevant ist, von derzeit 6 Monaten Time-to-Market für neue Business-Ideen zu 2 Monaten Time-to-Market zu kommen. Sobald wir uns auf dieses Ziel geeinigt haben, etablieren wir regelmäßige Messungen der aktuellen Time-to-Market für alle Business-Ideen, an denen die Teams arbeiten. Außerdem gucken wir uns regelmäßig die Zahlen an. Wenn wir irgendwann bei 2 Monaten Durchlaufzeit von Idee bis “ausgeliefert” gelandet sind, können wir davon ausgehen, dass wir die Wirkung erfüllt haben.
Klingt soweit erstmal nachvollziehbar. Doch der Teufel steckt im Detail. Praktisch betrachtet starten wir ja bei 6 Monaten Durchlaufzeit. Das bedeutet, den ersten Realitätscheck, ob wir durch die Veränderung etwas verbessert haben, merken wir frühestens in einem halben Jahr. Gleichzeitig haben wir uns entschieden, Agilität in der IT einzuführen und den Business-Bereich enger mit der IT zusammenzubringen. Bei konkreten Schritten in diesen Bereichen wird die Time-to-Market Metrik in der Praxis wenig hilfreich sein, um gewünschte Effekte beurteilen zu können. Die Scrum-Einführung hat im täglichen Arbeitsleben eine größere Relevanz für die Beteiligten als die Verkürzung der Time-to-Market. Die Metrik auf Wirkungsebene alleine ist - nicht nur in der Wirkkette, sondern auch im täglichen Arbeiten - zu weit weg von der tagtäglichen Arbeit, so dass die Metrik für die von der Veränderung betroffenen Personen keine Orientierungshilfe geben dürfte.
Stattdessen würde unsere fiktive Organisation vermutlich Metriken suchen, die näher an der täglichen Arbeit liegen als die Wirkungs-Metrik, z.B. die Anzahl der Teams, die bereits nach Scrum arbeiten oder die Menge oder Rate der Interaktionen zwischen Business-Bereich und den jeweiligen Teams. Der Unterschied zwischen diesen zwei Ebenen von Metriken nennt man auch den Unterschied zwischen Leading und Lagging Indicators. Lagging Indicators lassen sich immer erst mit einem zeitlichen Verzug erheben, so dass sie die Frage beantworten, ob wir bereits an einem angestrebten Ziel angekommen sind. Leading Indicators im Gegensatz dazu sollen es ermöglichen, unterwegs sehen zu können, ob man sich noch in die Richtung des Ziels bewegt. Beide Metrikformen haben ihren Nutzen.
An dieser Stelle eine dringliche Warnung: Wenn die Betroffenen lediglich auf die Leading Indicators achten und das Ziel unterwegs aus den Augen verloren haben, dann können leider nur zu oft sehr seltsame Dinge geschehen. Nehmen wir an, wir messen den Gütegrad der Scrum-Einführung allein an der Velocity oder Geschwindigkeit der Teams in Story Points pro Sprint, dann hat dieser Leading Indicator sicherlich einen Bezug dazu, die Time-to-Market zu verkürzen. Genauso könnten wir die Anzahl von Kontaktpunkten zwischen IT und Business auf täglicher Ebene erheben. Wenn bei all diesen Zahlen aber das Ziel, spricht die angestrebte Wirkung aus den Augen verloren wird von auch nur einer kleinen Menge an Beteiligten, dann können schnell so Dinge passieren, wie mehrmals tägliche gemeinsame Kaffeetreffen zwischen IT und Business oder dass die Entwickler:innen einfach ihre Story Points bei den Schätzungen verdoppeln, dadurch die Velocity doppelt so hoch aussieht, die Organisation selbst aber weiterhin auf der Stelle tritt und der Fortschritt der Veränderung nur vorgegaukelt ist.
Dabei klingt die Lösung, um diese Fallen zu vermeiden, so simpel, doch wird so häufig mehr schlecht als recht gemacht: immer wieder an die Intention hinter den Metriken erinnern, die Motivation für die Verbesserungsmessungen und das angestrebte Ziel thematisieren und so der Sub-Optimierung auf einen leading indicator vorbeugen. Wie bei allen Veränderungen in Organisationen gilt auch hier die Daumenregel: Wenn man das Gefühl hat, genug kommuniziert zu haben, hat man garantiert zu wenig kommuniziert.
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