Mythos #11: Eine Familienverfassung nutzt den Beratern am meisten
Gehört das Familienvermögen nicht mehr nur einem engen, aufeinander eingeschworenen und von gleichen Zielen und Werten geleiteten Kreis von Familienmitgliedern, wird diesen meist empfohlen, bestimmte Vereinbarungen und Regeln in einer Familienverfassung oder -charta niederzulegen. Dies umso dringlicher, je größer der Kreis der Familienmitglieder ist oder je heterogener er hinsichtlich Einstellungen, Vorbildung und Prägung ausgebildet ist. Dabei ist die Familienverfassung nur der Schlusspunkt eines zu ihrer Entwicklung zu durchlaufenden inhaberstrategischen Prozesses, in dem möglichst alle für das gedeihliche Zusammenwirken der Familie relevanten Fragen besprochen werden. Da dieser Prozess einer gewissen Steuerung bedarf und nicht selten einige persönliche oder familäre Konflikte zutage fördert, wird empfohlen, ihn durch einen erfahrenen Familienberater steuern zu lassen.
Der Nutzen für den Berater liegt dabei klar auf der Hand. Aber was nutzt der Prozess der Familie? Braucht sie blumige Formulierungen hehrer Ziele? Kam sie nicht bisher auch ohne die Diskussion all dieser Fragen klar? Ist es klug, Fragen mit den vielleicht komplizierten Verwandten zu diskutieren, die sich diesen noch gar nicht stellten? Werden damit nicht unnötig Wünsche und Ansprüche geweckt? Sollte man die Büchse der Pandora nicht eher geschlossen halten?
Diese und ähnliche Fragen stehen wahrscheinlich immer am Anfang eines inhaberstrategischen Prozesses. Einen solchen muss man auch nicht starten, wenn bisher alles perfekt lief und nichts dafür spricht, dass sich daran etwas ändern könnte. Kommen allerdings neue Gesellschafter hinzu, werden aus dem Gesellschafterkreis Signale gesendet, die eine gewisse Unzufriedenheit mit der gemeinsamen Vermögensbewirtschaftung andeuten, wird das Familienunternehmen veräußert oder besteht Anlass, etwas am Grad der persönlichen Involvierung einzelner Familienmitglieder in das Familien- oder Vermögensmanagement zu ändern, liegen die Dinge anders: In diesen Situationen müssen Rechte und Pflichten neu austariert werden. Die davon Betroffenen haben für solche Situationen das Leitbild eines demokratischen und nicht eines diktatorischen Prozesses vor Augen. Daher wird ein autoritäres und die Bedürfnisse der Beteiligten abschneidendes Vorgehen in den seltensten Fällen zu dauerhaft funktionierenden Lösungen führen. Die Angst vor der Öffnung der Büchse der Pandora birgt die Gefahr in sich, dass diese irgendwann wegen Überdrucks implodiert. Es kann sich also empfehlen, kontrolliert Druck abzulassen und den Deckel der Büchse zumindest ein wenig zu lüften.
Wie kann das geschehen? Im Idealzustand besteht innerhalb der Familie Einigkeit darüber, wer Gesellschafter werden darf und welche Rechte, Pflichten und Erwartungen mit der Gesellschafterstellung, aber auch mit anderen Formen der Zugehörigkeit zum Familienverband verbunden sind. Die Familie ist sich einig über ihre Werte und Ziele, und zwar sowohl im Hinblick auf das Familienunternehmen als auch auf die Familie und ihr sonstiges Vermögen. Es gibt Gremien, die einerseits den Familieneinfluss und andererseits das jeweilige Know-how für alle Investments der Familie einschließlich des Familienunternehmens sicherstellen. Jedes Familienmitglied vertraut darauf, dass die eigenen Interessen auf diese Weise optimal wahrgenommen werden. Darüber hinaus bestehen Strukturen, die den Familienzusammenhalt sichern. Es herrscht Klarheit, wer welche Rollen in dem Familiengefüge übernimmt, welche Voraussetzungen er oder sie dafür erfüllen müssen und wer deren Vorliegen feststellt. Die Erwartungen aller Familienmitglieder an Transparenz, Kommunikation und Konfliktlösung sind klar und einheitlich. Das gilt auch hinsichtlich der Erwartungen an die Vermögensentwicklung, Vermögensallokation, Vermögensverwendung, Ausschüttungen und an die Ansprüche, die jeder privat an Familienunternehmen oder Family Office stellen darf. Nicht zuletzt besteht Einigkeit darüber, ob und inwieweit die Familie als Ganzes einzelnen Familienmitgliedern in persönlichen Notlagen hilft.
Wer diesen Idealzustand in seiner Familie nicht gewährleistet sieht, sollte analysieren, an welchen Stellen das aus welchen Gründen nicht der Fall ist und mit welchen Maßnahmen Verbesserungen herbeigeführt weren könnten. Das ist der erste Punkt, bei dem Berater mit einem unbefangenen Outsider-Blick auf die Familie und dem Wissen um den Umgang mit ähnlichen Fragestellungen in anderen Familien echten Mehrwert leisten können. Damit kann eruiert werden, wie weit der Deckel der Büchse der Pandora gelüftet werden muss.
Sind damit die Arbeitsfelder eines Inhaberstrategieprozesses identifiziert, steht die nächste entscheidende Weichenstellung an: Wer soll an diesem Prozess teilnehmen? Das können alle Gesellschafter sein, zusätzlich noch deren Partner, ggf. auch zukünftige Gesellschafter, aber es kann auch sinnvoll sein, nur eine Generation einzubinden oder nur einzelne Vertreter aus allen Familienstämmen oder was sich sonst anbietet, um den Kreis der Diskutierenden zu begrenzen und gleichzeitig wichtige Strömungen in der Familie von dem Prozess nicht auszuschließen. Die Herausforderung ist dann aber, die Ergebnisse aus diesen Diskussionsrunden auch zu Ergebnissen der gesamten Familie werden zu lassen.
Unabhängig davon, wie groß der Kreis der Diskutierenden ist, kann die Steuerung des mit der Familie zu durchlaufenden inhaberstrategischen Prozesses der zweite Punkt sein, an dem ein familienexterner Berater helfen kann. Seine Neutralität, die Spiegelung gerade diskutierter Fragestellungen mit Lösungen, die andere Familien dazu gefunden haben (natürlich auf anonymer Basis) und seine Fähigkeit, mit kleinen Impuls-Referaten in zu diskutierende Themen einzuführen, sind wichtige Hilfestellungen in dem manchmal nicht ganz einfachen Prozess. Der souveräne Berater wird auch in der Lage sein, die Diskussionen auf diejenigen Fragen zu beschränken, die für die Familie von Belang sind, und nicht weit darüber hinausgehende Bestandteile eines idealtypischen Inhaberstrategieprozesses problematisieren. Vor allem wird er auf die Ergebnisoffenheit der Diskussion achten und gleichzeitig versuchen, darauf hinzuwirken, dass unter möglichst gleichmäßiger Einbindung der Beteiligten möglichst konkrete Ergebnisse erzielt werden.
Am Ende dieses Prozesses werden sich die Familienmitglieder besser kennengelernt haben und wissen, wo sie Gemeinsamkeiten haben und wo möglicherweise Konflikte lauern. Sie werden die impliziten (Kommunikations-)Strategien innerhalb ihrer Familie besser verstehen und vielleicht auch manche alte Geschichte ausgeräumt haben. Sie werden wissen, was sie als Familie verbindet und wo sie gemeinsam hin wollen. Dafür werden sie auch einige Regeln und Gebräuche vereinbart haben. Insgesamt werden sie damit ihre Zukunftsfähigkeit absichern und auch der kommenden Generation einen Rahmen und ein Konzept vorgeben. Dass all dies der Familie nutzt, liegt auf der Hand.
Die Formulierung der Familienverfassung ist dann eigentlich nur noch eine Annextätigkeit. Es ist sinnvoll, die Ergebnisse der Diskussionen festzuhalten, weil vieles über Zeit verloren geht. Außerdem ist es für neu eintretende Gesellschafter sehr hilfreich, mit der Familienverfassung ein Kompendium an die Hand zu bekommen, in dem die Antworten auf die entscheidenden Fragen für die Familie niedergeschrieben sind. Wichtiger als das ist aber der inhaberstrategische Prozess als solcher, dessen Ergebnisse die Familienverfassung nur abbildet. Bei der Formulierung der Familienverfassung kann der Berater ebenfalls unterstützen. Dabei sollte aber sichergestellt sein, dass die Familienverfassung die Sprache der Familie spricht, weshalb sie idealerweise die Formulierung selbst übernimmt. Der Berater kann dann noch bei der Klärung der Frage unterstützen, inwieweit die Festlegungen der Familienverfassung vielleicht Anpassungen in den übrigen Dokumenten bedingen, etwa Gesellschaftsverträgen, Geschäftsordnungen, Anlagerichtlinien, Muster-Eheverträge oder -Testamente.
Eine gute Familienverfassung skizziert ein langfristiges Zielbild für die Familie, gleicht die unterschiedlichen familiären und privaten Interessen der Familienmitglieder aus und sorgt für Mechanismen und Gelegenheiten, um dem Auseinanderstreben der Familie Einhalt zu gebieten. Dabei enthält sie erfahrungsgemäß auch manche hehre, unspezifische, dehnbare und/oder etwas blutleere Formulierung. Den Gewinn, den der Familienzusammenhalt auf dem Weg auch dorthin gemacht hat, tut das aber keinen Abbruch.
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Fazit: Der Mythos ist falsch.
Dr. Henning Schröer
hs@fidubonum.de
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Geschäftsführender Gesellschafter / Managing Partner bei Family Office 360grad AG; Mitglied des Bundesverbands der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) Deutschland
1 JahrEine geschriebene Familienverfassung dient als Orientierung einer erfolgreich umgesetzten Familien- und Risikostrategie eines Familienunternehmens. Die Familienverfassung bringt wenig, wenn die darin festgehaltenen Fakten/Erkenntnisse nicht umgesetzt und gelebt werden. Aber genau das passiert in einem nachhaltig umgesetzten Prozess. Daher korrekt, nur die Familienverfassung schreiben und in den Schrank legen hilft wenig. Sie muss gelebt werden und ein guter Familienstratege hat auch erfolgreich die Familie dazu motiviert, diesen festgehaltenen Inhalt zu pflegen.
GemeinsamBesserMachen: über Generationen & im Tagesgeschäft 20+ Jahre Erfahrung in der Beratung von Eigentümern, Beiräten, Geschäftsführern und Next-Generation-Mitgliedern in Familienunternehmen und Family Offices.
1 Jahr„Papier ist geduldig“ & wenn die K*cke am dampfen ist ziehen alle die Köpfe ein und gehen vor Gericht - ist eine #haltung, die ich oft von #familienunternehmen mitbekomme - gerade für #geschäftsführende #Gesellschafter ein „zahnloser Tiger“ - vielen #nextgeneration ist das oft unverbindliche Treffen nicht gut genug und gehen #neuewege - danke Henning für deinen wichtigen Beitrag dazu. Gerne weiteren Austausch zur #aktivierung der #familienstrategie und #governance