Nach.Gespürt (5) Atemlos durch die Luft: Ja gern, wenn's denn wieder geht … aber auch durchs nächste Meeting?
Liebe Lesende,
heute hat sich reet an ein besonderes Thema für den Geschäftsalltag herangewagt: An den Atem und was der im Business zu suchen hat, wo er denn vielleicht verloren gegangen ist…
Atemberaubend
Manchmal fühlt man sich auf bizarre Weise wie in dieser Hängematte über New York: Atemberaubend, des Atems beraubt, zwischen Lust und Angst, zwischen Taumel und Überanspannung. Oder gleich alles oder ein wenig von jedem?
Um das Thema auf den Boden des Business zu holen, habe ich mit Claudia Bubulj, Atemexpertin und Coach, ein kleines Interview geführt, um so auf launige Art und Weise dem Thema ‚Leben und Atmen im Business‘ ein bisschen auf den Grund zu gehen. Es muss ja nicht immer über den Dächern von New York sein wie dieses grandiose Plätzchen uns suggeriert – auch wenn das, tja, auch wenn das natürlich fein wäre und Fernweh bereitet …
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Carla: Liebe Claudia, ich schildere Dir jetzt den folgenden Fall und mich würde Deine Analyse aus der Sicht der Atemexpertin brennend interessieren!
„Langsam steigt der Puls. Ich leide. Gleich geht das Meeting los, ich präsentiere und mein Atem ist wie festgeklebt. Dafür rast der Rest, quasi autonom. Mich treibt Sorge: Komme ich gut durch? In der vorgegebenen Zeit? Welche Einwände wird es geben? Welche Angriffe? Wie werde ich vermitteln können? Und wie immer: ich bin schon jetzt übersäht mit hektisch-roten Flecken an Hals, Dekolleté und Wangen.“
Es sind die altbekannten Themen, Claudia, oder? Atemlos, fulminante Röte, gefühlte Steuerungslosigkeit – Lampenfieber. Nur jetzt auch noch remote! Wie schätzt Du das ein?
Claudia: Ja, das was hier passiert, legt die Vermutung nahe, dass die Mitarbeiterin durch ihre Aufregung vor der Präsentation in Stress gerät und sie dies körperlich spürt und andere es auch sehen können. Physiologisch ist diese körperliche Reaktion relativ einfach zu erklären. Der erzeugte Stress aktiviert den genetisch angelegten Kampf-Flucht-Reflex in uns. Als Urzeitmenschen haben wir bei Bedrohung durch Kampf- und Fluchtreaktionen überlebt. Stress war also lebensnotwendig, um Vorgänge in unserem Körper zu aktivieren, die uns bei der bevorstehenden, sehr intensiven körperlichen Anstrengung unterstützten: Adrenalin wird ausgeschüttet (sichtbar an den roten Flecken an Hals, Dekolleté und Wangen), der Atem wird vertieft und später auch beschleunigt, der Puls steigt, die Verdauung wird eingestellt, die Sinne geschärft und das Blut wird aus den Organen in unsere Arme und Beine umverteilt.
Wilde Tiere am Bildschirm?
So wie unsere Vorfahren* auf gefährliche Tiere reagiert haben, so reagieren wir teilweise auch heutzutage auf Belastungen im Business, obwohl dies eigentlich gar nicht notwendig wäre: Unser Körper macht sich bereit für Kampf oder Flucht, aber wir bleiben aktuell dann bewegungslos vor dem Monitor sitzen und atmen heftiger als notwendig. Hierdurch atmen wir zu viel CO2 aus unseren Lungen ab, produzieren aber kaum neues CO2 im Körper (durch fehlende Muskelaktivität), sodass der C02-Partialdruck sinkt. Das bedingt, dass sich die glatte Muskulatur an unseren Blutgefäßen zusammenzieht, der Blutstrom zum Gehirn reduziert und die Sauerstoffabgabekapazität der roten Blutkörperchen verringert wird. Dies wiederum führt zu einer veränderten Erregbarkeit der Großhirnrinde und die Gedanken werden wirr, geraten außer Kontrolle.
Dies trägt in der Situation des 'Ich-muss-abliefern.' nicht wirklich zur Entspannung bei, sondern steigert den Stress und die damit verbundenen dysfunktionalen körperlichen Symptome. Ein perfekter Teufelskreis, jedoch durch eine gezielte und erlernte Atemintervention zumindest körperlich gut beeinflussbar. Die Trigger-Themen für den ausgelösten Stress, wie z.B. Umgang mit Unsicherheit, überzogenen eigener Anspruch, usw. können dann parallel im Coaching bearbeitet werden. Nach dem Motto, die Welt ist rund, wir greifen von zwei Seiten an :-).
Carla: Spannend, Claudia, oder um in Bild zu bleiben: Atemberaubend! Nun lass uns gemeinsam den zweiten Fall auch noch anschauen:
„Das One-on-One war recht mäßig. Mein Mitarbeiter war nervös. Hat sich verhaspelt. Nervös an den Fingern gespielt. Und dabei war seine Leistung dieses Jahr doch recht gut, noch dazu in diesen Zeiten. Alles in Ordnung! Und ich hatte einfach keine Ideen, wie ich mich verhalten sollte. Und da habe ich einfach weitergemacht. Noch Fragen gestellt wie: ‚Alles in Ordnung, John?‘, ‚Wirklich alles okay?‘. Auf meinen Atem habe ich gar nicht geachtet. Auf seinen? Nö. Wie auch!“
Carla: Auch dieser zweite Fall ist ja kein einzelner: Fremdwahrnehmung-teilweise, Selbstwahrnehmung-teilweise. Atmung: „Nö.“. Wie kann es sein, dass wir dem, was uns durchs Leben führt, so wenig Aufmerksamkeit schenken? Liegt das daran, dass wir ja atembezogen auch nichts tun müssen,...läuft ja automatisch, und dazu auch meinen, nichts tun zu können – läuft ja automatisch?
Claudia: So ist das, wir haben ja schon so oft in Kommunikationsfortbildung gehört, dass der größte Teil der Kommunikation nonverbal stattfindet. Dies beziehen wir oft auf die Körperhaltung, die Mimik, den Ausdruck, Sprache und Stimme. Viele Führungskräfte beschäftigen sich hiermit intensiv. Buchen sogar Kurse zur Mikromimik und vieles mehr! Häufig wird jedoch die Atmung hierbei völlig außer Acht gelassen. Dabei ist sie so aussagekräftig und im Vergleich zur Mikromimik viel leichter zu lesen. Und nicht zu vergessen: Unsere Atmung beeinflusst jedes gesprochene Wort (inkl. sozialem Grunzen), jede Geste, unsere Körperhaltung und Muskelspannung, sprich unsere gesamte Körpersprache. Und all das hat Auswirkungen auf unser Gegenüber und kann damit kommunikativ genutzt werden. Natürlich läuft die Atmung autonom, allerdings ist sie auch durch uns selbst beeinflussbar. Dafür ist es jedoch wichtig zu lernen, die eigene Atmung wahrzunehmen und die Atmung des Gegenübers zu lesen. Dann wird es dann sogar möglich, mit einer Modifikation der eigenen Atmung, die Atmung des Gegenübers zu beeinflussen.
Carla: Mmh. Das versteh' ich. Und aus meiner Sicht als Coach wäre jetzt zusätzlich noch intensive Arbeit an eigenen inneren Bildern/Zuständen angesagt, Arbeit an Themen wie:
‚Wie zeige, wie präsentiere ich mich (nicht)?‘ bzw.
‚Wie führe ich aktuell (nicht)?‘ und ganz wichtig:
'Welche Gefühle leiten mich (nicht)?'
Augenfällig ist ja in beiden Fällen, dass eigene Ängste, z.B. vor dem Versagen oder, wie im zweiten Fall, vor der Nichtsteuerbarkeit schwieriger Gefühle im Gegenüber, eigene Verhaltensoptionen sehr stark einschränken. Und wie wir wissen, erzählen uns Ängste heute immer etwas über uns selbst, über unseren aktuellen Umgang mit 'schwierigen' Zuständen (Versagen, Scham...), über unsere eigenen Unsicherheiten in einer nicht sicheren, nicht vollständig vorhersehbaren oder steuerbaren Welt. Und damit sagen sie weniger etwas darüber aus, was außerhalb tatsächlich ist und wirkt. So ist es für das Gewinnen eigener innerer Sicherheit und äußerer Souveränität wichtig, sich im Coaching Fragen zu stellen wie diese: Können wir uns mit den Ängsten auseinandersetzen? Können wir sie als (nur) einen Teil unseres Selbst erleben oder überschwemmt uns das Gefühl in Gänze? Was treibt uns (an)? Was lässt uns diesen Teil als dominant steuernd erleben? Provokanter formuliert: Wer spricht?
Atmen. Auch etwas fürs Business?
Daran arbeiten wir als Coachs dann mit unseren Klienten und das mit Erfolg. Nun über die Atmung die Coachingarbeit zu unterstützen oder gar Trainings im Geschäftsleben anzubieten, mutet dem einen oder anderen dann vielleicht wirklich zu therapeutisch oder ‚esomäßig‘ an. Was meinst Du?
Claudia: Naja, das könnte man schon vermuten und letztendlich muss das jede*r für sich selbst entscheiden. Ich persönlich nutze physiologisches Hintergrundwissen für meine Arbeit und würde meine Interventionen mehr als wissenschaftlich orientiert denn esoterisch beschreiben. Meine Ausbildung als Physiotherapeutin, die Fortbildung zur reflektorischen Atemtherapeutin und die dreijährige Weiterbildung zur Atmungstherapeutin machen mich zu einer Spezialistin für Atmung und Beatmung.
Carla: Wir haben uns entschieden, zusammen die ‚Krafttankstelle Atem‘ und ‚Atem. Auch für Business People!‘, letzteres sogar als online-Format, anzubieten. Was hat Dich bewogen, das (und mit reet) auszuprobieren?
Claudia: Aus Neugierde und Leidenschaft. Aus Neugierde auf das Format und die Arbeit zusammen mit Dir und aus Leidenschaft, da ich viele der Atemtechniken, die ich am Patienten angewendet habe, auch in Businesssituationen für mich selbst nutze und davon sehr profitiere. Dieses Wissen weiterzugeben, macht mir Freude. Und Du?
Carla: Mich haben einerseits Deine Erzählungen und Berichte über das Atmen, und auch Dein Atemweg, total fasziniert. Und andererseits hat mich ein alter Titel aus einer ganz anderen Change-Ecke neu aufgerüttelt: ‚Leben und Sterben im Business. Wenn Topmanager ihre Unternehmen krankmachen.‘ von 1996, ein schon etwas älteres Buch von M. Kets de Vries, dem Professor für Leadership Development und Organizational Change an der INSEAD (Fontainebleau). Als ich den Titel wieder las, dachte ich: ‚Eigentlich ist es genau das: Ohne Atem oder ohne passende Atmung ist das alles nichts oder eben flach, nur überlebend.
Leben. Atmen. Im Business
Wenn uns etwas, und gerade momentan in dieser schwierigen Phase, selbst beruhigt, dann sind das vielleicht neben sozialen Kontakten vier Dinge: Selbstreflexion, Humor, kompetenter Umgang mit dem Widrigen und: Atmen! Und dann wäre ein neues Buch zu schreiben: Leben und Atmen im Business! Wann fangen wir an, Claudia?
Ein schönes Wochenende wünschen Claudia Bubulj und Carla Hegeler
einfach reet. leveraging ...
#atmen #coaching #metatheoriederveraenderung #business #selbststeuerung
* wie immer ist die männliche Form hier geschlechtsneutral und der besseren Lesbarkeit halber verwendet worden.
Transformation Companion mission💪mobility🌎transition
4 JahreLesenswert, für "meine" #EmbodimentAtWork-crew: Dipl. Psych. Felicitas Ritter , Julius Lassalle , Alice Dehner , Günther Wagner , Birgitt Bodingbauer, Majka Baur , Ann-Christin Abbenhaus , Carola von Szemerey , Petra Pflugfelder , Hannah Rauterberg, Yunbei Li , Tobias Bantzhaff 🙏
Coaching, Paarberatung und Konfliktklärung
4 JahreWie schön, dass ihr das Thema "Atem" so in den Business-Kontext bringt! Vielen Dank liebe Carla und Claudia für diesen Artikel!
>>> Erkennen-Verstehen-Wandel aktiv gestalten <<< reet. leveraging organizational potential (Partnerschaftgesellschaft)
4 Jahre„Wilde Tiere am Bildschirm“, das Bild finde ich klasse. Gehetzt wäre auch passend, und es zeigt genau die extremen Pole zwischen die wir geraten sind. Ein zutiefst sinnliches und körperliches Wesen hockt 10 Stunden bewegungslos vor Pixeln, und steht unter Stress und Aufregung ohne dies körperlich zu verarbeiten. Nicht gut ! Hoffentlich rennen wir alle mindestens 2x am Tag durch den Park. Und dazwischen schön Techniken lernen bewusst zu pausieren und zu atmen !!! Danke Carla für diesen Artikel.