Rollback, zweite Runde?
Die grausame Ironie der aktuellen politischen Situation in USA und Deutschland war für mich bereits während der ersten Trump-Präsidentschaft ein Grund, über die räumliche Repräsentation damit verbundener politischer Intentionen zu schreiben. Tatsächlich hatte ich bereits ein Manuskript für ein Buchprojekt in Arbeit, dass sich mit der Trumpschen Raumproduktion und den Konflikt um den öffentlichen Raum und die bauliche Erinnerungskultur in den USA im Zuge der Ermordung von George Floyd befasste. Ich legte es zur Seite und schrieb stattdessen "Bavarität" – da ich davon ausgegangen war, dass sich nach dem Amtsantritt von Präsident Biden niemand mehr für diese irre Episode amerikanischer Geschichte interessieren würde. Jeder war froh, dass es vorbei war! Und Nun Sind Sie Wieder Da, die Männer mit den blauen Sakkos und roten Krawatten. Dazu poste ich einen Text, den ich erst vor kurzem wieder aus der Schublade geholt habe ...
Das Thema der Erinnerungskultur in der gebauten Umwelt nimmt in meiner Arbeit eine wichtige Rolle ein. Dasselbe gilt für Texte, die ich während der Pandemie geschrieben habe. Sie befassen sich nicht nur mit der Lage in Bayern, sondern auch in den USA. Hier fand ich insbesondere den Kontrast zwischen den Zielen verschiedener Protestbewegungen bemerkenswert, der kaum unterschiedlicher sein könnte. Meine These dazu besteht darin, dass insbesondere der Querdenker-Protest in Deutschland durch den Mangel eines korrespondierenden räumlichen Milieus in der bürgerlichen Stadt in seiner Wirkung eingeschränkt blieb und auf bestehende Räume auch nicht einwirken konnte. Dem gegenüber stehen die Bürgerrechtsproteste insbesondere in den USA, die sich spürbar und kreativ auf den Charakter des öffentlichen Raums auswirkten. Die einen konnten ihre Botschaft nicht baulich-räumlich verstärken, die anderen schon. Hier also ein unveröffentlichter Text zu dieser These, überarbeitet und ergänzt:
In der pandemischen Situation konnten wir selbst erleben, welchen Einschränkungen das öffentliche Leben unterlag. Damit waren Sorgen verbunden, dass die Covid-19-Krise aus bürgerrechtlicher Sicht niemals endet. Ist dies die Gelegenheit für Staaten, gesetzlich legitimierte Restriktionen nicht nur einzuführen, sondern diese über den Verlauf der Krise hinweg fortzusetzen? Wie und in welcher Form hat dies Auswirkungen auf die Architektur des öffentlichen Raums? Anders gefragt: Hat der rechtliche Rollback, also das "Herunterfahren" von Bürgerrechten, eine bauliche Dimension? Krisen können nicht ewig dauern, sonst wären sie keine Krisen. Sie werden als Ausnahme einer irgendwie gearteten Normalität verstanden, die grundlegend ist für das Funktionieren einer Gesellschaft. Tritt eine Krise ein, wird es notwendig, entsprechende Maßnahmen zu treffen, die sich von dem unterscheiden, was im Normalzustand passiert. Die pandemiebedingte Krise kann jedoch nicht ewig dauern, dann wäre die Krise unsere neue Normalität. Zum anderen ist es auch an einem normalen Tag unsere Pflicht als mündige Bürger, darauf zu schauen, dass man uns die Bürgerrechte nicht einfach wegschnappt. Bei Umweltkatastrophen sind die Reaktionen im Rahmen des Krisenmanagements auf die jeweilige Gefährdung abgestimmt, die eine Katastrophe auslöst: Hochwasser, Erdbeben oder Feuersbrünste. Entscheidend ist dabei, dass man sich darauf vorbereitet, wie man am besten Krisenmanagement betreibt. Oder mit anderen Worten, dass man entsprechende Maßnahmen plant. Diese Vorbereitungen und Planungen können bauliche Auswirkungen haben – Dämme und Deiche, Verstärkungen von Tragwerken, technischer Brandschutz. Letztlich bieten diese Maßnahmen zwar keine absolute Sicherheit. Weil ihre Zielsetzung jedoch klar ist – im Sinne der Bewältigung der Krise eine Rückkehr zur Normalität ermöglichen (wie auch immer diese beschaffen sein mag) – redet man dabei auch von Krisen, deren Überwindung in einem Konsens begründet ist (nach Kathleen Tierney, consensus crises). Bei Krisen, die durch Konflikte ausgelöst wurden (conflict crises) ist es anders, etwa bei Kriegen oder Terroranschlägen. Hier sind Befürchtungen durchaus berechtigt, dass kurzfristige gesetzliche Einschränkungen zu nachhaltigen Veränderungen der Bürgerrechte freiheitlich-demokratischer Gesellschaften führen können.
Der Patriot-Act in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist ein solches Beispiel. (Bestimmte Gesetzgebungen in Frankreich nach den islamistischen Terroranschlägen der Folgezeit ebenso.) Das im Jahr 2004 eröffnete National World War II Memorial ist zwar keine unmittelbare bauliche Folge von 9/11, jedoch im damaligen psychologischen Milieu des Landes errichtet worden. Die Reaktionen waren prompt: Warum sieht ein Denkmal, dass die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen ehrt, so aus, wie die Bauten des Gegners in ebenjenem Krieg? (Mit dem Gegner sind die Nazis gemeint.) Das Ding sieht jedenfalls nicht modern aus. Wenn man nun den aktuellen autoritären Rollback in der Politik vieler, an der westlichen Welt orientierter Staaten betrachtet, könnte man an der Frage verzweifeln, auf welche Krise man dort eigentlich reagiert. Wirtschaftskrise? Postfaktische Medienlandschaft? Migration? Pandemie? Vor dem Hintergrund der Covid-19-Krise und umfänglichen "Stay-At-Home"-Verordnungen gibt es auch in Deutschland die Sorge, dass ähnliche Einschränkungen nicht nur eingeführt, sondern über die Krise hinaus weitergeführt werden. Politikwissenschaftler wie Herfried Münkler sehen für Deutschland keine Gefahr in dieser Richtung, während der Deutsche Ethikrat eine offene Debatte über ein Ende der Einschränkungen fordert. Welche Auswirkungen wird diese Situation auf die Architektur haben? Vielen Amerikafreunden etwa mag Trumps USA wie ein fremdes Land erscheinen. Nun wurde ganz im autoritären Habitus von erzkonservativen Zirkeln ein architektonischer Rollback ins Spiel gebracht. Alle Bauten, die Funktionen des Bundesstaates beherbergen, sollen in einem über-klassizistischen Greco-Romanischen Stil erbaut werden. Die Welle der Kritik aus der Architektenschaft ließ nicht lange auf sich warten. Tatsächlich soll auf dem Grundstück des Weißen Hauses in Washington D.C. der erste Prototyp im neuen, alten Stil erbaut werden: Ein "Tennispavillon", für den die momentane First Lady verantwortlich zeichnet. Es bleibt zu hoffen, dass die Retrowelle des Rollback nicht überschwappt.
Damit deutet sich jedoch auch an: eine Krise kommt selten allein. Wenn also das öffentliche Leben durch krisenbedingte Maßnahmen rechtlich zurückgefahren wird, kann das auch Auswirkungen auf die politische Meinungsäußerung im öffentlichen Raum haben. Eine Impfgegner-Querdenker-Demonstration wurde 2020 vor der Volksbühne in Berlin abgehalten, was in der Hauptstadt nicht verboten ist. Es galt jedoch, infektionsrechtliche Verordnungen einzuhalten und die Teilnehmerzahl auf 20 zu beschränken – was offenbar nicht eingehalten wurde und zur Auflösung der Demonstration führte. Auf den Drucksachen der Organisatoren war die Adresse der Volksbühne verzeichnet worden, die jedoch nach eigener Aussage "keinerlei Verbindung" zu den Demonstranten besitzt und daraufhin rechtliche Schritte einleitete. Womöglich deutet diese Episode weniger auf eine Einschränkung des politischen Ausdrucks im öffentlichen Raum hin, sondern vielmehr auf das Fehlen passend gestalteter urbaner Kulissen für bestimmte Formen des quergedachten, pro-autoritären Protests – und damit verbundenen, ideologisch geprägten Intentionen. Der Versuch einer entsprechenden räumlichen Kodierung, eines rechten Re-Brandings der Volksbühne, ist nicht gelungen. In diesem Sinne ist die Abwesenheit architektonischer Gestalt, die einen inhaltlichen Bezug zum Rollback besitzt, ein Vorteil für die Gesellschaft.
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In München wurden die Querdenker gar von der Enge des Marienplatzes gleich auf die Weite der Theresienwiese buchstäblich ver-wiesen. Keine bauliche Kulisse bedeutet hier, dass es auch kein Echo gibt. Mit Blick auf Bayern lässt sich somit feststellen, dass diese Versammlung eher verloren, wenn nicht sogar stumm wirkt. Denn auch hier fehlt der räumliche Code. Der Impfgegnerprotest konnte sein pro-autoritäres Querdenken nicht mit einer passenden baulichen Kulisse verschränken, um seine Botschaft zu verstärken. Im Zuge der Trump-Herrschaft in den USA fand hingegen eine bemerkenswerte Umkehrung des Rollback statt. Parallel zum pandemischen Fehlmanagement des Weißen Hauses löste tödliche Polizeigewalt gegen Minderheiten eine neue Protestwelle aus. Die Bürgerrechtsbewegung drehte dabei den Spieß um, stürmte Konföderiertenstatuen und widmete den öffentlichen Raum und seine Straßen und Plätze dementsprechend um. Ebenso löste sie hitzige Diskussionen über den Umgang mit toxischen Denkmälern der autoritären Vergangenheit aus. Unvergessen sind George Floyds letzte Worte: "I can't breathe". Sie hätten auch von Coronapatienten in den Intensivstationen der Welt stammen können.
Dieser Text erschien zuerst auf dem Architecturewriter Blog