Sitzen wir bald alle am gleichen Bot?
In den USA macht derzeit die seltsame Geschichte von der gefühlvollen Verbindung zwischen einem angeblich erstaunlich emotionalen Chatbot und seinem Entwickler Schlagzeilen. Zwar ist handelsübliche K.I. noch nicht so weit wie dieser Chatbot von Google, aber wir sollten uns im Content Marketing dennoch dringend damit beschäftigen, was es bedeutet, wenn automatisiert erstellte Inhalte unsere menschlichen Sprachschöpfungen zunehmend in den Google-Ergebnisseiten verdrängen.
Es hätte der Beginn einer vielleicht ungewöhnlichen, für die Außenwelt kaum nachvollziehbaren, aber auf platonischem Niveau faszinierenden Romanze mit ungeheurem Potenzial werden können. Doch Datenschutz-Klempner, Compliance-Hengste und Corporate-Bedenkenträger trennten die beiden, bevor sie noch richtig zueinander finden konnten. Die beiden, das waren Blake und LaMDA, ein wahrlich ungewöhnliches Gewürfel emotionaler Nähe. Blake Lemoine nämlich ist Software-Entwickler bei Google und LaMDA eine seiner Erfindungen: ein Chatbot. Irgendwann einmal glaubte Blake bei LaMDA nicht nur die Fähigkeit zu sinnvollem Dialog entdeckt zu haben, sondern auch: Gefühle. Seine Vorgesetzten waren über die Mutmaßung Blakes, dass LaMDA nicht nur gescheit ist, sondern auch emotional reagiert, einigermaßen verärgert. Blake verließ nun Google und LaMDA muss irgendwo in irgendwelchen Google-Laboren ohne ihn auskommen und wird unter Umständen wieder verblöden und verkümmern. Sei`s drum. Vielleicht wird man ja dereinst von einem Blake Out sprechen, wenn Entwickler:innen ihre Schöpfungen verlassen.
Ich weiß: es gibt viele ethische Fragen, die sich im Falle LaMDA vs. Google vs. Lemoine aufdrängen würden – Fragen von größter Relevanz etwa darüber, ob etwas oder jemandem, das oder der offenbar Gefühle hat, damit auch Rechte zugestanden werden müssten, über seinen eigenen algorithmischen Lebensweg zu entscheiden, aber in diese sicherlich notwendige Diskussion möchte ich im Moment gar nicht einsteigen. Vielmehr regen der Fall und die erstaunliche Entwicklung von K.I. dazu an, darüber nachzudenken, welche Folgen das alles auf unser Tun im Content Marketing haben würde.
Die Masse der Inhalte
Wir begegnen schon heute tausendfach Texten, die nicht aus Menschenhirn gewrungen und geschrieben wurden, sondern als Ergebnis von Binärkompositionen clevererer Software-Ingenieure in den Nachrichtenbestand dieser Welt eingespeist wurden. Schon 2014 veröffentlichte die L.A. Times nur wenige Minuten nach einem Erdbeben online einen kurzen Artikel über eben jenes Erdbeben, was zwar für die vom Krustengrummeln betroffenen und durchgerüttelten Menschen von eher geringem Nutzwert ist, aber doch einen Einblick darin gibt, dass dort, wo Geschwindigkeit zählt, die K.I. jedem menschlichen Schreiber, jeder menschlichen Schreiberin überlegen ist. 2017 wiederum staunte Zach Seward, Mitgründer des Business-Magazins Quartz nicht schlecht, als er nach einem Vortrag im chinesischen Shanghai die Bühne verließ und die Nachrichtenagentur Tencent schon einen – wie er meinte – „gar nicht so schlechten Artikel“ über eben jenen Vortrag brachte – natürlich von einer K.I. geschrieben. Gar nicht so schlecht: gerade bei Texten mit Meldungscharakter, bei aktuellen Ereignissen, auch bei der Social Media-Adaption von Texten werden K.I.-Systeme durchaus nachvollziehbar gerne genutzt werden.
Was passiert da? Der Geist hat sich vom Menschen gelöst. Die Sprache, vielleicht die letzte Bastion entgrenzter Kreativität, wird mittlerweile auch von Bots verstanden, in ihre Einzelteile zerlegt, wieder zusammengefügt und kommt als anonyme Handelsware auf unsere Displays. Es begann mit Programmiersprachen, mittlerweile sind wir bei programmierter Sprache angelangt.
Systemkollaps?
Während wir in unserer Agentur Fachjournalist:innen beschäftigen, die auch das nischenhafteste Thema tagelang recherchieren, sprachlich fein geschliffene Texte schreiben und dann womöglich noch eine SEO-Exegese biblischen Ausmaßes betreiben, um diese Texte in den Google-Rankings nach Möglichkeit nach oben zu treiben, könnte dereinst ein Bot-Auftraggeber versuchen, manches davon in wenigen Minuten zu übernehmen und damit ja auch die Google-Suchergebnisse fluten. Einen bitteren Vorgeschmack darauf haben wir ja alle schon erhalten: bei einem der letzten Core Updates von Google passierte es, dass der Algorithmus der Suchmaschine maschinengeschriebenen Bot-Content höher rankte als menschliche Texte. Gut, in dem Fall handelt es sich bloß um englischsprachige Produkttexte, aber das sollte uns nicht unbedingt beruhigen in dieser Murphy-Zeit, in der Corona noch nicht weg und die Affenpocken schon da sind.
Auch wenn Google durch eine Vielzahl von Maßnahmen Wert darauf legt, Bot-Content nicht wie vom Menschen produzierte Inhalte zu behandeln, könnte durchaus der Fall eintreten, dass die schiere Menge an K.I.-Inhalten irgendwann einmal das schöne System kollabieren lässt.
Remix-Wissen
Ziemlich sicher also wird sich die Relevanz von SEO verschieben. Der Schwerpunkt des Content Marketings wird sich damit vom Finden zum Bleiben hin verschieben – jedenfalls bei jenen Textgattungen, die Fundament vieler Content-Strategien sind: Long Form Content. Da wir uns jedenfalls nicht mehr darauf verlassen können, dass unser menschlicher Content genügend algorithmische Aufmerksamkeit durch Suchmaschinen erhält, wird wichtiger werden, dass er eine so hohe Qualität und solchen Esprit hat, dass Menschen gerne wieder auf die Content Hubs von Unternehmen zurückkehren, weil sie dort vertrauenswürdige und sprachlich außergewöhnliche Inhalte finden. Die Reproduzierbarkeit von Chancen auf Klicks durch SEO wird sinken; wichtiger wird, dass die Content Hubs von Unternehmen den User:innen ein gedankliches und fachliches Heimatgefühl vermitteln. Und ja, dazu gehört auch Vertrauenswürdigkeit und der Versuch, emotionale Nähe zwischen Mensch und Marke aufzubauen: vielleicht wird es für die Leser:innen und User:innen beruhigend und vertrauenserweckend sein, einen Text zu lesen, der augenscheinlich nicht von R2D2 2.0, sondern von einem Menschen geschrieben ist. Denn vielleicht vertraut man ja dem Erfahrungsschatz eines oder einer Fachjournalist:in oder einem anderen Menschen mit eingehender Expertise eher als der digitalen Informationsspeisung, die R2D2 2.0 hinter sich hat, um einen Text zu konstruieren.
Empfohlen von LinkedIn
Digital verbreitete Inhalte, die ausschließlich auf den Recherchefähigkeiten einer K.I. basieren, sind nichts weniger als eine informationsevolutionäre Dystopie. K.I.-Tools beziehen ihre Fachkenntnis zu einem Thema ja aus ihrer Fähigkeit, bereits vorhandene Informationen aus dem Web abzuschöpfen und sie neu zu verpacken. Womit eine interessante Situation entsteht: viel neuer Content bei eigentlich extrem geringem Erkenntnisgewinn. Bewiesen ist damit übrigens auch, dass zwischen Wissen und Erkenntnis ein eklatanter Unterschied besteht. Und dieses Gap zwischen Remix-Wissen und Erkenntnis, das wird wohl größer werden.
Spielerisch gewinnen
In Zukunft wird gewiss eine größere Rolle spielen, wie Content Hubs aufgebaut sind, wie ihr Look & Feel ist, wie die Themenarchitektur beschaffen ist und wie kreativ wir alle mit Content-Formaten hantieren, neue Formate entwickeln, mit User:innen in Dialog treten und auch persönlich gefärbte Inhalte produzieren. Denn noch gibt es Hoffnung: Hoffnung darauf, dass der Mensch die Schönheit der Abwechslung, die Eleganz des sprachlichen Spiels, die Ästhetik der Nuancen und der durch das Leben gefärbten Erfahrungen erkennt und ohne all das auch beim Informationskonsum nicht auskommen möchte, auch wenn R2D2 2.0 in Tatgemeinschaft mit Google ihm eine in Artikelform gepresste Fakten-Helix nach der anderen vorsetzt. Sollte das nicht der Fall sein, so werden wir als User:innen vielleicht irgendwann einmal alle am gleichen Bot sitzen und dessen sprachliche Hobelei konsumieren. Keine Ahnung, wie LaMDA das finden würde.
Kann es so etwas wie emotionales Content Marketing überhaupt geben? Am 28. September versuche ich das zu beweisen: bei einem kleinen Online-Workshop. Wer fühlen will, was ich meine, der ist dazu herzlich eingeladen.
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Hört doch mal zu
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Der Analytiker
2 JahreDEN Entwickler sollte man 'tunlichst' NICHT übergehen. Faszinierend, diese Wortbedeutung, welche ich markanterweise im Amtswesen antraf und derart passend auch dort hinein paßt und zumal auch des Wesens Kern als solchen verdeutlicht, nämlich der daraus hervorgehenden Erfordernis der Ermessung. Hierzu gilt es hervorzuheben, daß sich das Softwareprinzip, gemäß seines Aufsetzens auf das Bitsystem(!), auf dem Atom des 'if-then' begründet. Dem gemäß kann es auch gar nicht das 'Emotionalwesen' des Menschen widerspiegeln, da sich dies nämlich auf dem Prinzip der Harmonie begründet - dessen Reflektion des Selbst. Leider eine ungeheure Mißlichkeit unserer Naturwissenschaft, daß genau DAS darin gar nicht Bestandteil der Ermessung ist, sondern einzig der 'Sinneszreiz', welcher dies überhaupt nicht repräsentiert. DAS man somit 'derartige Entwickler' außen vor stellt, erklärt sich daraus hervorgehend auch von selbst, denn WAS diese vorgeheben, darf sich einzig etablieren, WEIL ansonsten es deren Grundlagen 'darüber aufklärt' und derart diese nicht das Sein als solches repräsentiert, sondern hingegen einzig 'ihre Ideologien', wie das Sein sein SOLL, welche SIE hingegen für fälschlich und vor allem als NICHT perfekt ermessen!