Streiten denn Piloten nie?
eskalierende Konflikte zerstören die sichere und offene Kommunikation

Streiten denn Piloten nie?

Diese Frage wird mir von Führungskräften in Seminaren häufig gestellt, wenn die Elemente „Entscheiden“ und „Führen“ im Crew-Resource-Management (CRM) behandelt und trainiert werden.

Meine Antwort lautet:

Dann wären Sie ja Übermenschen ;) Crews gehen nur anders mit Konflikten um.

Das „Geheimnis“ heißt FOR-DEC. So kann der Satz „lass uns doch bitte FOR-DEC machen“ dem 1. Offizier oder Chef der Kabine die Tür für einen Einwand gegenüber dem Kapitän öffnen, ohne eine Provokation in einem hierarchischen Verhältnis zu riskieren, wenn wirklich mal zwei Meinungen gegeneinanderstehen.

Das klappt auch unter Zeitdruck gut, denn alle Besatzungsmitglieder sind im Umgang mit dem Entscheidungsfindungs-Modell FORDEC geschult und trainiert. Die letzte Entscheidung liegt natürlich nach wie vor beim Kapitän. Sie fällt dann – nach dem FOR-DEC-Prozess, in fast allen Fällen in Übereinstimmung mit den Crewmitgliedern aus.

Besteht kein akuter Zeitdruck, gibt es ergänzend noch den „Zaubersatz“:

„Was halten Sie für angemessen?“

So kann unter der Moderation des Kapitäns ein vielleicht bisher nicht erkannter, dritter Weg gefunden werden, der alle Ansichten berücksichtigt, ohne einen nachteiligen Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einzugehen. Es wird kein ungeklärter Konflikt hinterlassen, der im Krisenfall die Kommunikation erheblich behindert. Ich habe diese Situation im Cockpit und in Unternehmen mehr als einmal erlebt.

Das „Sprit“-Beispiel:

Vor dem Rückflug von Lanzarote nach Hannover ging es darum, wieviel Kraftstoff getankt werden sollte.

Um das zulässige Startgewicht bei kräftigem Seitenwind auf der für diesen Jet kurzen Startbahn nicht zu überschreiten, schlug ich als Kapitän vor, nur knapp über der gesetzlichen Mindestreserve zu tanken. So konnten wir alle gebuchten Passagiere und die vorgesehene Fracht mitnehmen. Die Wetterlage war überschaubar und ich hatte auf der Route jahrelang Erfahrung gesammelt. Mein sehr junger 1. Offizier sagte höflich aber klar, dass er die Menge für zu knapp halte, da bei einer eventuell höheren Gegenwindkomponente der Kraftstoff nicht sicher reiche. Er hatte Bedenken, ich würde ein erhöhtes Risiko eingehen, um die wirtschaftlichen Vorgaben der Airline einzuhalten. Er kannte mich ja nicht und hatte zu diesem Thema wohl schon schlechte Erfahrungen gemacht.

Ich konnte seine Bedenken nicht so einfach zerstreuen.

Nun hatte ich zwei Möglichkeiten:

  1. Ich bin der Kapitän und entscheide so, fertig!
  2. Die Frage stellen: Was halten Sie für angemessen?

Ich entschied mich für 2., denn an einer miesen und wortkargen „Sie sind der Chef“ Stimmung im Cockpit war ich aus erwähnten Gründen auf keinen Fall interessiert.

Nun wollte ich aber auch nicht noch mehr tanken, da der Ärger bei zurückgelassenen Passagieren oder Fracht erheblich ist und nicht zur Kundenzufriedenheit beiträgt.

Was nun?

Ich suchte nach einer dritten, bisher nicht berücksichtigten Variante, die alle Bedürfnisse unter einen Hut bringt.

So kam ich auf den Vorschlag, die vorgesehene Menge zu tanken, den Kraftstoffvorrat auf dem Flug jedoch doppelt so häufig zu checken wie vorgeschrieben.

Beim geringsten Anzeichen, dass der Sprit eng würde, machen wir rechtzeitig, etwa auf halber Strecke, einen Zwischenstopp zum Nachtanken. Um glaubhaft zu sein, ließ ich Sevilla als Ausweichflughafen demonstrativ mit in den Flugplan eintragen. Der Flugplan ist für jeden Trip eines Verkehrsflugzeuges bei der Verkehrskontrolle einzureichen und von ihr zu genehmigen. Damit war er sichtlich zufrieden – Atmosphäre gerettet.

Ich ging zwar das Risiko einer knapp 10.000 € teuren Zwischenlandung ein, aber nach meiner Erfahrung war diese Wahrscheinlichkeit sehr gering.

Wir landeten ohne Verspätung, nach rund 4 Stunden Nonstop-Flug in Hannover.

Diese Lösung war jetzt auf dieser Strecke mein Favorit in der dann und wann mal auftretenden Sprit-Diskussion. Auf über 100 Flügen musste ich zweimal zu meinem Wort stehen und in Sevilla landen.


Das vertrat ich dann auch als „Kapitäns-Entscheidung“ ohne Zögern mit guten Argumenten bei der Flugleitung, denn: ich war der Kapitän und trug die Verantwortung nach oben.

So brachte ich alles unter einen Hut: den Einwand der jungen Pilot/innen und den Wirtschaftlichkeitsanspruch der Airline, ohne durch „atmosphärische Störungen“ im Cockpit die Sicherheit zu gefährden.

Denn: genau durch solche Kommunikations-Barrieren sind vor dem CRM zahlreiche fatale Unfälle passiert.

Thomas Fengler

Meine Mission: Spitzenleistung und Zufriedenheit in allen Hierarchien in der Führungspraxis beweisen

7 Jahre

Vielen Dank Michael Novotny. Piloten werden ja in einem Assessment-Prozess ausgewählt. Und hier fallen bei den großen Airlines 80% der Bewerber nicht wegen fachlicher oder gesundheitlicher Eignung durch, sondern wegen einem zum Pilotenberuf in der betreffenden Airline nicht passenden Persönlichkeitsprofil. Es kann und sollte ja auch nicht jeder Führungskraft werden. Führungskräfte können trotzdem in fast jeder Situation einen Konflikt damit entschärfen. Auch dann, wenn das Gegenüber nicht darin geschult ist. Ich nutze FOR-DEC schon sehr lange in der Mediation und in Interimsmandaten. Die Erfolgsquote liegt fast bei 100%. Das heißt, es werden Arbeitsprozesse bei Trennungen vermieden ohne das es zu teuer wird, Betriebsräte wieder integriert, für das Unternehmen wertvolle Mitarbeiter gehalten und innere Kündigungen vermieden. Daher trainieren wir in letzter Zeit auch Juristen in personalverantwortlicher Position häufig genau in diesem Prozess. Das Unternehmen wird damit mittelfristig, manchmal sogar sehr kurzfristig, deutlich effizienter. Hier herrschen in Personal- und HR-Abteilungen, aber auch bei so manchen Geschäftsleitungen Defizite, die eine Menge Stress verursachen und dem Unternehmen teils erheblich schaden.

Michael Novotny

Projektmanager Bau und Immobilien, Kommunikations- und Wirtschaftstrainer, Bildungsmanager Qualitätsbeauftragter

7 Jahre

Wieder ein inspirierender Artikel! Danke, Thomas Fengler. Das ist ein sehr anschauliches Beispiel wobei ich da in einem Aspekt doch die Frage stelle, wie es in diesem Prozess verhindert werden soll, und damit ziele ich auf die "Vorbildung", dass der Co den Ablauf einhält? Klar, das wird sicher bis zum Zusammenbruch geübt, schon vorher, ABER: Wie sichere ich die charakterliche Stärke, die zu einer kooperativen Entscheidungsfindung nötig ist. Das verlangt sehr viel: Kommunikationskompetenz, Konfliktfähigkeit, Ruhe, Ausgeglichenheit ... Die Methode kann man lernen, aber wie sieht es mit der Persönlichkeit aus? John Rambo und Mahatma Ghandi würden in jedem Falle unterschiedlich agieren, auch auf Basis CRM. Wie wird die Persönlichkeit in das System integriert?

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Thomas Fengler

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen