Tbd & tbc: 3 Thesen zum Thema Problemlösen im Beruf
think outside the box. (Foto von Ryanniel Masucol von Pexels)

Tbd & tbc: 3 Thesen zum Thema Problemlösen im Beruf

„Wir haben keine Probleme, wir haben Herausforderungen - diese Floskel kann doch keiner mehr hören!“ 

So beginnt mein erstes Interview. Ich halte kurz inne. Top, das wird spannend, denke ich. Und stelle meine erste Frage: „Was ist denn Problemlösen eigentlich für dich?“ In fünf Gesprächen mit sechs Personen komme ich der Antwort näher. Meine Interviewpartner:innen kommen aus verschiedenen Fachbereichen, haben unterschiedliche Arbeitsverhältnisse und Rollen. Was sie vereint: Sie befassen sich beruflich mit den Herausforderungen und Ideen Anderer. Sie sollen z.B. ein Produkt entwickeln, Daten nutzbar machen, Ideen validieren, Personal weiterentwickeln oder die Organisationskultur verändern. Ich will verstehen: Was macht Menschen aus, die Probleme dieser Art lösen? Aus den Gesprächen entstehen drei Thesen, die ich - ergänzt um spannende Learnings meiner Interviewpartner:innen - hier zur Diskussion stelle.


These 1: Problemlösen ist Liebe fürs Problem, nicht für die Lösung.

Wir assoziieren mit dem Begriff „Problem“ häufig direkt „Lösung“. Probleme müssen gelöst werden. Stimmt, nur eben nicht direkt. Gute Problemlöser:innen befassen sich mindestens so ausgiebig mit dem Problem, wie mit der zukünftigen Lösung. Ihre Arbeit beginnt mit einer Analyse der Problemstellung: Ist das hier wirklich ein Problem? Der weitere Weg ergibt sich iterativ.

Beispiel aus einem Interview:

Ein Human Resources (HR) Team wollte die Personalvermittlung neu denken, indem sie durch eine digitale Plattform die HR Abteilungen mittelständischer Unternehmen mit weiblichen „High Potentials“ zusammenbringen. Die erste Frage der für das Projekt beauftragen Problemlöser:innen war: „Haben Sie sich mit den beiden Zielgruppen auseinandergesetzt?“ Und die erschreckende Antwort des HR Teams:„Nein, denn wir sind ja Profis im HR-Bereich.“ Autsch. Mag sein, aber der Spruch „you are not your user“ sticht in der Realität die Expertise. Folglich fand zunächst eine fundierte Problemanalyse statt, bei der die Problemlöser:innen den Schwierigkeiten, den Wünschen und dem aktuellen Verhalten der beiden Zielgruppen Schritt für Schritt näher kamen. Long Story short: Es existierte kein Bedarf an so einer Plattform. Das HR Team sparte 100.000€, indem es die Projektidee verwarf. 

Hätte sich das beauftragte Beratungsteam nicht ausgiebig mit dem Problem befasst, sondern direkt die Lösungsidee aufgegriffen, wäre ein Produkt entstanden, das niemand braucht. Die Kunst ist es also, nicht in lösungsorientiertes Denken zu verfallen. Nicht direkt ein glossy Ergebnis zu designen. Sondern sich ausgiebig mit dem Problem zu befassen. 

Und dazu braucht es drei weitere Dinge: Fähigkeiten, Methodik und eine gewisse Haltung. 


These 2: Problemlösen ist eine Kombination von Fähigkeiten & Methodik. 

Während der Problemanalyse verändert sich das Problemverständnis. Manchmal vergrößert, versandet oder verändert sich das Problem. Problemlöser:innen können damit umgehen, denn sie nutzen sowohl ein bestimmtes Set an Fähigkeiten als auch eine methodische Vorgehensweise.  

Beispiele von Fähigkeiten aus den Interviews:

Eine Runde ernst gemeintes Buzzword-Bingo: Empathie! Die Fähigkeit und Bereitschaft, sich sowohl in die Stakeholder (Kund:innen, Chef:innen, Partner:innen, Teams) als auch in die Zielgruppe/n hineinzuversetzen, ist Gold wert. Weit oben steht auch das Zuhören - und zwar primär mit der Absicht zu verstehen, statt die eigene Meinung kund zu tun. Um das Gehörte in nächste Schritte zu verwandeln, brauchen wir die Fähigkeit, Muster zu erkennen sowie Mechanismen von anderen Kontexten (Unternehmen, Industrien, Privatleben,…) zu übertragen. Zudem hilft es, alle Informationen zunächst als Hypothesen und nicht als Fakten zu verstehen. Und um diese Hypothesen zu bearbeiten, ist neben Flexibilität und Pragmatismus eine strukturierte Arbeitsweise inklusive eines „Methodenkoffers“ wichtig. Here you go:

Grundgerüst der Methodik aus den Interviews:

1) Ausgiebige Problemanalyse

  • Annahmen bzw. Hypothesen bilden: „Was existiert schon?“
  • Basiswissen verschriftlichen und Ziel definieren, z.B. anhand eines Lean Canvas
  • Zielgruppe/n definieren: „Wer ist im Fokus unseres Problems?“, z.B. Persona
  • Markt bzw. Wettbewerb analysieren, Marktpotenzial bestimmen
  • Problemfokussiert User Research betreiben, Zielgruppe/n greifbar machen, z.B. Interviews, Workshops

2) Erstes Lösungskonzept

  • Potenziale erarbeiten: „Wie sieht eine potenzielle Lösung aus?“, z.B. Ideation Workshops, Design Thinking
  • Alternativen entwickeln, nicht bei der ersten Idee stoppen, z.B. Brainwriting
  • Vielversprechendste Idee skizzieren, ggf. weiteren Research durchführen

3) Iterative Umsetzung

  • Konzept validieren, z.B. Fassade bauen (z.B. Website, Ads, Flyer, Pitch, …) und/oder aktiv mit der Zielgruppe interagieren (z.B. Surveys, Interviews, Prototyping)
  • Iterative Entwicklung der Lösung (bei Software z.B. Research, Feature-Idee, Workflow Integration, Wireframes, Klickdummies, Tests, Anpassungen, Design Specifications, Development) 

(A.d.R.: Manchmal beginnen Problemlöser:innen auf externen Wunsch hin bei 3 und springen dann „zurück“ zu 1, weil sich die grandiose Idee als Flop herausstellt ;) )

Beispiel aus einem Interview

Ein Unternehmen suchte eine Idee, wie es eine große Menge an Satellitendaten sinnvoll nutzen kann. Aufgrund der Komplexität des Problems bestand das zuständige Team aus einer interdisziplinären Kombination verschiedener Rollen: Research, Data, Design, Development, Project Management. Diese Rollen befolgten die obigen Steps (so oder ähnlich, es ist ja nur ein grobes Gerüst) und gelangten durch ausreichend Zeit für Step 1 dann in Step 3 zur fertigen Website mit nutzbaren Daten für eine spezifische Zielgruppe.

Die passenden Fähigkeiten und Methoden am Start zu haben ist eine Seite der Medaille (yes, eine Floskel!). Richtig gute Problemlöser:innen haben noch etwas gemeinsam: Eine Haltung.


These 3: Problemlösen ist Sidekick statt Held:in sein.

Erfolgreiche Problemlöser:innen explorieren gern, z.B. den bereits erwähnten Problemraum. Sie sehnen sich nach Abwechslung und Herausforderung, sie bringen Experimentierfreude und Neugier in jedes neue Projekt. Sie wollen Dinge verstehen, haben Interesse, fragen nach dem „Warum“. Sie graben nach dem drunterliegenden Problem, statt im Lösungsraum zu schwelgen. Sie wissen, dass Problemlösen das Gegenteil von Ideenhaben ist. Dabei legen sie eine nahezu demütige Haltung an den Tag: Sie (er-)kennen ihre eigenen Kompetenzen und Limitationen. Sie sind nicht Held:in der Geschichte. Sie sind eine Art Reisebegleitung. Ihr Wert liegt darin, dass jemand anders befähigt wird - ob zum Kickstart oder zum Feuerlöschen. 


In kurz & knapp aka tl;dr 

Wer Probleme sinnvoll lösen möchte, sollte sich sowohl gern als auch ausgiebig mit dem Problem befassen, statt direkt zum Lösungsraum überzugehen. Gute Problemlöser:innen arbeiten strukturiert, sie haben bestimmte Fähigkeiten und nutzen je nach Kontext die passende Methode. Zudem bringen sie die Haltung „befähigen statt bevormunden“ mit und sind im Problemlöseprozess Sidekick statt Held:in.

Für mich bedeutet Problemlösen, loszulassen. Loslassen der angestrebten Geradlinigkeit, Loslassen der vorgedachten Lösungen, Loslassen der eigenen Wichtigkeit.


Wie sieht’s aus, Kopfnicken oder Stirnrunzeln? 

So oder so gibt’s hier ergänzend zu den Thesen noch ein paar Erfahrungen und Tipps der wunderbaren Menschen, die mir im Jahr 2020 ihre Sichtweise auf das Thema Problemlösen im preisgaben:

  • „Problemlösen ist kein linearer Prozess, da findet viel parallel statt und dann geht man nochmal „rückwärts“ in Richtung Problem statt Lösung.“ (Jacob Chromy) Kundinnen nehmen sich selten genug Zeit für Analyse, sie wollen schnell eine Lösung. Zielt nicht auf ein offensichtliches Konzept oder eine effiziente Lösung ab – Analyse heißt das Schlüsselwort.
  • Man kann eine Idee nicht Konzept nennen, bevor man sie nicht geprüft hat.“ (Anna Groos) Klare Empfehlung: Baut kein Produkt und setzt keine Ideen im Unternehmen um, ohne ordentlich Research durchgeführt zu haben.
  • „Es ist mindestens 50% verstehen. Und maximal 50% lösen.“ (Thanh Schrader-Nguyen) Die meisten Kundinnen kommen nicht mit einem zu ergründenden Problem auf euch zu. Sie wollen eine bestehende Idee validieren oder aus Assets (Daten, Zielgruppe, Idee) eine Lösung generieren. Versteht das Problem, nicht die Lösung.
  • „Die Steps sind im groben immer die gleichen! Egal, um was für ein Problem es sich handelt, ob Team, Unternehmen, Produkt.“ (Sven Giebler) Haltet z.B. die Kundin so nah am Projekt wie möglich. Integriert sie bestenfalls fest als Mitglied ins Team. Das schafft konstantes Verständnis auf Kundenseite und ermöglicht schnellen Zugriff auf die für die Projektphase entscheidende Person.
  • „Die Kunst ist, herauszufinden, was oder wo die ursprüngliche Belastung ist. Das offensichtliche Problem ist nämlich nicht der größte Hebel.“ (Nadine Nobile) Hört zu. Und zwar wirklich. Zuhören ist nur dann wirklich erfolgreich, wenn es mit der Absicht geschieht, verstehen zu wollen – und nicht, um zu antworten.
  • Ohne Worte weitere Worte: „Sometimes it’s thinking outside the box and sometimes it's muting your monkey mind.” (Alex Bleau)


Nadine Nobile

New Pay Pionierin, Autorin und Impulsgeberin | Gestalterin kollaborativer Vergütungssysteme | Enthusiastin partizipativer Arbeitswelten | Feministin

3 Jahre

Liebe Juliana, vielen Dank fürs Teilen Deiner Erfahrungen un Deiner Erkenntnisse aus deinen Interviews. Ich hab das Gespräch mit Dir sehr genossen. Deine Fragen waren mindestens so inspirierend wie die Antworten, die ich geben durfte. Danke fürs Zuhören, Hinhören und Verdichten all der wertvollen Beiträge.

Sven Giebler

Digitalberater | Strategieberater | Potenzialentfalter für Menschen & Marken | Gründer digitalberatung.de | Trainer 121WATT | Autor Litello | Certified LinkedIn Marketing Insider (Ex: Chefkoch, Computerbild, AOL)

3 Jahre

Vielen Dank für den spannenden Artikel und die Zusammenfassung der Thesen, die du auf Basis deiner Interviews entwickelt hast, Juliana! Ich freue mich, Teil des Prozesses gewesen zu sein. These 3, "Problemlösen ist Sidekick statt Held:in sein", gefällt mir besonders gut. Die Frage nach dem "Warum" wird immer noch viel zu selten gestellt. Passend dazu ein Zitat von Simon Sinek, das mich noch immer beschäftigt: "Being the 'idiot' in the room could end up being an act of service for others." Fazit: Wir sollten alle mehr Fragen stellen - und der Antwortenden aufmerksam zuhören. Nicht um zu reagieren, sondern um zu verstehen!

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