Was tun – wenn der Markt unerbittlich Tempo und Höchstleistung fordert – doch die Menschen in Unternehmen angestrengt oder gar erschöpft sind?
Matthias zur Bonsen und Jutta Herzog, all in one spirit
Wahrscheinlich kann das Lied von einer turbo-schnellen VUCA-Welt bald keiner mehr hören. Doch die Beschleunigung von Veränderungen ist Fakt. Dieses Beispiel macht’s deutlich: Produkte, die durch Influencer quasi über Nacht zum Renner werden, müssen schon Tage später hunderttausendfach lieferbar sein. Industrielle Abnehmer, die früher mit genug Vorlauf bestellt haben, ordern immer kurzfristiger und kaufen dann manchmal unerwartet kleine oder unerwartet große und dann kaum zu bewältigende Mengen… Wir sind in turbulenten Gewässern unterwegs – und eine Beruhigung ist nicht in Sicht.
Das führt dazu, dass die Menschen in Unternehmen, um den gestellten Forderungen gerecht zu werden, sich ins Hamsterrad stürzen und rennen – meist, ohne ausreichend innezuhalten. Dieses unablässige Rennen zehrt, auch wenn man es selbst vielleicht nicht merkt, da der angestrengte und angespannte Zustand als ganz normal und notwendig erscheint. Das Hamsterrad laugt aus, lässt uns den Kontakt zur eigenen Kraft verlieren, schneidet uns von unserer Intuition ab, verstopft den Kanal zu den richtigen, genau jetzt passenden Ideen und verringert den psychischen Spielraum, den es so dringend braucht, um mit all den urplötzlich auftretenden Schwierigkeiten zurecht zu kommen. Es macht manchmal sogar krank oder bringt uns an den Rand eines Burn-Outs. Das gilt für sehr viele. Und das gilt auch für die oberen und obersten Führungskräfte, die ihren übervollen ToDo-Listen hinterherhecheln und back-to-back an einem Meeting nach dem anderen teilnehmen. Doch - einen Gang runter schalten und insgesamt langsamer werden, kann angesichts des dynamischen Umfelds die Lösung kaum sein ...
... was also tun?
Die Antwort auf das offenkundige Dilemma kann in zwei einfachen Worten gegeben werden: Raum öffnen.
Zwei Worte, die es in sich haben. Es geht darum, Raum in uns selbst zu öffnen und Raum für andere zu öffnen... letztendlich sogar für die ganze Organisation. Das klingt zunächst ab-strakt, ist aber eminent praktisch – sofern man weiß, was „Raum öffnen“ bedeutet und wie es geht. Und das: „Raum öffnen für uns selbst“ führt zu „Raum öffnen für andere“ führt zu „Raum öffnen für die ganze Organisation“. Es beginnt bei uns und breitet sich von uns selbst ausgehend weiter aus – wie Kreise auf einem Wasser, in das wir einen Stein warfen. Auf diesem Wege kann es zu einer Welle neuer Energie und Inspiration führen.
Der Raum, den wir für uns öffnen…
… ist ein innerer Raum, in dem wir zur Ruhe kommen ... uns innerlich ausdehnen ... und zugleich entspannter sind und auch aufmerksamer als sonst ... es ist ein Raum, in dem wir störende Gedanken und Gefühle abflauen lassend in Kontakt mit unserer Energie kommen ... mal ganz in Ruhe nachdenkend oder nachsinnend oder einfach offen für Intuitionen sind ... offen auch für jene Ideen und Impulse, die es genau jetzt braucht und die uns meist viel weiter bringen, als das ständige Rennen. Es würde uns in dieser turbulenten Zeit so viel besser gehen und wir wären so viel effektiver, wenn unsere Lebensenergie – Spirit – frei durch uns fließen könnte und wir in der Lage wären, die davon ausgehenden Impulse auch zu empfangen und umzusetzen. Wir wären dann immer wieder mal von einer guten Idee ergriffen und inspiriert und würden – vielleicht im Flow und anstrengungslos – alles zuerst zu Papier und dann zu den Kollegen bringen. Von den wenigen Menschen, die nahezu ständig so operieren und die vielleicht als Spitzensportler oder Künstler bekannt sind, sagen wir manchmal, dass sie eine „force of nature“ seien. Und dieser Ausdruck passt – denn die Kraft des Lebens bricht sich durch diese Menschen Bahn.
Bei den meisten von uns ist der innere Raum dafür nicht offen genug. Vielmehr ist er zugestellt durch ein Zuviel an unnötigen, ablenkenden Gedanken, abwertenden Urteilen, blockierenden Glaubenssätzen und kräftezehrenden Emotionen, die im Hamsterrad des Alltags nicht zur Ruhe kommen können. Auf welche Weise wir den Raum in uns dann aber wieder öffnen, das kann je nach Vorliebe sehr unterschiedlich sein. Der eine geht gerne in der Natur spazieren und versucht dabei, mit allen Sinnen präsent zu sein, aufzunehmen und Gedankenschleifen loszulassen (die Natur hilft sehr dabei). Andere gehen gänzlich im Klavierspiel auf, oder im Malen oder im Yoga oder beim Aikido oder beim Schreiben eines Tagebuchs... Was es auch sei: wir brauchen möglichst täglich etwas in dieser Art – etwas Meditatives – das uns wieder in einen guten Kontakt mit unserer Lebensenergie bringt, uns regeneriert und unsere psychische Bandbreite nach und nach und immer weiter ausdehnt.
Und was allein anspruchsvollen Berufen gleichermaßen benötigen, ist eine wöchentliche Zeit für Reflexion. Gemeint ist eine ruhige, abgeschirmte Zeit, um die oft überwältigend vielen ToDos und Vorhaben immer wieder neu zu sortieren, so dass wir uns anschließend unbelastet von Gedanken an, was sonst noch so im Hinterkopf drängt, vollständig der hier und jetzt aktuellen Aufgabe widmen können. Denn immer dann, wenn unsere vielen ToDos nicht zu hundert Prozent vollständig und gut sortiert notiert sind, wird unser innerer Raum beeinträchtigt und wir können nicht so aufmerksam und fokussiert sein, wie wir das brauchen. Es kommen dann immer wieder Gedanken an Dinge hoch, die wir auch noch tun müssten – und das kostet uns Kraft. Keiner hat das nach unserer Kenntnis so gut beschrieben wie David Allen in seinem zum Klassiker gewordenen Welt-Bestseller „Getting Things Done“. Allen betont, dass die Magie seines Vorgehens nicht in „Priorisierung“ oder „Zeitmanagement“, sondern darin liegt, einen Raum für ruhiges Nachdenken zu schaffen, das dann entlastet und den inneren Raum dafür schafft, in den nachfolgenden Tagen präsent und „im Flow“ zu sein.
Den Raum für andere zu öffnen…
… bedeutet, die oben genannten Qualitäten – diese entspannte Aufmerksamkeit, diesen Flow – auch in Gruppen, Projekten, Netzwerken und ganzen Organisationen zu fördern – doch zunächst vor allem in unseren Meetings. In Meetings mit 5 Leuten, 10 Leuten, 100 oder 500 Leuten. In Meetings, die 15 Minuten on-site oder drei Tage off-site dauern.
Den Raum für andere zu öffnen bedeutet, so wie mich selbst, auch die anderen in Kontakt mit sich und ihrer Lebensenergie zu bringen und Bedingungen zu schaffen, in denen diese Energie frei fließen kann. Wenn das gelingt, können Gruppen, je nachdem was gerade gefordert ist, Großartiges leisten – und das auf eine Weise, die die Gruppe zwar vielleicht müde macht, aber zugleich inspiriert – mit neuem Spirit versieht. „Flow“ kann anstrengend sein, doch er regeneriert zugleich.
Ein starkes (wenn auch vom Kontext her etwas spezielles) Beispiel dafür hat ein Psychiater berichtet, der im Zweiten Weltkrieg als ärztlicher Beobachter die B17-Bomber der Achten Amerikanischen Luftflotte bei ihren Flügen über Deutschland begleitete. Er war bei einem Einsatz zugegen, in dessen Verlauf der Bomber sowie die Mannschaft so sehr mitgenommen wurden, dass eine Rettung nicht mehr möglich schien. Der Psychiater hatte bereits die „Boden“-Persönlichkeiten dieser Mannschaft studiert und gefunden, dass sie eine große Vielfalt menschlicher Typen darstellten. Über ihr Verhalten im entscheidenden Augenblick berichtete er:
„Ihre Reaktionen waren bemerkenswert ähnlich. Während des heftigen Kampfes und in den dringenden Notfällen, die sich in seinem Lauf ereigneten, sprachen sie alle ruhig und genau am Bordtelefon und handelten entschlossen. Der Heckschütze, der rechte Mittelbordschütze und der Navigator wurden am Anfang des Kampfes schwer verwundet, alle drei erfüllten aber ihre Pflichten weiter, und zwar wirksam und ohne Unterbrechung. Die Hauptlast der Notarbeiten fiel dem Piloten, dem Mechaniker und dem Bugschützen zu. Sie arbeiteten alle rasch, leistungsfähig und ohne überflüssige Bewegungen. [...] Während man jede Minute die Katastrophe erwartete, wurden alternative Pläne klar festgelegt. Einziger Zweck derselben war die Sicherheit der gesamten Mannschaft. Alle waren jetzt ruhig, unauffällig munter und auf alles gefasst. Keinen Augenblick gab es Lähmung, Panik, unklares Denken, fehlerhaftes oder konfuses Urteilen, oder Eigennutz unter ihnen. Man hätte unmöglich aus ihrem Verhalten ableiten können, dass dieser ein Mensch wechselnder Stimmungen und jener sonst scheu, ruhig und introvertiert war. Sie wurden alle äußerlich ruhig, klar im Denken und rasch im Handeln.“
Auf dem angeschossenen B17-Bomber war es die drohende Todesgefahr, die schlagartig die Crew-Mitglieder ins Hier und Jetzt katapultierte, ihre ablenkenden Gedanken zur Ruhe kommen ließ und den Raum für „Spirit“ öffnete. Menschen, die Ähnliches erlebt haben, berichten, dass sie sich in dieser Situation wie von einem unsichtbaren Feld getragen fühlten und in jeder Sekunde genau wussten, was zu tun war. Dieses Feld stellt also nicht nur Energie, sondern auch intelligente Impulse zur Verfügung. Und wenn wir uns bewusst mit ihm verbinden – was jederzeit möglich ist – dann haben wir viel eher die punktgenau erforderlichen Eingebungen und Ideen, als ohne diesen inneren Schritt. Genau so etwas ist es, das in einer turbulenten Welt unbedingt gebraucht wird. Auch in einem jeden Meeting.
Wenn wir also jetzt zunächst beim Thema „Meetings“ bleiben, ergibt sich aus obiger Geschichte, dass wir schauen müssen, wie wir die Qualität des kohärenten Gruppen-Geistes, die auf diesem B17-Bomber wie von allein entstand, in jedem Meeting aktiv befördern können. Denn auch hier sollten alle hoch-aufmerksam und in gutem Kontakt mit sich, mit anderen und mit dem gemeinsamen Ziel sein. Alle sollten enorm gut zuhören, eher sogar aufmerksam lauschen können. Eine besondere Qualität von Dialog und gemeinsamem Denken sollte entstehen. Und – dieser Dialog sollte frei und ungehindert fließen. Das wird sich dann zwar oft nicht wie der „harmonische Flow“auf dem Bomber anfühlen, sondern in schwierigen Situationen durchaus auch wie Chaos, Konfusion und Konflikt. Vielleicht wird es sogar mächtig holpern. Doch genau aus diesem sich zunächst unangenehm anfühlenden Zustand kann eine neue, eine darunter liegende Ordnung emergieren – eben jene genau richtige Idee, welche es in diesem Moment braucht, die dann spontan von allen mitgetragen wird und die die ganze Gruppe deutlich nach vorne bringt. Dann ist der Flow in Form einer sehr zielgerichteten Energie da, und alle arbeiten harmonisch zusammen.
Was in Meetings alles getan werden kann und sollte, um den Raum wirklich zu öffnen, kann hier bei weitem nicht vollständig beschrieben werden. Aber die folgenden zwei kleinen Elemente eröffnen schon viel:
- Eine Minute Reflexion. Es ist traurige Praxis in fast allen Meetings, dass fast immer gleich losgeredet wird. Es gibt keinen Raum, um überhaupt erst einmal in einer gewissen Ruhe anzukommen, dann gelassen nachzudenken und auch zu erspüren, was vielleicht von Innen kommen will. Teilnehmer zu bitten, zuerst eine Minute über eine (sorgfältig formulierte) Fragestellung nachzudenken und sich dabei Notizen zu machen, ist das vielleicht am meisten unterschätzte und vernachlässigte Design-Element von Meetings – obwohl es im Grunde so einfach ist. Auch dies ist ein uns erschöpfender Ausdruck von ständigem Rennen ohne innezuhalten.
- Eine Redeobjekt-Runde. Darunter verstehen wir, dass zu Beginn eines Gesprächs über ein komplexes Thema erst einmal ein Redeobjekt herumgegeben wird – zuweilen auch erst nach einer einminütigen Reflexion. Es darf dann immer nur der sprechen, der gerade das Redeobjekt hat. Alle anderen sind aufmerksam und respektvoll zugewandte Lauschende, die zusammen den Raum für die eine sprechende Person geöffnet halten. So gelingt es dieser Person leichter, während des Sprechens auch nach Innen zu horchen, zu denken und nicht selten sogar ihr selbst ganz neue Sichtweisen oder Ideen zutage kommen zu lassen.
Räume in Meetings zu öffnen, beinhaltet unter anderem – das zeigen schon diese kleinen Beispiele – durch ganz einfache Strukturen zu entschleunigen. Nicht das ganze Meeting muss entschleunigt sein. Doch es braucht immer wieder Phasen der Entschleunigung – insbesondere, wenn eine Gruppe zu schnell geworden ist und man sich nicht mehr richtig zuhört oder wenn es eine wirklich kreative Lösung braucht. Jeff Bezos, Gründer von Amazon, beginnt seine Meetings sogar regelmäßig mit einer längeren Phase der Stille für Lesen und Nachdenken. Und wenn wir mehrtägige Off-sites mit Leitungsteams gestalten und moderieren, verbringen diese immer öfter mehrere Stunden (oder gar eine ganze Nacht) allein für sich in der freien Natur und sind dann überrascht, wie sehr dadurch die Qualität des anschließenden gemeinsamen Dialogs gesteigert und welche Kreativität freigesetzt wird…
…wie es das Bild oben symbolisiert. Dieses Bild steht für uns für die Qualität eines Dialogs, eines Denkens und eines Spirits, den Gruppen und Menschen in Meetings brauchen, um in der beschleunigten VUCA-Welt auf gute Weise wirksam sein zu können. Wir nutzen dafür gern zwei von uns besonders geschätzte und wertvolle Meeting-Methoden, mit denen man im hier beschriebenen Sinne Räume für kleine bis mittelgroße Gruppen öffnen kann. Es sind Thinking Circle und Dynamic Facilitation. (Mehr dazu am Ende des Artikels.)
Den Raum zu öffnen, hat, wenn es um Gruppen und Organisationen geht, eine umfassendere Bedeutung, als wenn es um uns selbst geht. In uns selbst wird der Raum durch innere Strukturen verstopft: unnötige Gedankenschleifen und emotionale Muster, die bei bestimmten Anstößen wie mechanisch ablaufen. Wenn aber ganze Gruppen von Menschen zu Meetings zusammen kommen, sind es annähernd immer auch äußere Strukturen, die den Raum zustellen: lange, rechteckige Tische, eine einengende Struktur des Gesprächs, keine stimulierende Form der Beteiligung, dass nicht alle mit im Raum sind, die es bräuchte, die (Un)Klarheit des gemeinsamen Zieles, vielleicht zu enge zeitliche Grenzen, keine Möglichkeit, die den Teilnehmenden wirklich wichtigen (und manchmal heiklen) Themen anzusprechen, Ansagen statt echter Fragen oder auch ein fensterloser, neon-beleuchteter, steriler Raum. Und zugleich fehlen oft jene Strukturen, die eine Öffnung des Raums unterstützen würden. Dazu kann neben einigem anderem zählen, dass man zusammen im Kreis sitzt. Denn keine andere geometrische Form unterstützt es mehr, dass alle aufmerksam bei der Sache sind und eine gemeinsame Energie in Fluss kommt.
In ganzen Organisationen sind dann noch sehr viel mehr Strukturen am Werk. Kaum eine von diesen ist per se schlecht. Die meisten werden gebraucht. Wir benötigen ein gewisses Maß an Hierarchie, wir brauchen physische Räume, fachlich spezialisierte Ab-teilungen, Standards und Regeln, Budgets, Kennzahlen und Berichte. Doch oft ist von einigem zu viel oder nicht richtig Passendes da. Und das verengt dann den Raum, führt zu zahllosen Frustrationen, trägt zur allgemeinen Ermüdung bei und stranguliert den Spirit.
Einen Quick Fix gibt es hierfür nicht. Statt dessen müssen Führungskräfte lernen, wie sich der Raum öffnen lässt – letztlich in der ganzen Organisation – doch zunächst mal in Meetings, Workshops und interaktiven Konferenzen. Eine ganze Reihe kleiner Stellhebel gehören dazu.
So sah das auch der Franzose Henri Lipmanowicz (Bild rechts), der 30 Jahre lang Landesgesellschaften und Regionen des amerikanischen Pharma-Riesen Merck leitete und dort zuletzt für fast den halben Globus zuständig war. Er empfand die Strukturen der üblichen Meetings bei Merck und anderswo als restriktiv. Er hatte beobachtet, dass Führungskräfte vor allem deshalb nicht offener, partizipativer und stimulierender vorgehen, weil sie die Werkzeuge dazu nicht kennen. So hat er mit seinem Partner Keith McCandless 33 von ihm so genannte Liberating Structures teils zusammengetragen und teils entwickelt. Es sind allesamt Raum-öffnende Strukturen, die es ermöglichen, mit kleinen, mittleren und großen Gruppen auf eine aktivierende, belebende und inspirierende Art zu arbeiten. Ein Teil seiner Sammlung besteht aus Werkzeugen, die schon vorher sehr bekannt wurden, wie beispielsweise Appreciative Inquiry, World Café und Open Space (welches das „Raum öffnen“ schon im Namen trägt).
Alle diese befreienden Methoden öffnen den Raum vor allem dadurch, dass sie äußere Barrieren beseitigen und damit effektive und zugleich menschengemäße Arbeitsformen anbieten. Doch mit allen diesen Werkzeugen können wir auch so arbeiten, dass wir phasenweise Entschleunigung und Reflexion evozieren und so auch den inneren Raum der Teilnehmenden ein Stück öffnen – öffnen für die Kraft der Inspiration.
Lipmanowicz und McCandless meinen, dass nicht nur Moderatoren, sondern auch Führungskräfte solche Methoden lernen sollten – und wir sehen das seit langem ebenso. Für interaktive Großgruppen-Konferenzen, mit denen sich im großen Stil Flow und Inspiration erzeugen lassen, ist die Unterstützung von Profis natürlich angemessen. Doch für die vielen kleineren Meetings und Workshops des Alltags brauchen die Führungskräfte selbst ein größeres Repertoire an Vorgehensweisen, als es ihnen in aller Regel heute zur Verfügung steht.
Den Raum schließlich für eine ganze Organisation zu öffnen…
… das heißt nicht notwendiger Weise, dass man gleich alle Strukturen verändert, Hierarchien abschafft und sofort massiv auf selbstorganisierende Teams setzt. Solche Veränderungen können auch nach und nach kommen. Oft ist es sinnvoller, damit zu beginnen, temporäre offene Räume zu schaffen. Räume, in denen die Grenzen zwischen Hierarchieebenen und Funktionen dann für eine Zeit von ein paar Stunden oder Tagen aufgehoben, ungeplante Begegnungen ermöglicht und Vernetzungen gefördert werden – wichtige Ingredienzien für Innovation und Inspiration. Solche Räume schafft man, wenn es um komplexe Themen geht, zu deren Bearbeitung mehr als nur ein Funktionsbereich und eine Ebene gebraucht werden.
Doch immer noch werden zu selten die erforderlichen 20, 30, 50 oder mehr Personen zusammengeholt. Mal, weil Führungskräfte die dafür erforderlichen Raum-öffnenden, befreienden Meeting-Strukturen gar nicht kennen und mal, weil sie sie nicht schätzen. Zuweilen aber auch sind sie überzeugt, es sei sinnvoll, eine Veränderung zuerst in einem kleinen Kreis „oben“ zu planen und diese dann auszurollen. Denn wenn man (Raum-öffnend) die Betroffenen in die Gestaltung einer Veränderung einbezieht, gibt man natürlich Kontrolle auf. Und bevor man auf diese Weise zu einer gemeinsamen Zielrichtung kommt, muss man vielleicht durch eine Phase, in der es knirscht und die sich chaotisch anfühlt. Doch auch mit einem „geschlosseneren“ und „kontrollierteren“ Vorgehen lässt sich das Chaos mitnichten verhindern. Denn früher oder später wird man seine Ideen ja anderen vorgeben. Und dann beginnt das Chaos – allerdings meist im Untergrund. Es zeigt sich als subversiver Widerstand und trägt zu Frustration und Ermüdung der Beteiligten bei.
Dass es wichtig ist, temporäre Räume gerade bei komplexen und herausfordernden Veränderungsvorhaben zu öffnen, darauf weist auch John P. Kotter, emeritierter Harvard Business School-Professor und weltweit anerkannte Change Management-Koryphäe, seit etwa 2010 verstärkt hin. Früher propagierte er ein eher lineares und vorgeordnetes Vorgehen, das sich im Rahmen üblicher Hierarchien und Projektmanagement-Strukturen abspielt – viel Struktur, wenig evolutionärer Entwicklungs-Raum (für wenig komplexe und gut planbare Projekte übrigens durchaus angemessen). In den Nuller-Jahren zeigten ihm aber seine empirischen Studien, dass die erfolgreichsten Veränderer in komplexen Situationen mit Netzwerken von Leidenschaftlichen und Freiwilligen arbeiten, die mit einer klaren Ausrichtung, jedoch ohne Führung durch einen formellen Chef, ohne formelle interne Hierarchie und mit enorm viel Freiraum agieren. Solche Netzwerke arbeiten dann für 12 oder 18 Monate parallel zur bestehenden Hierarchie – doch in Abstimmung mit dieser – in einem offenen Raum.
Wenn Menschen in Unternehmen auf solche oder ähnliche Weise erleben, wie sich schwierige Themen mit befreienden, Raum-öffnenden Meeting-Methoden zu guten Lösungen führen lassen und wie komplexe Veränderungsvorhaben mit befreienden, Raum-öffnenden Change-Methoden nicht nur besser, sondern auch irgendwie müheloser und eleganter vorankommen, dann entsteht fast automatisch der Wunsch, davon noch mehr in den Alltag zu integrieren. Und Menschen, die immer wieder in offenen Räumen arbeiten, werden über kurz oder lang ihre Organisation so anpassen, dass diese insgesamt organismischer werden und sich als Unternehmen ganz natürlich in Richtung Agilität neu erfinden.
Am meisten fehlt Spirit
Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Die Welt ist und bleibt aller Voraussicht nach turbulent und fordernd und wie wir damit in Unternehmen umgehen, zehrt. Überzeichnet ausgedrückt: wir rennen, arbeiten uninspiriert und ermüden.
Was uns bei all dem am meisten fehlt, ist ein Element, das wir kaum verstehen, noch weniger fassen können und das in Management-Büchern entsprechend selten vorkommt: Spirit.
Spirit ist weit mehr als Team Spirit. Spirit wirkte auf der B17 "Flying Fortress", als es dort um Leben und Tod ging. Spirit wirkt in uns, wenn wir wie im Flow arbeiten. Spirit ließ diesen Artikel entstehen. Spirit wirkt, wenn in einer Gruppe eine Lösung emergiert, die unerwartet auftaucht und sich dann bei allen als zutiefst stimmig anfühlt. Spirit wirkt aber auch schon, wenn wir nur eine Minute ruhig werden, zu einer uns wichtigen Frage nach Innen horchen und Gedanken aufsteigen lassen. Spirit gibt uns Energie – ein Gefühl von Lebendigkeit und Leichtigkeit. Und wenn diese Energie intensiv wird, erleben wir ein Gefühl von Getragen-sein. Spirit gibt uns aber auch gute Ideen und Impulse – die, die wir genau jetzt brauchen und die dann oft faszinierend anders und faszinierend effektiv sind. Man könnte auch sagen: Spirit ist das Leben, das sich durch uns Bahn brechen will. Wenn wir nur offen genug dafür sind. Dann surfen wir auf den Wellen der Veränderung.
Raum öffnen für Spirit – in uns selbst, in anderen und in der ganzen Organisation – ist eine Schlüsselaufgabe von uns allen. Haben wir gut genug verstanden, was das heißt?
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Wie weiter von hier?
Wenn Sie Mitglied einer Geschäftsleitung, eines Vorstands oder Senior Executive in einem großen Unternehmen sind
Exklusiv für diese Zielgruppe haben wir eine sehr besondere Lernerfahrung entwickelt, die einmal im Jahr am Rande der französischen Pyrenäen an einem von fast archaischer Natur umgebenen Kraftort stattfindet: die Leading with Life-Week.
„Die Energie der Week hat mich durch das ganze Jahr getragen“, sagte später ein teilnehmender CEO, der dann noch ein zweites Mal teilnahm. Die „Week“ ist nicht nur Seminar, sondern auch Retreat. Ein Höhepunkt darin ist ein etwa 20stündiger Aufenthalt allein in der Stille der Wildnis. Intensiver kann man den Raum in sich selbst kaum öffnen. Der Seminar-Teil der Weekdeckt dann das ab, was in diesem Artikel angesprochen wurde und noch mehr. Bei allem geht es darum, mehr „mit dem Leben“ und organismischer zu arbeiten, um letztlich das gebundene Potenzial der ganzen Organisation freizusetzen. Wir versprechen Ihnen viel Raum für Reflexion und Gespräch auf Augenhöhe mit KollegInnen aus den verschiedensten Organisationen, eine tiefgreifende Regeneration und belebende Inspiration.
Die ehemaligen Teilnehmer der Leading with Life-Week, die das wollen, treffen sich jedes Jahr im Oktober zu einem zweitägigen Leading with Life-ReSourceam Starnberger See, um weiter von- und miteinander und von uns zu lernen, Energie zu tanken und neuerlich Inspiration aufzunehmen.
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Wir lehren die meisten der angesprochenen Methoden. Informieren Sie sich hier.
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Betroffene zu Beteiligten machen!
3 JahreBomber: fragwürdiges Beispiel! Hätten sie sich „ Raum „ gegeben, so hätten sie die tödliche Mission gar nicht weiter ausgeführt und hätten umgedreht
Beraterin, Trainerin & Coach
4 JahreIch danke Euch für diesen wunderbaren Artikel, der mir schon nur beim Lesen Ruhe und Inspiration verschafft! Ich hatte das Glück, schon mehrfach an wie von Euch beschriebenen Räumen in Gruppen teilzunehmen oder solche Räume zu gestalten. Es war jedesmal eine bereichernde Erfahrung. Für mich sind das Sternstunden, wenn die Augen aller Beteiligten leuchten und wie aus dem Nichts gemeinsame Entscheidungen mit einem unglaublichen Commitment aller entstehen. Ich glaube, wir alle und unsere Organisationen brauchen mehr davon, um gemeinsam die bestmöglichen Lösungen zu finden und diese mit Freude am Tun umzusetzen!
Enabling people and organizations creating conditions to THRIVE Consulting. Training. Mentoring. GOOD VIBES. GOOD THRIVE.
4 JahreKlasse, ich öffne seit Jahren für mich und andere Räume, damit Alternativen möglich werden.
Founder DolphinUniverse, helping organizations worldwide leverage our expertise to build highly agile, productive teams, resulting in millions in added profit—now making this knowledge accessible to all.
4 JahreDanke Matthias zur Bonsen für den wirklich guten Artikel (auch wenn ich als Pazifist meine Herausforderung mit mitlitären Beispielen habe) .... das Bild mit dem Raum öffnen finde ich sehr wohltuend! Ich würde den Artikel noch um einen Gedanken ergänzen. Ja klar geht das Öffnen vor sich aus - aus der eigenen Person. Das ist wichtig - doch dann wird es spannend. Man ist als "ich" ja in einem "Wir" (meist Unternehmen) eingebunden und dann kommt die Frage - wie kann das Wir schnell und nachhaltig den Raum öffnen. Hier nur als Anregung - die Theory of Constraints (#TOC) kennt Konzepte z.B. wie man ganze Unternehmen schnell entlasten kann - Raum öffnen. Dann kommt aber noch etwas dazu - ein Signal, das jedem in diesem neuen Raum hilft jederzeit zu erkenne, worauf er sich fokussieren kann um für das Ganze den bestmöglichen Nutzen/Sinn zu erzielen. Dann kommt zum Raum noch die Ruhe und der Flow :-) In den letzten Jahren habe ich mich viel damit beschäftigt, wie Organisationen diesen Sprung machen können und das hat sicher viel Ähnlichkeit wie das was du am Rande der Berge machst - aber eben mit der ganzen Organisaton :-) Und nochmal top!artikel cu Wolfram the #BlueDolphin (s. https://blue-dolphin.world - gerade im entstehen aber schon quick lebendig)
Aus der Tiefe erneuern • Transformation begleiten • Spirit nähren
4 JahreZusammen mit meiner Ko-Autorin Jutta Herzog danke ich für die ersten positiven Reaktionen, das Sharen und Kommentieren unseres neuen Artikels. Sein Inhalt liegt uns sehr am Herzen. Er beschreibt, worum uns es zutiefst geht.