US-Wirtschaft: Harte Landung? Weiche Landung? Keine Landung!
Lange Zeit schien es eine ausgemachte Sache zu sein, dass die US-Wirtschaft vor einer Rezession steht. Die raschen und kräftigen Zinserhöhungen der Fed, die die kurzfristigen Renditen weit über das Niveau der langfristigen Renditen getrieben hatten, sprachen für dieses Szenario. Die Frage schien nur zu sein, ob es zu einer milden Rezession („weiche Landung“) oder einer schweren Rezession („harte Landung“) kommen würde. Im Laufe des Jahres hat sich das Wachstumstempo in den USA jedoch nicht verlangsamt, sondern wieder beschleunigt. Das hat auch die US-Notenbank registriert, die gerade ihre Wachstumsprognosen für dieses und nächstes Jahr nach oben korrigiert hat. Statt einer weichen oder harten Landung wird es wohl gar keine Landung geben.
Die von Bloomberg ausgewiesene Wahrscheinlichkeit für eine Rezession liegt allerdings immer noch deutlich über 50 Prozent. Sie ist für die kommenden 12 Monate zuletzt nur leicht von 65 auf 60 Prozent gesunken. Was ist der Grund für diesen kollektiven Irrtum?
Tatsächlich war die US-Geldpolitik nie so restriktiv, wie es auf den ersten Blick schien. Der reale Leitzins, gemessen an der aktuellen Kerninflationsrate, liegt erst seit Mai dieses Jahres im positiven Bereich. Die „financial conditions“, die neben den kurzfristigen Zinsen eine Reihe weiterer Finanzmarktvariablen umfassen, haben sich trotz der restriktiven Geldpolitik kaum verschärft.
Eine wichtige Stütze der Konjunktur sind zudem der robuste Arbeitsmarkt und der stabile private Konsum. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat die Arbeitsplatzsicherheit erhöht und die Konsumbereitschaft gestärkt. Steigende Löhne und sinkende Inflationsraten führten zu einem Anstieg der Realeinkommen. Zudem verschaffte der Abbau der pandemiebedingten Zwangsersparnis zusätzlichen finanziellen Spielraum.
Zwar hat vor allem das Verarbeitende Gewerbe in den letzten Monaten an Dynamik verloren, doch konnte dies durch die Erholung des Dienstleistungssektors kompensiert werden. Dies liegt vor allem daran, dass die Pandemie den amerikanischen Wirtschaftszyklus vorübergehend verzerrt hatte. Während der Pandemie stieg die Nachfrage nach Gütern, was der Industrie zugutekam. Mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft verlagerte sich die Nachfrage wieder auf Dienstleistungen.
Insgesamt spricht vieles dafür, dass das Wachstum der US-Wirtschaft im laufenden Quartal auf dem Niveau der beiden Vorquartale liegen wird. Ein Blick auf die Nowcasting-Modelle der regionalen Notenbanken von Atlanta, St. Louis und New York zeigt zwar recht große Divergenzen in den Schätzungen. Im Median liegt das prognostizierte annualisierte Wachstum für das laufende Quartal jedoch bei 2,27 Prozent.
Bis Jahresende wird das Wachstum in den USA allerdings von mehreren Faktoren belastet. Mit Blick auf die am Mittwoch veröffentlichten Leitzinsprojektionen behält sich die Fed eine weitere Zinserhöhung in diesem Jahr vor. Sollte die Kerninflation weiter zurückgehen, wird der reale Leitzins weiter steigen und damit die restriktive Wirkung der Geldpolitik zunehmen. Die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze ist zwar nach wie vor hoch, aber seit Jahresbeginn leicht rückläufig. Zudem scheint der Höhepunkt des Lohnwachstums überschritten zu sein. Zudem sind die pandemiebedingten Ersparnisüberschüsse aufgebraucht.
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Hinzu kommen drei weitere Faktoren, die das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal vorübergehend dämpfen könnten. Erstens läuft die während der Pandemie beschlossene Aussetzung der Rückzahlung von Studienkrediten aus. Ursprünglich wollte die Biden-Administration einen teilweisen Erlass der Studienkredite erreichen. Der Oberste Gerichtshof der USA erklärte dieses Vorhaben jedoch für verfassungswidrig. 40 Millionen Amerikaner hätten davon profitiert. Analysten von Goldman Sachs schätzen, dass dies das vierteljährliche BIP-Wachstum um annualisiert 0,5 Prozentpunkte verringern könnte.
Ein weiterer negativer Faktor könnte ein möglicher Government Shutdown sein. Die US-Denkfabrik Brookings hält dieses Szenario für wahrscheinlich. Je nach Dauer des Shutdowns könnte das annualisierte BIP-Quartalswachstum um bis zu 0,6 Prozentpunkte belastet werden.
Der dritte Belastungsfaktor ist der aktuelle Streik in der US-amerikanischen Automobilindustrie. Derzeit werden Werke von General Motors, Stellantis und Ford bestreikt. Die Gewerkschaft UAW fordert eine Lohnerhöhung von 36 Prozent über vier Jahre. Das bisherige Angebot der Arbeitgeber in Höhe von 20 Prozent lehnte die UAW ab. Schätzungen gehen davon aus, dass der Streik zwischen 0,05 und 0,1 Prozentpunkte pro Streikwoche kosten könnte. Je nach Dauer des Streiks könnte das Wachstum entsprechend belastet werden.
Auch wenn im vierten Quartal einige Belastungsfaktoren das US-Wachstum vorübergehend dämpfen werden, bleibt die Konjunktur in robuster Verfassung. Die Fed hat daher ihre Wachstumsprognosen für das laufende und das kommende Jahr auf 2,1 bzw. 1,5 Prozent angehoben. Gleichzeitig reduzierte sie in ihren Projektionen das notwendige Ausmaß einer Zinssenkung von 100 auf 50 Basispunkte. Während die EZB ihren Zinsschritt so kommentierte, dass der Markt keine weiteren Zinserhöhungen mehr einpreist („dovish hike“), wurde die Zinspause der Fed so kommuniziert, dass eine weitere Erhöhung in diesem Jahr möglich ist und im nächsten Jahr wenig Spielraum für Zinssenkungen besteht („hawkish pause“). Dies erklärt nicht nur den aktuellen Höhenflug des US-Dollar, sondern auch die derzeitige Schwäche der stark zinssensitiven Wachstumsaktien.
Die Konsumlaune in Deutschland ist jedenfalls im Keller. Doch "In Krisenzeiten suchen die Intelligenten nach Lösungen, während Idioten nach Schuldigen suchen."
Analyst bei NORD/LB
1 Jahr...in der Luftfahrt gibt es ja diesen bekannten Spruch: "Runter kommen sie immer..."! 😉