Weshalb Akademiker und Digitalarbeiter das Land verlassen
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Weshalb Akademiker und Digitalarbeiter das Land verlassen

Gestern fand eine Graduierungsfeier an der Donau-Universität in Krems statt. Es handelte sich um unsere Feier, für uns Absolventinnen und Absolventen des Masterstudienganges "Online Media Marketing, MSc". Zweieinhalb Jahre studieren, neue Erfahrungen gewinnen, noch eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreiben, bereichert durch neue Menschen und Einsichten fanden einen würdigen Abschluss.

Schon während der Fahrt nach Krems gingen mir Gedanken durch den Kopf, die ich zuletzt vor meiner Sponsionsfeier 1996 hatte. Ähnliche Erkenntnisse, Gefühle der Freude auf das Neue und Unbekannte vor mir. Wusste ich doch schon 2014, dass dieses Studium wichtig für mich werden sollte. Genauso wichtig, wie ich 1986 meinen Herzenswunsch des Germanistikstudiums in mir trug, zu dem sich vier Jahre später das Diplomstudium der Geografie gesellte.

Ja, ich studierte damals länger – es gab so viele interessante Themen, die bereits in Richtung der Digitalisierung wiesen (Datenfunk, GPS-Navigation, digitale Satellitenbildverarbeitung, Internet). Ja, ich trat erst Ende der 1990er Jahre in den studierten Beruf ein. Ja, man könnte mich deswegen beinahe als "Millennial" bezeichnen, ertappe ich mich doch selbst dabei, wie ein solcher zu fühlen, zu denken, zu handeln. Und doch gehe ich erst heute mit einem typischen Millennial-Beruf hinaus in die Welt, mit einem Studienabschluss für einen digitalen Beruf.

Akademiker benötigen einander

Dazwischen liegen mehr als 20 Jahre Erfahrung mit einer Arbeitswelt, die, je weiter weg von Städten, von lebenslangem Lernen nur ungern spricht. Die der Meinung ist, ein Studium sei überflüssig, vergeudete Zeit. Und überhaupt sei man als Akademiker ein hoffnungsloser Fall für die Praxis zu nichts nutze, weil viel zu gescheit und unpraktisch.

Zwischen damals und heute liegt aber auch die persönliche Erkenntnis, dass ein städtisches Umfeld nicht nur Akademiker und ausgezeichnete Bildungsinstitutionen hervorbringt, sondern diesen auch Lebens- und Wirkungsraum ist – ich meine damit urbane Räume ab 100.000 Einwohner. Nur dort gibt es die Jobs, nur dort stellt man sich für die Zukunft innovationsgetrieben auf, nur dort bringen Erkenntnisgewinne auch das Kultur- und Geistesleben voran. Man sollte sich als Akademiker nicht täuschen lassen, von ländlicher Idylle und Beschaulichkeit.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Diese Zeilen stellen keine Verurteilung des ländlichen Raumes dar. Ich möchte mit ihnen nur feststellen, dass die Systemwelten "Land" versus "Stadt" über differenzierte Geisteshaltungen und Handlungsmuster verfügen, deren Klüfte in den vergangenen 20 Jahren größer, tiefer und unüberwindbarer geworden sind.

Sie können dieses Aufspringen der Klüfte auch als "Landflucht" bezeichnen. Und erst heute verstehe ich, aufgrund zutiefst persönlicher Erfahrungen, was damit wirklich gemeint ist. Ja, es lebt sich am Land äußerst angenehm. Die Luft ist frisch, das Wasser ist klar, grüne Wiesen und dunkle Wälder atmen pure Idylle von Sommerfrische.

Als Akademiker kommt man aber im ländlichen Raum nur schwer voran – intellektuell, kulturell und wertebasiert bewegt man sich in eine Sackgasse. Irgendwie scheint mir diese Erkenntnis durch Gerlind Weber, emeritierte Professorin und Geografin an der Uni Wien, bestätigt. Eine Ihrer Studien vergleicht den Grad der Regionalentwicklung mit dem Akademikeranteil der Wohnbevölkerung am Land. Ergebnis: Wo Akademiker fehlen, werden Entwicklungsprojekte fast undurchführbar. Eine niedrige Akademikerquote hemmt die Entwicklungschance des ländlichen Raumes (siehe Gerlind Weber, Beispiel Nockbergeregion).

Und nicht nur das. Die abwehrende Haltung und negative Einstellung der vor-Ort-Bevölkerung gegenüber Akademikern, treibt den Brain-Drain im ländlichen Raum weiter voran, verursacht den Verlust qualitativer Jobs und der Infrastruktur (bestes Beispiel mangelnde medizinische Versorgung des ländlichen Raumes, fehlende Bildungseinrichtungen). Übrigens, eine neue OECD-Studie bescheinigt Menschen ohne Tertiärbildung (Hochschule, Universität) ein hohes Risiko, den Job durch die digitale Transformation zu verlieren (Quelle: ORF Bericht zur Studie). Als ob das nicht schon genug wäre, verleiht diese Studie den gering ausgebildeten (Pflichtschule, Lehre) und älteren Österreichern zudem das Attribut des Bildungsmuffels. Die wollen nicht, oder können sie nicht (mehr)?

Schlüsse, die ich daraus ziehe

Lebenslanges Lernen zahlt sich immer aus. Ganz besonders zahlt sich die Investition in eine digitale Berufsausbildung auf Hochschulniveau aus. Das durfte ich in den vergangen drei Jahren erfahren. Gleichzeitig fordert dieser Schritt aber zum Verlassen eines ländlichen Lebensplatzes auf. Weil man zu weit weg vom Schuss ist. Weil die Anbindung an das akademische Umfeld, an urbane Kultur und Geistesleben verloren geht. Und das ländliche Mondkalb einen solange anstarrt, bis man die Flucht ergreift und auf dieses Idyll zu pfeifen beginnt.

Vor 23 Jahren tat ich den Schritt hinaus aufs Land. Ich war der Meinung, man könne am Land leben und doch akademisch arbeiten. Studien und die persönliche Erfahrung lehrten mich jedoch das Gegenteil. Ich gehöre hier nicht hin. Digitale Jobs auf tertiärem Bildungsniveau brauchen die Stadt. Tertiär Ausgebildete benötigen sie ebenfalls. Also bereite ich den Schritt zurück ins Urbane vor und schreibe diesen ganz oben auf meine Lebensplan-Agenda.


Gehören Sie auch zu den tertiär Ausgebildeten? Leben Sie am Land oder in einem städtischen Raum? Wie erleben Sie sich als Akademiker*in in Bezug zu Ihrem Umfeld?

Christina Katefidis

Cross-Functional Expert | Bridging Strategic Thinking and Operational Hands-On Mentality

5 Jahre

Ich finde es am Land auch etwas mühsamer Gleichgesinnte zu finden - ich glaube aber nur deshalb, weil es eben insgesamt weniger davon gibt in Summe. Zu versuchen eine Arbeit am Land zu finden ist, wenn man sich in Richtung digitaler Job fortgebildet hat, aus meiner Sicht etwas eng gedacht, weil die Digitalisierung ja genau diese Grenzen aufhebt. Ich kann am Land sitzen und trotzdem für Berliner & Lissabonner Startups arbeiten, weil die Technologie es heute möglich macht. Und es gibt nicht wenige Firmen, die einen mittlerweile eine feste Anstellung auf remote Basis ermöglichen. Genauso sehe ich es mit der Fortbildung - das Internet ist voll davon! Erst gestern las ich ein Zitat von Naval: „Free education is abundant, all over the internet - it is the willingness to learn, that is scarce“. Heute kann man sich von überall aus so gut wie alles beibringen - und das teilweise kostenlos. Dass das Land und die Entscheider dort den Absprung zum Ausbau der nötigen Infrastruktur nicht versäumen finde ich extrem wichtig bzw. wird das der Grund der fortschreitenden Landflucht sein. Weil, wenn das Internet unstabil & langsam am Land ist, dann bringt mir auch mein Skillset nichts. Alles andere ist aus meiner Sicht vieeel Einstellungssache :)

Brigitte Pelwecki

Social Media Coaching für kleine Unternehmen

5 Jahre

Ja es ist schwieriger, sich in ländlichen Regionen intellektuell weiterzuentwickeln. Ja es ist mühsamer, etwa in örtlichen Bildungswerken neue Impulse zu setzen. Jede einzelne Person, die ich in meinem ländlichen Umfeld zu spannenden Diskussionen anregen kann ist eine Freude. Mein Landleben ist vielseitig und manchmal sind die Menschen enttäuschend unflexibel und hart. Aber ich lerne auch - zum Beispiel großzügiger zu werden und Geduld zu haben. Es gibt auch am Land Chancen und Möglichkeiten zur Entwicklung. Sie müssen nur gefunden und ergriffen werden.

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