10 Ansätze, die 100 mal besser sind, als die 42-Stunden Woche!

10 Ansätze, die 100 mal besser sind, als die 42-Stunden Woche!

42. So lautet die Antwort auf alle Fragen „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ in der Romanreihe „Per Anhalter durch die Galaxis“ aus dem Jahr 1979.

Über 40 Jahre später scheint sie für einige noch immer die verlockend einfache Antwort auf die komplexen Entwicklungen unserer Arbeitswelt zu sein. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Industrie, scheint es sich jedenfalls sehr einfach gemacht zu haben, als er kürzlich vorschlug, den Fachkräftemangel durch eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Stunden zu lösen und dabei auch gleich noch das Rentensystem zu sanieren. Ein Vorschlag, der einigermaßen irritiert. 

2022. Wir leben in einer Zeit, in der wir auch dank digitaler Technologie die Möglichkeit haben, weniger zu arbeiten als je zuvor. Wir leben inmitten von Ländern, die mutig und erfolgreich mit verkürzten Arbeitszeiten und Vier-Tage-Wochen experimentieren. Und wir sollen uns in Deutschland ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob wir nicht alle doch wieder ein bisschen mehr arbeiten sollten, so als hätte es Gallup sowie sämtliche Studien über steigende Burn-Outs, die Bedürfnisse der Gen Y und Z, Vereinbarkeit von Familie und Beruf usw. nie gegeben? Ist es nicht vielmehr höchste Zeit, weniger zu arbeiten, dafür aber besser und menschenfreundlicher? Wir finden: Absolut! Und zwar aus folgenden Gründen:

1. Genauso wenig wie sich jede Tätigkeit am besten in genau 40 Stunden erledigen lässt, lässt sie sich auch nicht in genau 42 Stunden erledigen. In einer hochkomplexen und sich schnell wandelnden Welt dürfen und müssen auch Aufgaben und Rollen in Bewegung bleiben und sich an neue Gegebenheiten anpassen, die sich im Außen ergeben oder im Leben der Mitarbeitenden selbst. Diese bekommen Kinder, pflegen Angehörige, engagieren sich für andere – alles Dinge, die schon beim so genannten „Vollzeit-Job“, wie wir ihn derzeit mit 40-Stunden haben, kaum zu bewältigen sind, ohne an die Grenzen der Belastbarkeit zu kommen. Statt noch mehr Arbeitszeit brauchen wir flexible und lebensphasenorientierte Modelle, im Rahmen derer Mitarbeitende ihre Arbeitszeit immer wieder anpassen können. 

2. Diese lebensphasenorientierten Modelle setzen eine Unternehmenskultur voraus, in der Mitarbeitende sich als „ganze Menschen“ zeigen können, mit dem, was sie können, aber auch mit dem, was sie brauchen und was ihnen außerhalb der Arbeit wichtig ist. Eine Kultur, in der nicht Konkurrenzdenken, sondern Kollaboration belohnt wird. In der es nicht darum geht, sich durch Abgrenzung und Horten von Exklusiv-Wissen unersetzbar zu machen, sondern ganz im Gegenteil: durch Transparenz, Wissenstransfer und geteilte Verantwortung dafür zu sorgen, dass Rollen und Verantwortlichkeiten in der Organisation wechseln können. 

3. Statt „42 Stunden für alle“ brauchen wir Job-Sharing auf allen Ebenen einer Organisation. Die Tandems müssen dabei selbst entscheiden dürfen, in welcher Konstellation und mit wie vielen Stunden sie ihre Rolle ausführen können und wollen. So können manche Aufgaben in 40, andere in 60 oder wieder andere in 80 Stunden am besten erfüllt werden. Die Aufteilung der Stunden muss dabei nicht hälftig erfolgen, sondern sollte sich an dem orientieren, was der oder die Einzelne leisten kann. Damit das funktioniert, brauchen Unternehmen Leitbilder und klare wie realistische Ziele für die einzelnen Teams und Tandems. Was Organisationen mit Sicherheit nicht brauchen, sind Menschen, die einen Stuhl zwei Stunden die Woche länger warmhalten. 

4. Denn wenn wir ehrlich sind, passiert doch genau das nach sechs oder sieben Stunden Arbeit: Die Produktivität sinkt. Und nicht nur das. Studien haben gezeigt, dass die Unfallgefahr nach acht Stunden täglicher Arbeit steigt, ebenso die krankheits- und verletzungsbedingten Ausfälle. Menschen arbeiten besser, wenn sie weniger arbeiten! Das zeigen auch Modellprojekte mit der 4-Tage-Woche in Ländern wie Großbritannien oder Island. 

5. Work smarter, not harder: Dank digitaler Technologie können wir heute Aufgaben, für die wir vor zehn Jahren noch Stunden oder Tage gebraucht hätten, binnen Minuten erledigen. Statt die freigewordene Zeit mit neuer Arbeit vollzustopfen, sollten wir sie nutzen, um zu lernen, um neue Kompetenzen im Umgang mit Digitalisierung zu erwerben und um gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wie wir alle weniger arbeiten können. Auch, damit wir Zeit haben, uns den großen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. 

6. Umweltschutz, Care-Arbeit, Bildung, soziales Engagement – diese Dinge kommen schon jetzt viel zu kurz oder lasten einseitig auf den Schultern vor allem von Frauen. Wir alle brauchen wieder mehr Zeit, um uns umeinander zu kümmern und um unser Leben bewusst und nachhaltig gestalten zu können. Wir brauchen Zeit für unsere Kinder, auch, um sie in dieser komplexen Welt zu begleiten. Wir brauchen Zeit, um regional einzukaufen, zu kochen, zu reparieren usw. Wir brauchen Zeit für die Oma und das Trainer*innen-Amt im heimischen Jugendsportverein. Denn auch hier – in den Care-Berufen, in der Bildung, im Ehrenamt – fehlt es an (Fach-)Kräften, Und auch hier werden wir niemanden mehr finden, wenn wir das Pensum erhöhen. Stattdessen brauchen wir Arbeitsbedingungen, die Raum für andere Bereiche des Lebens lassen. Dafür müssen Unternehmen endlich die Voraussetzungen schaffen, die allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Arbeit und zu einem wertschätzenden Arbeitsumfeld ermöglichen.

7. Müttern zum Beispiel, ohne dass sie als „Teilzeit-Mamis“ abgewertet oder gezielt von Führungsrollen ausgeschlossen werden, wenn sie weniger als 40 Stunden arbeiten. Viele Rollen lassen sich mit guter Struktur und Kommunikation in kürzerer Zeit wunderbar ausfüllen. Zudem haben Umfragen immer wieder gezeigt, dass Männer ihre Arbeitszeit gern reduzieren wollen, z.B. um mehr Zeit für die Familie zu haben. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kam zu dem Ergebnis, dass Männer am liebsten nur noch 36 Stunden arbeiten wollen. Mehr Verantwortung in Unternehmen für Frauen, weniger Arbeitsstunden für Männer – in Summe würden so beide produktiver und erfüllter arbeiten und hätten mehr Zeit, um sich auch die Care-Arbeit fair aufzuteilen.

Es gibt noch viele weitere brach liegende Potentiale. Menschen mit Behinderung etwa sind nach wie vor weitestgehend vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Nur 30 Prozent arbeiten außerhalb von Behindertenwerkstätten, in denen sie unter sich bleiben und massiv unterbezahlt werden. Fachkräfte aus dem Ausland wiederum müssen mitunter Jahre auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse oder eine Arbeitsgenehmigung warten. Von gelebter Diversität kann also längst keine Rede sein. Genau die brauchen Unternehmen aber, wenn sie zukünftig noch eine Rolle in der Welt spielen wollen. Sie brauchen die ganze Palette an gut ausgebildeten und/oder lernwilligen Menschen, die Lust haben, mitzugestalten. Sie gilt es, in die passenden Rollen und Stellen zu bringen.

8. Diese Passgenauigkeit herzustellen braucht vor allem eines: Zeit. Und zwar nicht mehr Wochenarbeitszeit auf dem Papier, sondern davon eher weniger, dafür aber richtig gut investierte Zeit. “Quality Time” eben, die HR-Mitarbeitende darauf verwenden können, sich mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen potentieller Kandidat*innen zu beschäftigen und diese mit den Aufgaben und Rollen im Unternehmen zusammenzubringen, die perfekt zu ihnen passen. Zeit auch, um mit interessanten Kandidat*innen geeignete Stellenprofile zu formen („Job Carving“). So können etwa Aufgaben umgeschichtet werden, sodass Stellen wunderbar auch von Menschen mit Behinderung ausgefüllt werden können. Bewegliche Rollen, eine Kultur, in der Wissen geteilt wird, miteinander vernetzte Mitarbeiter*innen, Talent Marktplätze sowie Upskilling und Reskilling-Angebote machen es möglich, dass jede und jeder sich entsprechend seiner oder ihrer Fähigkeiten im Unternehmen entwickeln kann. 

All diese Prozesse lassen sich wunderbar mit Hilfe smarter Technologie stützen. Unternehmen müssen nur endlich mal anfangen, sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auseinanderzusetzen, und zwar so, dass es den Menschen in der Organisation und potentiellen neuen Mitarbeiter*innen wirklich nützt. Sie können Routine-Tätigkeiten automatisieren, Menschen im besten Sinne ersetzbar machen und so neue Möglichkeiten in Bereichen schaffen, in denen der Mensch nicht ersetzbar ist. In der Interpretation von Daten zum Beispiel, im Aufbrechen von Denk- und Verhaltensmustern, in der Reflexion und im Schaffen menschlicher Verbindungen. Diese Dinge bilden auch die Voraussetzung, um die Technologie Schritt für Schritt immer besser zu machen. Der erste europäische „State of Candidate Experience Report“ hat erst kürzlich gezeigt, wie schlecht Unternehmen immer noch aufgestellt sind, wenn es um den Einsatz von KI auf Karriereseiten und im Bewerbungsprozess geht. 

9. Auch für andere Prozesse in Unternehmen muss fortan gelten: Was niemandem nützt oder Menschen unnötig in ihrem Handeln ausbremst, muss weg. Unternehmen müssen lernen, in Zielen zu denken und auf dem Weg dorthin Raum für Kreativität und Selbstwirksamkeit zu lassen. Schlanke Prozesse, Freiräume, Vernetzung, Vertrauen – all das zusammengenommen macht Menschen sehr wahrscheinlich sehr viel produktiver als eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit. 

10. Junge Menschen von heute werden nicht in Unternehmen von gestern, Führungskräften von vorgestern und mit Arbeitszeiten von vorvorgestern die Herausforderungen von morgen lösen. 

 Auf die Frage, wie wir Arbeit anders gestalten können, gibt es bereits viele tolle und zeitgemäße Antworten. Ein pauschales „42“ gehört mit Sicherheit nicht dazu. Lasst uns in der Beschäftigung mit den Fragen „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ nicht in alte Zeiten zurückfallen, sondern mutig nach vorn blicken in dem Vertrauen und dem Wissen, dass wir mit weniger Arbeit viel mehr erreichen können. 

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