Der Narwal und der Manager
Jeder kennt ihn – den Narwal. Lang ist sein Zahn und kalt seine Heimat. Auffällig an ihm ist auch die im Laufe der Evolution rückentwickelte, bei anderen Walarten vorhandene Rückenflosse. Sie verleiht ihm einen einzigartigen Vorteil. Er kann dadurch auch im flachen Wasser unter Eis schwimmen, wo ihm seine natürlichen Feinde, die Orcas, ihm aufgrund ihrer Rückenflosse nicht folgen können.
Nun verliert die Welt in den Gefilden des Polarmeers immer mehr ihren Eispanzer, insbesondere im küstennahen Bereich. Damit wird aus dem Narwal, einem hochspezialisierten Lebewesen, ein gejagtes Beutetier, welches noch im Rahmen des 21. JHDs von der Erdoberfläche verschwinden könnte.
Das Spezialistentum wird zum Verhängnis. Seine mangelnde Anpassungsfähigkeit wird dem Narwal zum Verhängnis, während andere Tierarten mit geringerem Spezialisierungsgrad sich besser anzupassen scheinen.
Spezialistentum und Robustheit hinsichtlich instabiler Lebensumstände scheinen sich gegenseitig auszuschließen.
Jeder kennt ihn – den Manager, ein rechter fescher Kerl halt. Und – das ist das Beste an ihm – man kann ihn im Katalog bestellen. Schaut man in die einschlägigen Quellen, den Stellenausschreibungen, so scheint der Manager ein Wesen zu sein, der sich wie ein chinesisches Essen im Restaurant verhält. Einmal die 76 als Vorspeise, dazu die 83 als Hauptgang und die 137 als Nachspeise. „Machen Sie mir bitte die 83 ein bisschen schärfer? Danke!“
Kurzum, Stellenausschreibungen lesen sich heute wie eine zum Alptraum gewordene Wunschliste. Dies, was verlangt und nicht selten auch geliefert wird, ist Ausdruck eines Denkens, daß nur der wahre Spezialist die Probleme lösen wird. Das Ergebnis: Hochspezialisierte Manager, die vor lauter Können und Erfahrung in der einen kleinen, feinen Nische Höchstleistungen zu erbringen imstande sind. Die Geister, die ich rief. Was in einer stabilen Ökosphäre gereicht, wird jedoch zum Problem, so sich der Kontext in Bewegung gerät.
Doch was passiert, wenn sich das Ökosystem ändert? Wenn auf einmal nichts mehr ist, wie es schon immer war, wenn das Eis an Küsten schmilzt und die Orcas kommen?
Wenn mal wieder einer VUCA schreit und es zu befürchten gilt, daß das Ohr nicht nur ein mehr oder weniger gutes Schlagwort vernimmt, sondern der Rufende gar recht haben könnte?
Daher meine Forderung nach robusten Managern, nach Menschen, die sich einen hohen Anpassungsdruck stellen und Menschen in Organisationen durch verschiedene, sich oft und schnell verändernde Phasen führen können. Spreche ich damit gegen ein Expertentum? Mit Sicherheit nicht. Es braucht nicht weniger Spezialisten einer Welt, deren komplexen Anforderungen es zu lösen gilt.
Aber es braucht ganz eindeutig ein Mehr an Menschen, deren Spezialistentum nicht im klassischen Sinne ausgeprägt ist – also der technischen Kaskade Branche-Unternehmensbereich-Abteilung-Hauptaufgabe-Nebenaufgabe folgt – sondern einer Spezialisierung, die durch sozial-evolutionäre Kriterien zu beschreiben sind.
Fazit: Es braucht ein Mehr an wesensfesten, krisenstabilen und zur ständigen Evolution befähigten Manager.
Und HR muss diese suchen und finden. Doch alle, die im Auswahlprozess von Managern eingebunden sind, müssen ihre Auswahlkriterien anpassen.
Danke Bodo Antonic für diesen sehr interessanten Blickwinkel auf die Parallelen zwischen Evolution und Ökonomie. Da die Evolution ein sehr guter Lehrmeister ist, werde ich diesen Aspekt bei der Strategieentwicklung zukünftig berücksichtigen müssen.
𝗦𝗼𝗳𝘁𝘄𝗮𝗿𝗲𝗲𝗻𝘁𝘄𝗶𝗰𝗸𝗹𝘂𝗻𝗴, 𝗖𝘆𝗯𝗲𝗿𝘀𝗶𝗰𝗵𝗲𝗿𝗵𝗲𝗶𝘁 & 𝗞𝗜 ✅ | Immer eine IT voraus
4 Jahre"sondern einer Spezialisierung, die durch sozial-evolutionäre Kriterien zu beschreiben sind." - absolut auf den Punkt gebracht. Vielen Dank für diesen anschaulichen Artikel.