Der Neubau-Vorschuss
Sebastian Schleich beschäftigt sich bei TransnetBW mit innovativen Ansätzen im Strommarkt. Mit dem Neubaukonzept liefert er einen Beitrag für die Weiterentwicklung des Strommarkt-Designs und die Plattform Klimaneutrales Stromsystem.
Herr Schleich, Ihre Themen sind das Strommarkt-Design der Zukunft und ganz konkret die Weiterentwicklung von Kapazitätsmechanismen und Reserven. Können Sie uns dazu mehr erzählen?
Gerne. Markt-Design bedeutet ja, Marktprozesse so auszugestalten, dass Verhaltensanreize für die einzelnen Marktteilnehmenden mit den gewünschten übergeordneten Zielen im Einklang stehen. Unser konkretes übergeordnetes Ziel ist, dass die Energiewende gelingt und dabei die Stromversorgung sicher bleibt.
Das heißt: Wir brauchen einen Rahmen, der den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze fördert und gleichzeitig dafür sorgt, dass in Anlagen investiert wird, die dann einspeisen, wenn zu wenig Strom aus Wind und Sonne entsteht. Das ist die gesicherte Leistung. Diese wird in Süddeutschland vor 2030 benötigt, um das Netz stabil zu halten und Netzengpässe zu vermeiden.
Und das Problem ist, dass zukünftig gesicherte Leistung fehlt?
Genau, wir stehen ja kurz vor dem Ausstieg von Kohle- und Kernkraftwerken. Damit geht viel gesicherte Leistung in den nächsten Jahren vom Netz. Der Neubau von flexiblen, klimafreundlichen Anlagen ist die Lösung. Leider finden sich derzeit kaum Investoren. Denn viele der regional dringend benötigten Kraftwerke würden nur wenige Stunden im Jahr marktgetrieben fahren.
Für die Investoren ist nicht transparent, wie häufig diese für den Redispatch angefordert werden, um das Netz stabil zu halten. Doch das ist eine relevante Größe für die Investitionsrechnung.
Denn an Standorten in Süddeutschland macht der Betrieb im „Dienste der Netzstabilisierung“ einen großen Teil der Betriebsstunden aus. Und für den Einsatz auf Anweisung des Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) erhält der Kraftwerksbetreiber eine Vergütung.
Was ist die Rolle von einem ÜNB wie TransnetBW?
TransnetBW betreibt selbst keine Kraftwerke, sondern sorgt dafür, dass Strom sicher von A nach B kommt und die Netze nicht überlastet werden. In der Regelzone von TransnetBW wird über die Hälfte der Hochfahrleistung zur Netzstabilisierung in Deutschland erbracht. Und das zu einem großen Teil von Kohlekraftwerken.
Wir fragen uns: Wie gelingt der Übergang hin zu sicheren, kosteneffizienten und klimafreundlicheren Werkzeugen?
Was ist die Idee des Neubau-Vorschusses?
Mit dem Neubau-Vorschuss schaffen wir Anreize für Investoren, an netzdienlichen Standorten in zusätzliche Marktkraftwerke zu investieren.
Die Idee ist einfach: Investoren bekommen einen Teil der Vergütung für den Redispatch-Einsatz bereits vor der Investition garantiert. Das ist der so genannte anteilige Werteverbrauch. Allein dadurch wird Investoren ein bedeutender Teil der Unsicherheit abgenommen, was zur Investitionsentscheidung führt.
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Und wie funktioniert das praktisch?
Wir haben die Modelle und die Erfahrung, um Prognosen aufzustellen, an welchen Standorten die Anlagen für die Netzstabilisierung gebraucht werden. Auf dieser Basis führen wir eine regionale Ausschreibung durch. So können sich potenzielle Betreiber für die garantierte Vergütung bewerben. Der Markt regelt den Rest. Den Zuschlag erhält der Betreiber mit den geringsten Investitionskosten.
Ist der Neubau-Vorschuss ein technologieoffener Ansatz?
Ja, jede klimafreundliche Technologie, die gesicherte Leistung bereitstellt und für den Redispatch geeignet ist, kann einsteigen. Denkbar sind zum Beispiel wasserstofffähige Gaskraftwerke oder Biogasanlagen.
Wie wird vergütet?
Die garantierte Vergütung umfasst die Betriebsstunden, in denen die Anlagen für Redispatch eingesetzt werden. Sie wird in Raten ausgezahlt und wie bislang auch auf die Netzentgelte umgelegt.
Wo liegen denn die Vorteile neben dem Investitionsanreiz?
Das Konzept kann schnell umgesetzt werden, da es ans bestehende Strommarkt-Design andockt. Das ist wichtig, damit wir rechtzeitig die benötigte Leitung ans Netz bekommen. Darin liegt der entscheidende Vorteil gegenüber anderen Konzepten wie Kapazitätsmärkten, deren Einführung in Frankreich oder Großbritannien ein halbes Jahrzehnt gedauert hat. Gleichzeitig entstehen durch den Neubau-Vorschuss keine Mehrkosten. Denn es wird auf eine bestehende Vergütungskomponente zurückgegriffen. Und letztendlich ist der Klimaaspekt ein wichtiger Baustein. Neue Gaskraftwerke müssen „H2 -ready“ geplant werden, damit von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden kann, sobald dieser in Süddeutschland ausreichend verfügbar ist.
Welche Herausforderungen sehen Sie?
Wenn wir von zusätzlichen Gaskraftwerken sprechen, ist die Brennstoffversorgung natürlich ein Thema. Die Gasversorgung bereitet der ganzen Nation Sorgen. Allerdings glauben wir, dass bis in die zweite Hälfte der 2020er-Jahre eine ausreichende Diversifizierung möglich ist. Dafür sprechen auch die mittelfristigen Markterwartungen, die von fallenden Gaspreisen ausgehen.
Was sind die nächsten Schritte, damit das Konzept Realität wird?
Unsere Ideen sollen in die von der Bundesregierung angekündigte Plattform Klimaneutrales Stromsystem einfließen. Dort wird die Diskussion um das Markt-Design in Deutschland geführt. Und natürlich suchen wir auch weiterhin Unterstützung, um unseren Ansatz zu realisieren.
Sie wollen mehr zum Neubaukonzept erfahren? Hier geht's zu unserem Impulspapier Neubau-Vorschuss (transnetbw.de).
Sie haben Fragen zum Konzept? Dann wenden Sie sich gerne direkt an Sebastian Schleich und Marina Schmid.