Drei Hebel für Bildungstransformation
Von Eva Keiffenheim, Bildungswissenschaftlerin und Aluma von Teach for Austria
In Bildungsdebatten wird oft davon gesprochen, dass Schulen aus einem dem überholten Modell des Industriezeitalters stammen und, dass 65 % der Grundschulkinder Berufe haben werden, die heute noch nicht existieren.
Häufig gibt es auch Ansätze, wie Veränderung aussehen könnte: offenere Lernräume, fächerübergreifende, kompetenzbasierte Lehrpläne oder personalisierte Lerntechnologien.
Eine Frage, die jedoch zu wenig Eingang in aktuelle Diskussionen findet, ist wie das alles erreicht werden kann. Was muss für einen Wandel von Bildungssystemen in Bewegung gebracht werden? Welche Hebel existieren, damit alle Kinder Bildungsgewinner*innen werden?
Durch meine Arbeit mit Big Change, einer NGO aus England, die sich als Katalysator für Bildungstransformation versteht, durfte ich mit Menschen und Organisationen sprechen, die sich diese Fragen seit Jahrzehnten stellen.
Darunter waren Vishal Taljera, Gründer von Dream a Dream, Kelly Young, Gründerin von Education Reimagined, Fred Swaniker, CEO der African Leadership Group, Andreas Schleicher, Leiter des Direktorats für Bildung bei der OECD und Wendy Kopp, Gründerin von Teach For All.
Was mich in den Gesprächen am meisten überrascht hat, war die Übereinstimmung, die zwischen den Interviewpartner*innen existierte. Sie alle haben durch ihre Organisationen und Standorte sehr unterschiedliche Einblicke in Bildungssysteme und teilen im Kern trotzdem ähnliche Ansichten.
Es herrscht beispielsweise Konsens darüber, dass es Transformation - und nicht Reformation - braucht. Viele Bildungssysteme befinden sich in einem nicht enden wollenden Reformprozess zur Verbesserung von Effizienz, Effektivität, und Gerechtigkeit. Dabei werden jedoch die bestehenden Systeme und Ziele weitgehend beibehalten. Um Lernen nachhaltig und in großem Maßstab zu verändern, müssen die Orte, in denen Lernen stattfindet, nicht nur reformiert, sondern transformiert werden. Nicht nur verbessert, sondern von Grund auf neu gedacht und gestaltet.
Aus dieser gemeinsamen Vision von Transformation haben sich die verschiedenen Menschen und Organisationen zusammengeschlossen, um eine "New Education Story" zu schreiben. Das Ergebnis ist eine Publikation, die sowohl Provokation wie auch Einladung ist. Sie beinhaltet die Erkenntnisse der diversen Gruppe, um das "Warum", das "Was", aber auch das "Wie" von skalierbarer Bildungstransformation darzulegen.
Im Kern werden drei Hebel für Transformation identifiziert:
1) Purpose (Zweck) – Eine Neubestimmung der Ziele und Wirkung von Bildung.
2) Power (Macht) – Eine Verschiebung des Mitbestimmungsrechts bei Entscheidungen.
3) Practice (Praxis) – Entwicklung von Innovationen mit dem größten Transformationspotenzial.
1) Purpose: Die Ziele und Wirkung von Bildung
Eine Transformation von Bildungssystemen muss mit der Frage des Zwecks beginnen. Unsere Bildungssysteme funktionieren aktuell – aber eben ausschließlich für den Zweck, für den sie erschaffen wurden (labour-efficient childcare, academic attainment, standardized and quantified outcomes). Für Veränderung brauchen wir neue Antworten auf den Zweck von Bildung.
Wendy Kopp, Gründerin von Teach For All, hat während der Vorstellung der Publikation deutlich gemacht, warum wir uns die Frage des Zwecks immer wieder stellen sollten:
„What initially brought us to this work was equity, ensuring that this education system with its implicit purpose, and goals is working for all kids. But we realized that would not be sufficient, and that we would need to work to ensure that the students in our classrooms are developing as leaders who can shape a better future for themselves and all of us. And we could say that at the global level that's going to be our orienting purpose.
But that's not sufficient, right?
Ultimately, we need to come together in every diverse community across the world, with diverse stakeholders, students and families and educators and other civic leaders and others to reflect on this question, what does this look like in our given community, to ensure that students in this community are developing as leaders who can shape a better future, considering our local values and, and culture and history, considering the actual challenges and opportunities.”
Empfohlen von LinkedIn
Ihr zufolge reicht es nicht aus, im bestehenden System für Chancengerechtigkeit zu arbeiten – vielmehr benötigt es ein Zusammenkommen von Schüler*innen, Lehrkräften, Erziehungsberechtigten, und anderen Stakeholdern, um den Zweck von Bildung im lokalen Kontext zu beantworten.
2) Power (Macht): Eine Verschiebung des Mitbestimmungsrechts bei Entscheidungen
In Bildungssystemen ist Macht wie ein Ei im Kuchen. Sie ist zwar vorhanden und zieht sich quer durch alle Schichten, ist aber kaum erkennbar. Es gibt „harte Macht“ - Lehrpläne, Prüfungen, Inspektionstabellen, als auch „weiche Macht“ - Annahmen, Werte und bestehende Denkweisen.
Steven Farr vom Teach For All Global Learning Lab hat einen Satz gesagt, der mir auch nach Monaten noch im Kopf geblieben ist:
„Who is deciding Why?“
Welche Antworten wir auf diese Frage erhalten, ist maßgeblich davon geprägt, wem wir sie stellen.
Wie kann das Mitspracherecht also inklusiver werden? Welche Möglichkeiten und Unterstützung gibt es für Schüler*innen, Lehrkräfte und Erziehungsberechtige, um an Entscheidungen über Lernen und Bildung mitzuwirken?
Junge Menschen werden im System oft als weniger mächtig mit den geringeren Ressourcen und der geringsten Erfahrung angesehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wir Erwachsenen sind das Ergebnis eines überholten Bildungssystems. Es ist sehr schwer, ein System zu ändern, das uns mit erschaffen hat. Daher sind wir auf die Ideen von jungen Menschen angewiesen und sollten ihnen mehr Mitsprache- und Entscheidungsrechte einräumen, um Lernräume von Grund auf neu zu denken.
3) Practice (Praxis): Entwicklung von Lerninnovationen mit dem größten Transformationspotenzial
Veränderungen in der Bildung sind nur dann möglich, wenn sich auch das, was im Klassenzimmer passiert, ändert. Bildung zu transformieren ist also nicht nur eine Innovationsherausforderung, sondern auch eine Umsetzungsherausforderung.
Ein Ansatzpunkt, der die Umsetzung vorantreiben kann, ist, wie der Prozess des Lernens gemessen und anerkannt wird. Was Schulen, Arbeitgeber und Universitäten messen bestimmt oft, wie Lehrkräfte unterrichten.
Durch die Integration eines breiteren Spektrums von Bewertungen und Möglichkeiten zur Anerkennung des Lernens in den Lernprozess können diese dazu beitragen, Transformation zu beschleunigen. Beispiele hierfür sind zum Beispiel technologieunterstütztes Echtzeitfeedback, das eine steilere Lernkurve ermöglicht oder schüler*innenzentrierte Bewertungsmodelle wie die „Blueprints“ der MUSE schools.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Stärkung der Verbindung zwischen Bildungswissenschaften und Unterrichtsmethoden. Das relativ neue Feld von „learning science“ kombiniert Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie, den Neurowissenschaften, der Hirnforschung und der Sozialpsychologie und bietet neue Möglichkeiten für die Transformation des Lernens und der Bildungssysteme.
Andreas Schleicher hat in unserem Interview dazu sehr treffende Worte für die Schnittstelle der verschiedenen Domänen gefunden:
„One of the important domains of scientific research into human learning is that of the interplay between cognitive development, achievement motivation, growth mindset and well-being. Wellbeing is now seen as shaping the social and emotional conditions for learning to be effective and sustainable. When the social and psychological climate is not optimal, learning will suffer.“
Natürlich reicht ein gemeinsames Statement zum Thema Bildungstransformation noch lange nicht, um die „New Education Story“ Wirklichkeit werden zu lassen. Im nächsten Schritt müssen derzeitige Entscheidungsträger*innen für Bildungstransformationen gewonnen werden, um gemeinsam mit jungen Menschen und deren Gemeinschaften eine neue Vision für Bildung zu kreieren.
Die gesamte „New Education Story“ gibt es hier und eine Zusammenfassung hier. Außerdem versende ich jeden Mittwoch den „Learn Letter,“ der kurze, anwendungsorientierte Erkenntnisse rund ums Lernen zusammenfasst.
Ein Text und dahinterstehender Research, der mich sehr zum Nachdenken gebracht hat und mich immer wieder anregt, meine eigenen Glaubenssätze zum Bildungssystem zu hinterfragen. Danke, Eva Keiffenheim
EdTech | Learning Design | AI Innovation
2 JahreGedanken, Ergänzungen & i-tüpfl reitn, direkt aus meiner Bubble ___ "Eine Transformation von Bildungssystemen muss mit der Frage des Zwecks beginnen. Unsere Bildungssysteme funktionieren aktuell – aber eben ausschließlich für den Zweck, für den sie erschaffen wurden (labour-efficient childcare, academic attainment, standardized and quantified outcomes). Für Veränderung brauchen wir neue Antworten auf den Zweck von Bildung." 1. Die Antwort ist dass wir Fragen brauchen, nicht Antworten. Wir brauchen Zwck und auch Nicht-Zweck. Stellen wir uns vor wir haben eine App die dir Alles sagt wie du es tun sollst, dass man das ganze Leben determiniert ein app-gesteuertes skript ist. Ich glaube nicht, dass das jemand will. ___ "Veränderungen in der Bildung sind nur dann möglich, wenn sich auch das, was im Klassenzimmer passiert, ändert." 1. Es muss nicht im Klassenzimmer sein. Zeit-Mind & auch -> Raum-Body sind Dimensionen die wir fürs Lernen nicht unterschätzen sollten wenn wir Piaget glauben _____ "Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Stärkung der Verbindung zwischen Bildungswissenschaften und Unterrichtsmethoden. Das relativ neue Feld von „learning science“ kombiniert Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie, den Neurowissenschaften, der Hirnforschung und der Sozialpsychologie und bietet neue Möglichkeiten für die Transformation des Lernens und der Bildungssysteme." 1. & AI, das hebelt den curse of unconscious knowledge ein wenig aus, wenn man frisch übers Lernen nachdenken kann ____ "Wellbeing is now seen as shaping the social and emotional conditions for learning to be effective and sustainable. When the social and psychological climate is not optimal, learning will suffer.“ 1. In diesem fall temporary Wellbeing -- oder langfristig gesehen auch genau das gegenteil, für die kreativität muss man ein wenig leiden. Wieso soll sich jemand ändern wenn die Welt für einen (relativ) gut funktioniert. 2. Pos/Neg Emotionen braucht man nicht, für was, was immer funktioniert und vorhersehbar ist. _____ Denke eine gute Bildung ist es, getrieben von Fragen, die eigene Schule bzw. das eigene Lernen zu Entwickeln ohne dass man den Weg & die Antworten vorgibt.
Familienbeziehungen prägen.
2 JahreDas "Big Change" Papier ist wirklich sehr gelungen - Gratuliere Eva!!