Fachkräftemangel ante portas - Die Rezepte sind bekannt, das Problem nicht gelöst
Ende August schreckte das Institut Prognos die Republik auf: Nach ihren Berechnungen würden im Jahr 2030 bis zu 3 Millionen qualifizierte Kräfte in Deutschland fehlen, im Jahr 2040 bereits 3,9 Millionen. Besonders groß werde die Lücke bei Menschen mit einem Berufsabschluss sein, aber auch bei Hochschulabsolventen herrsche Mangel. Der Grund für die Misere ist schnell ausgemacht: unsere älter werdende Gesellschaft. Trotz leicht steigender Geburtenrate gehen mehr Menschen in den Ruhestand als Junge auf den Arbeitsmarkt nachrücken.
Wer jetzt auf die Kollegen Roboter und Algorithmus hofft, wird enttäuscht. Zwar ändern sich in Zukunft die notwendigen Kompetenzprofile der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erheblich, die Arbeit abnehmen werden sie uns aber nicht.
Kein Problem von morgen: Handlungsbedarf schon heute
Ob die Zahlen nun auf die Nachkomma stimmen oder nicht, ist fast unerheblich. Weitgehende Einigkeit besteht unter Experten darin, dass wir mittelfristig deutlich mehr qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer suchen als auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. Wer sich bei deutschen Unternehmen umhört, bekommt vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen die Rückmeldung, dass sie in bestimmten Bereichen bereits heute händeringend nach guten Leuten suchen.
Der Blick in die Arbeitslosenstatistik belegt dies: Mit rund 2,5 Millionen Arbeitslosen bzw. einer Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent kommen wir in Richtung Vollbeschäftigung. Der Arbeitsmarkt ist in vielen Regionen der Republik leergefegt. Gut für Berufseinsteiger und Wechselwillige, weniger gut für die Unternehmen, die suchen.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung: Aufträge können nicht mehr abgearbeitet, innovative Produkte und Dienstleistungen nicht mehr entwickelt werden. Ob der Wirtschaftsstandort Deutschland damit gleich auf der Kippe steht, sei dahingestellt, Handlungsbedarf jedoch besteht. Nicht erst in zwanzig Jahren, sondern jetzt!
Die Rezepte liegen auf der Hand: Aktivierung, Qualifizierung, Zuzug
Die gute Nachricht ist, die Rezepte gegen den prognostizierten Fachkräftemangel liegen auf der Hand und sind bekannt: Aktivierung, Qualifizierung, Zuzug. Keine einfachen Aufgaben, zumal der Erfolg nicht garantiert ist. Auch wenn die Politik nicht allein verantwortlich ist für die Bewältigung dieser Herausforderung, es liegt doch ganz maßgeblich an ihr, die passenden Rahmenbedingungen zu setzen.
Die kommende Bundesregierung kann die Weichen richtig stellen, wenn sie den Mut besitzt und Koalitionsintern die notwendigen Kompromisse findet. Ganz einfach dürfte es, je nach Koalition, aber nicht werden.
Stichwort „Aktivierung“
Einen Teil der Lösung kennen viele Unternehmen schon, sogar persönlich. Beschäftigte, die nur in Teilzeit oder gar nicht mehr arbeiten. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigen hat sich in den letzten zwanzig Jahren fast verdoppelt auf nunmehr gut 15 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Zahl der Vollzeitkräfte dagegen ist auf 24 Millionen leicht gesunken. Auch die durchschnittlich gearbeiteten Wochenstunden sind auf 30 zurückgegangen. Durchaus Luft nach oben also.
Die Gründe für eine Teilzeitbeschäftigung sind ganz unterschiedliche: Ein Teil der Menschen will gar nicht mehr arbeiten, da sie ihre Prioritäten anders setzen und ihre ökonomische Situation es erlaubt. Sie zu aktivieren, dürfte schwerfallen. Sie können und wollen sich die Teilzeit, vielleicht auch die Auszeit oder Nicht-Berufstätigkeit schlicht leisten.
Ein weiterer Teil würde gerne (mehr) arbeiten, kann es aber nicht, da die Rahmenbedingungen es nicht zulassen bzw. eine Tätigkeit sich schlicht nicht lohnen würde. Ihnen fehlt es an umfassenden und bezahlbaren Betreuungsangeboten für ihre Kinder oder an der entsprechenden Unterstützung für zu pflegende Angehörige. Hier ist aus Sicht der Politik und Unternehmen durch kluge Konzepte wahrscheinlich am meisten zu holen.
Im Fokus der kommenden Regierung müssen neben dem fast schon obligatorisch geforderten Ausbau der Kinderbetreuung auch überzeugende Ideen für die Pflege kranker und alter Angehöriger stehen. Hier sieht jede Partei Handlungsbedarf.
Gefragt sind auch Konzepte, wie Arbeiten mobiler und flexibler gestaltet werden kann, so dass sich Familie und Beruf besser miteinander besser verbinden lassen. Fast alle Parteien haben diesen Aspekt in den Blick genommen, mit unterschiedlichen Ansätzen: Die FDP geht mit ihrem Flexibilisierungsgedanken am Weitesten, will entbürokratisieren und das Arbeitszeitgesetz aufbrechen. Die SPD hingegen will mit ihrem Wahlarbeitszeitgesetz vor allem die Rechte der Arbeitnehmer stärken.
Und noch ein Aspekt: Wer Frauen, und sie sind es, die zumeist Teilzeit arbeiten, motivieren will, mehr oder überhaupt zu arbeiten, muss ihnen zeigen, dass es sich lohnt. Nicht nur ökonomisch, sondern auch karrieretechnisch. Die Frauenquote wie in der vergangenen Legislaturperiode eingeführt ist da sicherlich nur ein kleiner Baustein. In Frage gestellt wird sie von keiner der etablierten Parteien. Auseinander geht aber die Meinung, wie umfassend sie sein darf.
Bei den Teilzeitarbeitenden gibt es auch die, und auch das gehört zur Wahrheit, die gerne mehr arbeiten würden, aber nicht dürfen, da ihnen ihre Arbeitgeber die Möglichkeit die Stunden zu erhöhen verwehren. Ob das von der SPD geforderte Rückkehrrecht aus der Teilzeit in die Vollzeit, das vor einigen Monaten schon einmal am Widerstand der Union gescheitert ist, hier wirklich helfen kann, ist fraglich. Gut qualifizierte Arbeitskräfte dürften es in Zukunft durchaus leichter haben, ihren Wunsch nach einem Mehr an Arbeitsstunden durchzusetzen – im eigenen Unternehmen oder auf einer neuen Stelle.
Stichwort „Qualifizierung“
Trotz sinkender Arbeitslosenzahlen bleibt die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit gut einer Millionen Menschen relativ konstant. Dies sind Menschen, die von der guten Konjunktur aus unterschiedlichen Gründen nicht profitieren können und über längere Zeit auf Transfereinkommen angewiesen sind.
Und noch eine Zahl gibt zu denken: Im letzten Jahr sind etwa 150.000 Bewerberinnen und Bewerber bzw. potentielle Lehrlinge leer ausgegangen, trotz der zahlreichen, unbesetzten Stellen. Grund ist die mangelnde Qualifikation der Schulabgänger. Beide Gruppen für den Arbeitsmarkt zu aktivieren, heißt in allererster Linie, sie entsprechend zu qualifizieren. Ein Problem, dass die Politik in den kommenden vier Jahren verstärkt angehen muss.
Streitpunkte gibt es genug: Wie viel Geld sind wir bereit, für die Qualifizierung dieser Menschen zu investieren? Wird der Bund in Zukunft beim Thema Bildung eine stärkere Rolle spielen als bisher? Welche Aufgabe wird die Bundesagentur für Arbeit übernehmen, die vor dem Hintergrund sinkender Arbeitslosenzahlen neue Betätigungsfelder suchen muss?
Hier sehen die Konzepte der Parteien, soweit erkennbar, durchaus unterschiedlich aus. Bemerkenswert ist der Vorstoß der SPD, die die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung umbauen wollen.
Stichwort „Zuzug“
Der Zuzug von Menschen nach Deutschland ist eines der kontroversesten Kapitel in der Fachkräftedebatte. Die gesellschaftliche Diskussion der letzten beiden Jahre zeigt, welche Sprengkraft das Thema besitzt. Unabhängig von der Stimmungslage im Land sind sich die meisten Experten einig, dass wir das Problem des Arbeitskräftemangels ohne qualifizierten Zuzug nicht bewältigen können.
Klar unterschieden wird zwischen Einwanderung und dem Recht auf Schutz und Asyl, also zwischen den Menschen, die wir gezielt zu uns einladen, gar anwerben, und denen, die bei uns Schutz vor Gewalt und Verfolgung suchen.
Das Recht auf Asyl stellt keine der etablierten Parteien grundsätzlich in Frage. Bei der gezielten Einwanderung unterscheiden sich die Ansätze der beiden großen Parteien durchaus: Ähnlich wie die Grünen und die FDP spricht sich die SPD klar für ein modernes Einwanderungsgesetz aus: „Wir wollen ein flexibles und an der Nachfrage nach Fachkräften orientiertes Punktesystem nach kanadischem Modell einführen“, heißt es im Wahl-Programm der Sozialdemokraten. Berücksichtig werden sollen bei der Entscheidung, ob jemand nach Deutschland einwandern kann, Kriterien wie berufliche Abschlüsse, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter und Integrationsfähigkeit. Die Grünen fordern darüber hinaus die Möglichkeit eines „Spurwechsel“ zwischen Asyl- und Einwanderungsrecht, der aus ihrer Sicht dabei hilft, langfristig Fachkräfte zu gewinnen.
Die Union bleibt mit ihren Forderungen deutlich hinter denen der anderen drei Parteien zurück. Sie fordert kein klassisches Einwanderungsgesetz. Vielmehr will sie die bestehenden Regelungen in einem „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ zusammenfassen und, wo nötig, „effizienter gestalten“.
Unabhängig von den Kräfteverhältnissen nach dem 24. September, mindestens einer der Koalitionäre wird das Thema in die Verhandlungen mit einbringen. Die Chancen auf ein modernes Einwanderungsgesetz, das gezielt auf die Anwerbung von Fachkräften setzt und deutlich über die heutige BlueCard hinausgeht, stehen also nicht schlecht. Aus Sicht der Unternehmen ein gutes Signal.
Noch ein Wort zu den Menschen, die in der jüngsten Vergangenheit zu uns gekommen sind. Die Große Koalition hat in den letzten beiden Jahren mit Blick auf die Integration in den Arbeitsmarkt einiges geleistet, bei weitem aber noch nicht genug. Dies erkennt auch die SPD und fordert unter anderem eine bessere Verknüpfung der berufsbezogenen Sprachkurse mit den unterschiedlichen Integrationsmaßnahmen in den Betrieben. Jedem soll darüber hinaus eine Kompetenzfeststellung ermöglicht werden. Hier sollte von der künftigen Koalition noch mehr zu erwarten sein!
Die Politik wird das Problem nicht alleine lösen!
Ohne Frage: Die Politik wird das Problem des Fachkräftemangels nicht alleine lösen können. Es ist eine Aufgabe, an der Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen beteiligt sein werden. Welchen Stellenwert wird Arbeit haben? Wie viel Einwanderung akzeptieren wir? Wie viel Geld geben wir für Betreuung aus? Welche Fortschritte machen wir beim Arbeitsschutz und der technischen Unterstützung bei Tätigkeiten? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen werden zeigen, wer wie viel und wie lange arbeiten kann.
Ob es am Ende reicht, den prognostizierten Fachkräftemangel zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen, wird man wohl erst in der wirtschaftshistorischen Rückschau bewerten können. Im nächsten Koalitionsvertag werden zumindest erneut die Weichen gestellt.
Der Autor leitet das Hauptstadtbüro der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)
Meine Mission: Spitzenleistung und Zufriedenheit in allen Hierarchien in der Führungspraxis beweisen
7 JahreEs werden in Deutschland Milliardensummen damit vernichtet, die zunehmend hohen Fluktuations- und Krankenraten zu finanzieren. Fluktuation kostet in D zwischen 1 und 5 Jahresgehältern, je nach Position des Mitarbeiters. Die Ursachen von Fluktuation und Krankenständen über der 4% Marke liegen hauptsächlich in der Führungskultur- und Arbeitsstruktur begründet. Die Ölkrise in den 1970er Jahren wurde auch nicht alleine damit bekämpft, dass man die Verbräuche bei Motoren und Anlagen so hoch ließ und einfach versuchte mehr Öl zu fördern. Man begann auch die Verwertung der Energie so effizient wie möglich zu gestalten. Warum geht man, rein betriebswirtschaftlich betrachtet, den Weg bei Mitarbeitern nicht einfach auch so? Das Erfolgsgeheimnis des Crew-Resource-Managements beruht im Wesentlichen auf Teameffizienz und Teamerfolg. Die Ursachen für die Entwicklung des neuen Führungs- und Arbeitsmodells vor 30 Jahren in der Luftfahrt waren gravierende Sicherheitsprobleme durch Teamversagen. Eine Erkenntnis ist weiter: Erfolgreiche und effiziente Teams sind zufriedene Teams. Ihre Mitglieder sind weniger krank und loyal zum Unternehmen. Diese Unternehmen leiden sehr viel weniger unter dem sog. Fachkräftemangel als z.B. die üblichen Low-Budget Dienstleister.