Goldene Zukunft für Fachkräfte in DE?
Was geschah?
Am heutigen 30.11.2022 hat die #Bundesregierung ein neues Papier "Eckpunkte zur #Fachkräfteeinwanderung aus #Drittstaaten" beschlossen. Neu sind das Papier und teils die Ideen. Auch dem #Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus dem 2019 ging ein solches Papier als erster Schritt für den Referenten- und Kabinettsentwürfen des Gesetzes selbst voraus.
Auf insgesamt 23 Seiten beschäftigt sich die Bundesregierung in diesem Papier mit konzeptionellen (Neu-)Ausrichtungen der #Migrationspolitik und der entsprechenden Verwaltungsverfahren für Drittstaatsangehörige in den Bereichen der #Bildungsmigration und #Erwerbsmigration. Denn gut ausgebildete Drittstaatsangehörige sind die (kommenden) Fachkräfte - von morgen.
Was sind die Inhalte?
Die 23 Seiten erfassen ganz unterschiedliche Themenkomplexe, so dass hier eine gewisse Schwerpunktsetzung erfolgt und nicht alle Themen diskutiert werden. Insgesamt gliedert sich das Papier in sechs Schwerpunkte:
Das 3-Säulen-Modell
Jenes Modell ist im Grunde schon vor dem Eckpunktepapier selbst bekannt gewesen.
Fachkräfte-Säule
Die sog. Fachkraftsäule ist im Wesentlichen der Regelungsbestand aus §§ 18a, 18b AufenthG, der indes auf die Möglichkeiten der neuen Hochqualifizierten-RL (2021/1883/EU) angepasst wird. Adjustiert werden soll jedoch die relative Höhe der Gehaltsgrenzen (1,25 des Durchschnittsjahresbruttogehalts, in Mangelberufen 1,0).
Zudem sollen alle rechtlichen Vorteile für die Inhaber einer Blauen Karte EU auf sonstige Fachkräfte übertragen werden. Bei der Blauen Karte EU nicht möglich, aber bei anderen Aufenthaltstiteln für Fachkräfte denkbar und nun so vorgesehen, ist die weitgehende Auflösung des "Matches" zwischen Ausbildung und Stelle, wenn die Stelle an sich eine qualifizierte Ausbildung verlangen würde.
Außerdem sollen die Möglichkeiten der "Nachqualifizierung" im Inland über Änderungen von § 16d Abs. 3 AufenthG gestärkt werden und - vom Duktus her - nicht mehr über "Defizitfeststellungen", sondern über "teilweise Gleichwertigkeit" einer ausländischen Ausbildung gesprochen werden. Unter anderem soll dabei der zeitliche Rahmen von zwei auf drei Jahre erhöht werden.
Mit Blick auch auf die Erleichterung der #Einbürgerung wird in diesem Kontext auch die Absenkung der Qualifikationsfrist für die allgemeine #Niederlassungserlaubnis (auf drei Jahre) thematisiert und angedeutet, dass die Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte nach § 18c Abs. 1 AufenthG einen noch stärkeren "Expressweg" bieten könnte.
Erfahrungs-Säule:
Diese Säule richtet sich teilweise an § 19c Abs. 2 AufenthG iVm § 6 BeschV aus, soll aber weitergehender sein und ohne formale Anerkennung einer formalen Ausbildung eine Beschäftigung in Deutschland erlauben, wenn eine bestimmte Berufserfahrung (2 Jahre) vorliegt, ein bestimmtes Gehalt erzielt wird (45 % der BBG) und eine Ausbildung im Ausland vorliegt und mindestens zwei Jahre gedauert hat. Eine abstrakte Anforderung von Sprachkenntnissen soll es nicht geben.
Damit einhergehend soll auch das Sprachkenntniserfordernis bei § 6 BeschV entfallen und die Gehaltsgrenze des § 6 BeschV an diejenige für Mangelberufe bei der Blauen Karte EU angepasst werden.
Potenzial-Säule:
Die Potenzial-Säule betrifft die schon oft diskutierte #Chancenkarte, die aber tatsächlich nur ein Aufenthaltstitel zur #Arbeitsplatzsuche sein soll, nicht aber jedoch zur Ausübung einer regulären Beschäftigung. Sie soll jedoch eine zweiwöchige Probebeschäftigung und Nebenbeschäftigungen im Umfang von 20 Wochenstunden zulassen.
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Eine echte Vollzeitbeschäftigung wird jedoch über ein Kontingentverfahren vorgesehen und dies unabhängig von der Qualifikation der #Ausländer. Konzeptionell stehen einige Anleihen an § 26 Abs. 2 BeschV (#Westbalkan-Regelung) dahinter. Diese Beschäftigung soll aber nur bei tarifgebundenen #Arbeitgebern oder in Branchen möglich sein, in denen ein allgemeinverbindlicher #Tarifvertrag besteht.
Diese Beschäftigung soll für bis zu 6 Monate innerhalb von 12 Monaten möglich sein und zudem mit einer isolierten Arbeitserlaubnis nach § 4a Abs. 4 AufenthG und entgegen des Grundsatzes von § 17 Abs. 1 AufenthV möglich sein, wenn die Betroffenen für einen Kurzaufenthalte in diesem Korridor von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen kein Visum benötigen.
Die Einreise und die Verwaltungsverfahren
Eine erste Änderung soll die Verwaltungspraxis betreffen und sicherstellen, dass für nationale Visa zur Einreise für einen längerfristigen Aufenthalt die zeitliche Höchstdauer von 12 Monaten nach Art. 18 Abs. 2 SDÜ stets ausgeschöpft wird. Hierdurch wird der Druck auf die schnelle Bearbeitung durch Ausländerbehörden im Inland gemildert.
Dass auch Visumverfahren zu digitalisieren sind und digitalisiert werden können, hat das Auswärtige Amt mit dem Pilotprojekt über das Auslandsportal bereits bewiesen; rechtlich gefordert und notwendig ist ein Roll-Out aber auf alle Verfahren über den Gegenstand der Pilotierung hinaus (dort: #BlaueKarte).
Insgesamt ist vorgesehen, dass konsensual mit den Ländern eine Vereinheitlichung der notwendigen Dokumentation für alle Verwaltungsverfahren nach dem AufenthG und den unterstützenden Verfahren, wie der beruflichen Anerkennung, erfolgt. Dass auch die Verfahren der beruflichen Anerkennung Gegenstand des Gebots der #Digitalisierung nach dem #OZG sind, betont das Papier in zutreffender Weise.
Sehr begrüßenswert ist auch die kritische Sicht auf das beschleunigte Fachkräfteverfahren nach § 81a AufenthG in seiner konkreten Ausgestaltung. Auswirkungen auf die Gebührenansprüche der Behörden bei verschleppenden Verfahren ist von mir selbst (in: ZAR 2022, 343 ff.) zuletzt thematisiert und vorgeschlagen worden.
Inwieweit die "Ermunterung" zur Errichtung von zentralen Ausländerbehörden in allen Ländern auf fruchtbaren Boden stößt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls kann der Bund aufgrund von Art. 84 Abs. 1 GG die Länder nicht einseitig und verbindlich ohne Abweichungsmöglichkeit dazu verpflichten.
Zu begrüßen ist auch, dass dem #BfAA eine stärkere operative Einbindung und dem #BAMF eine stärkere beratenden Einbindung zugedacht ist und der Bund dafür Mittel der personellen und finanziellen Ausstattung bereitstellen will.
Familienfreundlichkeit
Schließlich ist positiv zu sehen, dass endlich auch die "Familienfreundlichkeit" als Notwendigkeit im #Einwanderungsprozess verstanden wird, d.h. gemeine Vorsprachetermine in #Auslandsvertretungen ermöglicht und die Verwaltungsverfahren mit beschleunigt - oder zumindest "zügig" - geführt werden, um eine gemeinsame Einreise zu ermöglichen.
Garantierte Bearbeitungszeiten, etc. wird es aber auch weiterhin nicht geben. So heißt es zum Abschluss des Papiers, dass "im Regelfall" eine Einreise "innerhalb von drei Monaten" insoweit "angestrebt" wird.
Mehr Disclaimer schaffen eigentlich nur Juristen.
Wie ist das zu bewerten?
Die rein-rechtlichen Änderungen sind alle insgesamt zu begrüßen, insbesondere was die (teilweise) Loslösung von dem Dogma der anerkannten formalen Ausbildung als Grundsatz der Erwerbsmigration betrifft.
Die begleitenden Maßnahmen, die die #Migrationsverwaltung betreffen und die Rahmenbedingungen der dortigen Verwaltungsverfahren, sind leider - wie aber erwartbar wegen der Kompetenzverteilung - allgemein gehalten. Es wird sich dann auch zeigen, wie kooperativ die Bundesländer sind und vor allem jene mit einer anderen politischen Ausrichtung.
Schlecht ist das Eckpunktepapier wahrlich nicht. Gut kann es aber nur werden, wenn sich Erhebliches in und an der Migrationsverwaltung ändert und es nicht bei Absichtserklärungen und gut gemeinten Bestrebungen bleibt.