Halt#12: "Mit Herz und Hand am Werk"
©LOKALBÄCKEREI BROTZEIT: Brothandwerk mit Zukunftsvision

Halt#12: "Mit Herz und Hand am Werk"

"Held der Nacht", "Knetmaschine", "Backen ist auch Sport" - die Shirts, die die Mitarbeiter der LOKALBÄCKEREI BROTZEIT tragen, sind positive Markenzeichen. Ebenso wie der Duft an diesem Freitag vor der Backstube in Oberhaching auf dem Klarer Hof. Teige werden in Körben über den Hof gerollt, kommen draußen in den Holzofen. Man riecht, wie sie Brot werden. Und was man dazu wahrnehmen kann, ist eine ruhige, positive, fast gechillte Atmosphäre, obwohl man sieht, dass echt was zu tun ist. Es ist zehn Uhr, einige der Mitarbeiter der Frühschicht, die um 2:30 angefangen hat, laufen an mir vorbei. Und da ist keiner, der nicht hallo sagt und nicht lächelt. Kommt das von der sinnstiftenden Arbeit, von der Nico Scheller, der Chef von BROTZEIT später spricht? Davon, dass das einfach ein tolles Team ist von mittlerweile um die 90 Menschen? Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass die LOKALBÄCKEREI BROTZEIT nicht nur darüber redet, mit Herz und Hand am Werk zu sein, sondern den Worten Taten folgen lässt - und nicht nur mit großartigen Broten und Backwaren, sondern in allem, was sie tun.

Nico Scheller erzählt mehr davon dann in der Filiale in Pullach, zu der ich weiter radle an diesem Morgen: 2011 hat er mit einem Freund beschlossen, die LOKALBÄCKEREI BROTZEIT zu gründen. Damals noch unter dem Namen Biobäckerei BROTZEIT. Beide Gründer hatten ihren Meister gemacht, Nico Scheller war dann die Industrie gegangen, hat in einer Großbäckerei gearbeitet und erlebt, wie sich die Branche dem Handwerk entfremdet hat. "Es geht um Convenience, um betriebswirtschaftliche Interessen, es geht nicht mehr darum, wie ein gesundes, gutes Lebensmittel entsteht. Das ist eher Kostenaufwand." Für ihn war das der Impuls, dass es doch auch anders gehen muss, die Idee zu wagen, eine eigene kleine Handwerksbäckerei mit den Attributen nachhaltig, regional, klein, mit einer transparenten Wertschöpfungskette zu eröffnen. "Wir wollten es einfach mal probieren, ob das nicht funktionieren kann mit viel Handarbeit." Und es lief wie geschnitten Brot, damals in der Bodenschneidstraße in Grünwald: "Nach einem dreiviertel Jahr war bereits alles zu klein," erinnert sich Nico Scheller. Eine Option tat sich auf: An der Ecke des Alter Wirt Grünwald am Marktplatz wurdenRäume frei: BROTZEIT zog ein und der Marktplatz wurde zur zentralen Brotbackstube. Und schon wenige Jahre später kam eine nächste Gelegenheit: Eine Bäckerei in Pullach fand keinen Nachfolger, BROTZEIT traute sich erneut und wuchs weiter, entschied sich für strukturelle Änderungen, um die Standorte möglichst gut zu nützen: Pullach wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Semmel-, Brezen-, Baguette-Produktion. Aus dem Start-up wurde ein Unternehmen, das zunehmend auch intern Strukturen und Prozesse brauchte und aufbaute, mit flachen Hierarchien, immer möglichst digital. Eine intensive Zeit. Während Corona dann standen die Gründer an einer Weggabelung, in der sich ihr Blick auf die Zukunft ihres Unternehmens neu schärfte: Die Idee skalieren in ein Filial-/ Franchisesystem und etwa mit Hilfe von Investoren signifikant wachsen? Andere, wie die Gründer von ZEIT FÜR BROT gingen diesen Schritt. Oder der Ursprungsidee treu bleiben, diese weiter wachsen lassen und verstetigen, um stimmig zu sein? Für Nico Scheller gab es nur den zweiten Weg. Die Wege der Gründer trennten sich in Freundschaft an dieser Kreuzung und Nico Scheller ist seitdem der alleinige Inhaber der LOKALBÄCKEREI BROTZEIT. Er wollte sich treu bleiben: "Im Handwerk hatte ich meine Berufung und Leidenschaft, etwas Sinnstiftendes gefunden, was ich arbeiten wollte." Und für ihn war das "lokal" nicht nur dahingesagt: Es sollte eine kleine, feine Handwerksbäckerei in wenigen Gemeinden bleiben. Das passte für ihn nicht zu einem "schneller, höher, weiter" in einem Filialsystem, er konnte sich nicht vorstellen, seine Idee ganz Start-up-like zu monetarisieren und weiterzuverkaufen. "Wir hatten diese Anfragen, die monetär interessant waren. Aber als wir gestartet sind, haben so viele Partner uns Mut gemacht, uns zugeredet, an uns geglaubt. Ich hätte mir nie verziehen, das abzugeben dann oder einen Trend zu vermarkten. Und ich habe mich gefragt, was mache ich dann, ich kann nicht in einer solch anderen Struktur arbeiten", sagt er sehr offen und klar. Den Mut muss man erst einmal haben finde ich. Und gleichzeitig erscheint es sehr stimmig, wenn man ihn erlebt: Er hat das "Warum" für sein Unternehmen geklärt und mit seinen Mitarbeitenden das "Wie" und "Was" vor Augen. Und das ohne Inhaberattitude. Als ich ihn in Pullach treffe, packt er gerade beim Beladen eines Transporters an und sitzt dann mit mir inmitten seiner Gäste vor der Bäckerei im Café am Kirchplatz. Bewusst hat er vor einigen Jahren entschieden, dass er nicht seinen Namen als Markennamen aufbauen will, sondern dass das im Namen stehen soll, was ihm wichtig ist und wofür das Team steht: Das Lokale als Steigerung des Regionalen, das Backen und die Zeit, die sie sich hier lassen für die handwerkliche Herstellung in sehr vielen händischen Arbeitsschritten, die auch Maschinen teils übernehmen könnten. Weil er und sein Team daran glauben, dass diese händischen Produktionsschritte wichtig sind und sich lohnen. Womit sie sich auch von anderen Biobäckereien unterscheiden. Und doch: "Wenn wir die besten Rohstoffe und die besten Prozesse haben, heisst das noch nicht, das wir das beste Produkt haben. Entscheidend ist die Atmosphäre und die Stimmung: Wenn die gut sind, dann kann etwas Positives entstehen," davon ist er überzeugt und das spürt man.

Da kommen die Menschen ins Spiel, die bei der LOKALBÄCKEREI BROTZEIT arbeiten. In flachen Hierarchien, in familiären Strukturen, in sehr unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen, mit denen es gelingt, die Zeiten abzudecken, in denen man im Bäckerhandwerk aktiv ist und ja: die außerhalb der Komfortzone eines Nine-to-Five-Jobs liegen. Es gibt Nacht- und Früharbeit, das gehört dazu. "Wer um 4 Uhr anfängt, ist halt auch um 12 wieder auf dem Heimweg", sagt Nico Scheller lakonisch. Das ist einfach eine Entscheidung, die man für sich mit treffen muss, dass das dazugehört. Dafür erlebt man dann beim Kaffee und einer frischgebackenen Rosinensemmel den Sonnenaufgang, wenn man Pause macht. Der LOKALBÄCKEREI BROTZEIT geht es wie vielen im Handwerk: Mitarbeitende zu finden ist eine Herausforderung. Und doch haben sie nach wie vor viele Bewerber, auch viele Quereinsteiger, die eine sinnstiftende Arbeit suchen. Die sich nicht über die Handwerkskammer offiziell ausbilden lassen wollen, sondern die intern 2-3 Jahre lernen in allen Bereichen. Dafür haben sie bei BROTZEIT mittlerweile ein Konzept und es gibt eine Reihe von Mitarbeitenden, die seit mehreren Jahren dabei sind, alles können in der Backstube aber nie in der Berufsschule waren, die auch wie Facharbeiter gewertet werden. Es kann funktionieren. "Wir haben schon einmal einen Rechtsanwalt zum Bäcker ausgebildet", erzählt Nico Scheller mit sichtlicher Freude. Und er ist offen dafür, dass Fähigkeit, Können, Kompetenz zählen, nicht nur das Zertifikat. Aber es braucht auch Beharrlichkeit, Ehrgeiz und Leidenschaft in seinen Augen. "Es ist nicht alles immer toll, auch nicht jeden Tag, es macht auch nicht immer Spaß," lacht er. Aber das sei dann einfach der Moment auch zu sehen, wer sich darauf einlässt oder aber für wen das Abenteuer auch zu Ende ist wieder. Und fügt noch an: "Aber da ist nichts Romantisches bei uns."

Romantisch vielleicht nicht, aber anders, positiv anders und auch das Teil der Philosophie von BROTZEIT: Die lokale Bäckerei am Ort zu sein, bei der das Verkaufspersonal die Kunden kennt und auch deren Vorlieben. Und ich kenne es aus allen Verkaufsstellen, dass diese Markenbotschafter hin zum Kunden begeistert aber unaufdringlich ein wenig mehr erzählen zu dem, was sie da verkaufen. Etwa am Freitag, dass das Brot gerade ganz frisch aus Oberhaching aus dem Holzofen gekommen ist, noch warm ist, das wäre doch heute mal ne Abwechslung, oder? Und das Lächeln mit dem ich begrüßt werde, gibt mir immer das Gefühl, da arbeiten Menschen, die ihren Beruf mögen. Und bei denen kaufe ich auch gerne ein. So wie die Lokalbäckerei sich sehr bewusst entscheidet, mit wem sie zusammenarbeitet: "Wir schauen bei unseren Partnern, dass sie das gleiche Werteverständnis haben, kennen unsere Lieferanten persönlich, sehen uns als Wertegemeinschaft, das ist uns wichtig." Das ist kein Marketingsprech von Nico Scheller, da haben sich Menschen und Unternehmen gefunden, denen es um mehr als das tägliche Geschäft geht, die für mehr stehen: Die GLS Bank ebenso wie Mogli Billesberger, Supremo und VollCorner Biomarkt gehören in diesen Wertekanon.

Und auch der Klarer Hof, der im vergangenen Jahr der Mittelpunkt der LOKALBÄCKEREI BROTZEIT geworden ist: Im Ortskern von Oberhaching, mit Platz alle drei Backstuben wieder zurückzuholen unter ein Dach, was ein ergonomischeres Arbeiten für die Mitarbeitenden ermöglicht und mit seiner großen Glasscheibe zur Backstube ist Transparenz nicht nur ein Wort. Und der Ort, der ob seiner Lage einfach passt: LOKALBÄCKEREI BROTZEIT in einem Gewerbegebiet? Für Nico Scheller (und auch für mich) unvorstellbar und auch klar eine Absage in Richtung unbegrenztes Wachstum: "Wir können nur so gut miteinander arbeiten. Das ist das, was ich weiterentwickeln möchte. Wir organisieren ein Orchester und die Teams sollen so miteinander arbeiten, dass die Menschen miteinander lernen. Das ist die wichtigste Arbeit, nah dran zu sein an den Menschen und da findet auch die wichtigste Kommunikation statt. Nicht in organisierten Gesprächen. All das ist in einer Produktionshalle mit 1000qm und 200 Mitarbeitern unmöglich." Ich verstehe gut, was er meint. Und ich glaube, auch das gibt den Menschen, die für BROTZEIT arbeiten, ein gutes Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Der Klarer Hof ist auch deshalb der ideale Ort, weil er Raum bietet für noch mehr, für Visionen: Auf dem Hof ist ein Lager für Getreide dazugekommen. Eine eigene kleine Mühle soll folgen. So kann das Getreide, das von den Naturland e.V. zertifizierten Böden der Landwirtschaft der Familie Klarer im Umland stammt direkt vor Ort gelagert und verarbeitet werden in größeren Mengen. Ein Kreislauf, der sich schließen soll und unabhängiger machen. Ebenso wie die Vision einer Autarkie von den Energiemärkten, um hier die Kosten besser in der Hand zu haben. Denn alle Bäckereien haben unter dem Anstieg der Energiekosten deutlich gelitten. Nico Scheller sieht aber auch, dass die handwerkliche Produktion, wie sie sie betreiben, weniger Energieverbrauch zur Folge hat. Industrielle Backwaren sind deutlich teurer geworden und er sieht das als ganz positiv, wenn die echten Kosten von Lebensmitteln damit etwas mehr Transparenz gewinnen. Und auch noch einen Schritt weiter sollte man sehen: Was unterschiedet ein handwerklich, mit Zeit hergestelltes Produkt von einem industriellen? "Wir wollen einen Wert generieren, ein Lebensmittel, das für mich als Käufer einen Wert hat, das ich nicht wegschmeiße, weil ich gar nicht auf die Idee käme, es nicht mehr genießen zu wollen. Weil es, auch wenn es ein paar Tage alt ist, noch top ist, während ein billig produziertes Brot dann oft trocken ist, vielleicht sogar schimmelt, dann weggeschmissen wird." Ja, das Brot koste mehr, aber man bekomme deutlich mehr Qualität. Und für ihn ist dieser Wertvergleich zwischen den Produkten auch wichtig und er wünscht sich, dass er in die Kaufentscheidungen einfließen: "Was tun wir für einen regionalen Geldkreislauf - wie unterstütze ich Bauern in der Region, was tue ich für aktiven Umweltschutz und regionale Strukturen, wie werden Menschen bezahlt, die für ein Produkt arbeiten? Aber auch: Was sind Gesundheitsfaktoren dahinter: Wenn ich mich gesund ernähre und dann später keine Kosten für die Wiederherstellung meiner Gesundheit habe oder verursache, auch das ist ein Wert." Da spürt man, dass sein Ansatz viel weiter geht, als "nur" auf seine Produkte. Und da ist auch sein Hebel, findet er, etwas zu tun. Ebenso dafür, dass wir die Wertschätzung für das Handwerk und die Tradition des Brotbackens nicht zu verlieren. "Wir sind dabei, Generationenwissen zu verlieren. Wir haben im Bäckerhandwerk ein kulinarisches Erbe, das wir sichern sollten, sind weltweit bekannt für Brot, aber sind gerade dran, das zu verspielen", sagt er nachdenklich aber auch bestimmt, was die Rolle der Bäcker und des Handwerks angeht: "Wir müssen weiterhin das Angebot schaffen. Und die Werte offen und transparent leben, zeigen, dass es einen Unterschied macht." Kein Bio mit erhobenem Zeigefinger und Moralisierung, sondern ein kulinarisch großartiges Produkt, handwerklich hergestellt, das sogar noch ein Add on hat, weil die, die es herstellen, für mehr sich verantwortlich fühlen.

"Es geht nicht um das reinere, bessere Produkt, sondern um größere Zusammenhänge", sagt Nico Scheller. Und für mich ist er einer derjenigen, der zeigt, das man für diese Zusammenhänge etwas tun kann, wenn man Haltung lebt. "Wir machen das so, wie wir es für richtig halten, das schafft Selbstzufriedenheit, dass es funktioniert. Wir freuen uns, dass es funktioniert" sagt er am Ende unseres Gespräches.


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Anthony Filipiak

KI Agenten & Prozessautomatisierung für KMUS 🤖 Experte für künstliche Intelligenz 🚀

3 Monate

Nico Scheller zeigt, wie wichtig es ist, Handwerk und lokale Werte zu bewahren. Sein Ansatz, Kreisläufe zu schließen und das kulinarische Erbe zu fördern, ist inspirierend. In einer Zeit, in der viele auf schnelle Gewinne setzen, ist es erfrischend zu sehen, dass echte Leidenschaft und Qualität im Vordergrund stehen.

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