Respekt vor der Familienarbeit wirkt besser als ein finanzieller Bonus
Nach rund 20 Jahren als Unternehmensberichterstatter und diversen eigenen Erfahrungen würde ich immer noch nicht behaupten, dass ich verstehe, warum finanzielle Anreize Mitarbeiter nachhaltig zu besseren Leistungen bringen sollen. Reinhard K. Sprenger ist hierzulande der wohl bekannteste Kritiker von finanziellen Anreizen - spätestens seitdem er 1991 seinen Bestseller “Mythos Motivation” veröffentlicht hat.
Seine Argumentation hat mich überzeugt und die Lebenserfahrung mich beileibe keines Besseren belehrt - deswegen möchte ich eine längere Passage von ihm zitieren: “Finanzielle Anreize verführen uns, etwas zu tun, was wir auch ohne Anreize tun oder zumindest tun sollten. Dadurch tun wir das Richtige aus den falschen Gründen. Irgendwann verdrängen die falschen Gründe das Richtige, sie ersetzen gleichsam das Gefühl für Richtigkeit. Oder aber die Anreize sollten uns dazu bringen, gegen unsere bessere Einsicht zu handeln.
So gewöhnen wir uns daran, nicht mehr zu fragen, ob es außer dem Anreiz gute Gründe für unser Tun gibt und ob wir es für richtig halten.” Es gibt eine Reihe weiterer Nachteile: Schwer messbare, aber wichtige Ziele wie Kundenzufriedenheit werden kaum oder unterproportional zu ihrer Bedeutung inzentiviert. Generell können die dem Bonus zugrunde liegenden Werte zu niedrig oder irrational hoch sein, oft nach hinten gerichtet beziehungsweise in einer volatilen Welt unrealistisch.
Müssen Mitarbeiter überhaupt motiviert werden oder reicht es schon, wenn Führungskräfte sie nicht demotivieren würden? Die Antwort richtet sich auch, nach dem Menschenbild eines jeden einzelnen. Und der Erfahrungen. Es gibt zumindest diverse Studien die belegen, dass finanzielle Anreize keine nachhaltig positive Wirkung haben. Zudem gilt in der Psychologie als ausgemacht, dass äußere Motivation stets innere verdrängt.
Ich habe im Laufe meiner Elternzeit drei Dinge über das Thema Motivation gelernt. Das eine ist, dass ich mich in mein Kind hineinversetzen muss, um zu antizipieren, was es gerade gern machen würde. Ich weiß aber sehr wohl, dass die großen Motivationsfragen bei meiner Tochter noch auf mich zukommen - wenn sie älter ist und zum Beispiel laufen kann: Wie kann ich sie dazu bringen, mit uns Spazieren zu gehen, sie aber quengelt? Süßes oder Saures könnte man das zusammenzufassen. Ich freue mich auf diese Jahre, wenn ich theoretisches Wissen mit der Realität challengen kann. Wissenschaftler sind hier übrigens eindeutig: Gerade junge Menschen sind nicht käuflich. Anreize funktionieren hier also bestenfalls sehr kurzfristig.
Die zweite Ebene ist, wie ich mich selbst permanent für meinen Job motiviere. Und zwar dazu, die Sache möglichst gut zu machen. Die “Arbeit” mit einem Kind ist hart, insbesondere mit einem Baby. Insbesondere wenn auch die Frau Hilfe braucht. Wie oben erwähnt werden manche Fehler maximal brutal bestraft, andere Versäumnisse richten später Schaden an, der aber sehr langfristig wirksam bleibt im negativen Sinne. Der Managementvordenker Fredmund Malik sagt: “Lerne, dich selbst zu motivieren! Mache dich unabhängig von der Motivation durch andere.” Das klingt zu einfach, um wahr zu sein. Und seinen Mitarbeiter traut man sich das auch kaum zu sagen. Aber in der Elternzeit habe ich mich nach langer Zeit wieder an diesen Grundsatz erinnert.
Den dritten Punkt hat Malik wunderbar in folgendem Satz zusammengefasst: “Eine Gesellschaft kann überhaupt nicht funktionieren, wenn jeder nur das täte, wozu er motiviert ist.” Heißt also: Menschen müssen auch Dinge tun, auf die sie gerade keine Lust haben. Seitdem ich Vater bin, blicke ich bewusster auf die Frage der doppelten Freiheit - und das hilft mir auch im Job: Darf ich meinem Kind erlauben, alles zu tun, was es tun will? Und darf ich ihm zweitens erlauben, all das nicht zu tun, was es nicht tun will. Und wir argumentiere ich in jedem Fall, wie setze ich Anreize? Wenn das Stück Schokolade nicht nachhaltig funktioniert - oder ein paar Euro mehr, was dann? Womit wir beim Zauberwort Wertschätzung wären. Darum geht es in der nächsten Folge.
Weitere Folgen:
Folge 1: “Das Kind bekommt schon noch deine Frau, oder?”
Folge 2: Steinzeitfrauen haben auch nicht daheim auf ihren Mann und ein Stück vom Mammut gewartet
Folge 3: Homeoffice, Kinderbetreuung und Co: Schadet oder nutzt Corona der Gleichberechtigung?
Folge 4: Warum Gleichberechtigung der größte Hebel für mehr Wohlstand ist
Folge 5: Kulturwandel: Enola Holmes statt Pussy Galore
Folge 6: Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann
Folge 7: Wie Frauen zum Schweigen gebracht wurden und werden
Folge 8: Angriff auf das Ehegattensplitting
Folge 9: Wofür erfinden wir KI und Co, wenn Männer immer noch so wenig Elternzeit nehmen? (zum Weltfrauentag am 8.3.)
Folge 10: Vom Scheitern der Lohngleichheit (zum Equal Pay Day am 10.3.)
Folge 11: Warum wir die sinnstiftendste aller Tätigkeiten nicht mehr entwerten sollten
Folge 12: Vorständin mit Babybauch? Schnell zurücktreten!
Folge 13: Warum Männer glauben, dass man es nur mit 70-Stunden-Wochen nach oben schafft
Folge 14: Warum Kinderkriegen zu Gehaltsverlust führt
Folge 15: Viel zu tun für die “Generation Baerbock”: Wir brauchen dafür jedes Talent!
Folge 16: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (I): Feedback richtig geben
Folge 17: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (II): Es kann nicht alles immer Spaß machen
Folge 18: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (III): Prinzipien muss man sich leisten
Zu dieser Kolumne:
Ich bin jetzt Oktober in Elternzeit und es werden noch weitere Monate folgen. Ich fühle mich gut dabei, weil ich nicht nur das Richtige tue für mein Kind und meine Frau. Sondern auch für mich. Ich entwickle mich als Mensch weiter, aber auch als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft. Und zwar viel mehr, als wenn ich in den sechs Monaten einfach weiter so gearbeitet hätte. In dieser Kolumne möchte ich einen Beitrag leisten zu den großen Diskussionslinien rund um das Thema Gleichberechtigung, das mich seit Jahren beschäftigt. Und zwar ausdrücklich aus Sicht eines Mannes mit Unterstützung der wesentlichen Literatur und Forschung. Es gibt zu viele Meinungen und Klischees, die sich entweder gar nicht auf Fakten stützen oder auf die falschen, bestenfalls auf Halbwahrheiten.
Es gibt Probleme, die sind offensichtlich oder zumindest greifbar. Und andere, die schweben eher wie ein Elefant im Raum. Ich habe den sozialen Druck erlebt, wie der zweite Teil des Titel meiner Kolumne zeigt: “The Walking Dad - das Kind kriegt schon noch deine Frau, oder?” Das Statement ist 1:1 die Reaktion von jemandem auf meinen mehrmonatigen Elternzeit-Antrag. Es gab von Freunden, Bekannten und Kollegen viel Zuspruch dafür, aber auch Gegenwind. “The Walking Dad” kürte mich mein Schwager (per T-Shirt), weil sich unsere kleinen Tochter seit ihrer dritten Lebenswoche mehrere Stunden pro Tag im Tragetuch sichtbar wohl fühlt und wir rund 100 Kilometer pro Woche marschieren (während sie schläft).
Folge 20: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (IV): Wertschätzung
Folge 21: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (V): Menschen richtig fordern und fördern
Folge 22: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VI): Wir brauchen Intuition und Wissen
Folge 23: Teilzeit wagen für mehr Gleichberechtigung und Wohlstand
Folge 24: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VII): Wie mich andere wahrnehmen
Folge 25: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VIII): Gute Vorbereitung rettet die später den Hintern!
Folge 26: Warum uns Elternzeit uns auch im Job voranbringt (IX): Besser mit Ambiguität leben
Folge 27: welche Jobs neu entstehen und warum sie das Familienleben unterstützen
Folge 28: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (X): Mit Komplexität umgehen lernen
Folge 29: Warum Elternzeit uns auch im Job voranbringt (XI): Auswirkungen auf die Partnerschaft
Folge 30: Warum Elternzeit uns auch im Job voranbringt (XII): Neue Spielregeln
Folge 31: Abschluss
Senior Account Director @ TechnologyAdvice
3 JahreKlasse, Thorsten! Hast Du einen Tipp, wo ich dieses herrliche T-Shirt beziehen kann?
PR Specialist
3 JahreWenn man den Vergleich bemühen will zwischen Elternrolle und Führungskraft in Punkte Mitarbeitermotivation, dann müsste man aber eigentlich eher eine Großfamilie nehmen, zum Beispiel beim gemeinsamen Aufbruch zu einem Ausflug. Da alle im wahrsten Sinne des Wortes "mitzunehmen" und zu motivieren, vom Kleinkind in der Trotzphase, Teenies die alles wollen außer uncoolen Ausflügen mit den Eltern, Großeltern die hübsche Enkelkinder fürs Foto haben wollen und Ehegatten, die eigentlich auch lieber woanders wären - das wäre eher vergleichbar 😉
Transformation im Gesundheitswesen | Managerin @Deloitte
3 JahreMir gefällt der Vergleich zwischen Kindererziehung und Führungsarbeit nicht. In beiden Beziehungen sollte zwar möglichst Augenhöhe herrschen. Trotzdem gibt es manche Dinge, die Eltern einfach durch ihre Lebenserfahrung und Reife besser wissen als ihre Kinder (die Herdplatte ist heiß!) und deshalb die Regeln machen. In der Führung ist aber nicht mein Bild, dass die Führungskraft manches einfach besser weiß. Ist eine Frage des Menschenbildes...
LinkedIn TopVoice | More sustainability in sports | EY
3 JahreVielen Dank für die immer wieder guten und sachlichen Argumente Thorsten, die so vielen Menschen durch den Kopf gehen und trotzdem kaum Anwendung finden. Ich habe die Hoffnung, dass sich durch solche Publikationen ein anderes Stimmungsbild in den Führungsebenen ergibt.