Vol. 4 Entbehrungen
"Entbehrungen trägt der Mensch leichter als seine Entbehrlichkeit." - Ernst Reinhardt
Aller guten Dinge sind DREI. Und da bekanntlich nach drei VIER kommt, dachte ich mir, es ist an der Zeit, nach drei Newslettern, die die Zukunft unseres Berufes, sowie Freude an Symbiosen und Freundschaften widerspiegeln, auch mal kritischere Töne anzuschlagen.
Wie man dem Titel schon entnehmen kann, soll es um Entbehrungen gehen. Dabei möchte ich aber zu Beginn festhalten, dass für jeden die Art und der Umfang dieser Entbehrungen unterschiedlich groß erscheinen und sein mögen. Braucht es für kritische und persönliche, ja manchmal private Einblicke in Gedanken und Gefühle eine Triggerwarnung? Wenn ja, dann sei diese hiermit gegeben, denn weder möchte ich jemanden mit dem Ausdruck meiner persönlichen, kritischen Gedanken und Gefühle negativ konfrontieren, noch mag ich mich dafür im Umkehrschluss rechtfertigen müssen, weil jemand anderer Auffassung ist und ich damit sein Weltbild verletze.
Es kommt vom Zeit zu Zeit vor, dass man Fragen zu seinem Leben beantworten soll, die geschichtlich vor den Beginn der beruflichen Karriere einzuordnen sind. Und so ergibt es sich manches mal, dass festgestellt wird, dass auch ich - wie einige meiner geschätzten Kollegen - eine gastronomische Familiengeschichte habe.
Meine Großmutter war Köchin, meine Eltern hatten in unserem Heimatort über viele Jahre eine eigene Gaststätte. Die Geschichte des Kochs, der schon von Kindesbeinen an im elterlichen Betrieb mit am Herd steht - diese Geschichte wird allzu gerne romantisiert. "Es wurde einem in die Wiege gelegt" heißt es dann. Worüber die wenigsten reden? Dass der kindliche Besuch im elterlichen Betrieb manchmal die einzige Möglichkeit war, die eigenen Eltern überhaupt zu sehen. Dass die Kindheit und Jugend vor allem von Großeltern und anderen Bezugspersonen geprägt ist. Vor allem aber im jugendlichen Alter, wenn man schon für sich selbst sorgen kann, auch sehr häufig von Einsamkeit.
Und wenn man dann seinen Weg geht, von Ehrgeiz getrieben, seinem Ziel entgegenstrebt - auch dann muss man Entscheidungen treffen, Prioritäten nennen wir das meist. Wer die Branche kennt, für den sind Erzählungen von weit mehr als den wünschenswerten neun Stunden Arbeitszeit keine Neuheit. Und so verbringen wir einen Großteil des Tages im Betrieb, um nach unserer Heimkehr allenfalls noch körperliche Grundbedürfnisse und Hygiene zu erfüllen, um dann (meist sehr erschöpft) zu Bett zu fallen und wenige Stunden später aufzustehen und sofort wieder zur Arbeit zu fahren. Jahrelang war ich fünf Tage pro Woche wie in einem Vakuum. Die zwei freien Tage brauchte der Körper zur Erholung - immer abwägend, sich für Unternehmungen "aufzuraffen" oder sich einfach die Ruhe zu gönnen. Wer keine Familie und Freunde aus der Gastronomie hat, merkt schnell, dass man sich selbst in einer Art Paralleluniversum befindet - man lebt irgendwie immer am Rest der Gesellschaft vorbei. Es braucht in jedem Fall viel Verständnis und den unbedingten Willen aller, um Beziehungen - gleich welcher Art - aufrecht zu erhalten. Da ist es wenig verwunderlich, dass viele Paare in diesem Berufszweig sich noch ganz klassisch ohne moderne Dating-Apps, auf der Arbeit kennen lernen.
Und hat man das Glück, sein Leben mit jemandem teilen zu können, der den Beruf versteht, der die Ambitionen versteht, der das Ziel erkennt - so steht man dann aber irgendwann vor der Frage: ist das Erreichen eines beruflichen Ziels gleichsam auch die eigene Erfüllung? Ist das der Sinn des eigenen Lebens und verewigt man dadurch sein Werk - hinterlässt man Fußabdrücke auf dieser Welt, die unsere Zeit in diesem Leben unentbehrlich machen? Oder gibt es noch etwas anderes, wofür es sich lohnt zu sein? Was macht unser Leben wirklich "lebenswert" und "vollständig"?
"Das Wichtigste im Leben sind Gesundheit und Familie!" Diesen Satz habe ich schon sehr oft gehört in meinem Leben und selten war er aufrichtig gemeint. Zum ersten Teil dieser Aussage lässt sich festhalten: die wenigsten von uns allen stellen ihre Gesundheit an erste Stelle. Viel zu oft braucht es mehr als nur ein Zeichen unseres Körpers, bis wir begreifen, dass wir uns zurücknehmen sollten.
Was den zweiten Teil - die Familie - betrifft, so stellen wir selten die Familie vor die Karriere, sondern sind meiner Meinung nach immer gezwungen sind, eine Entscheidung zu treffen: für die Karriere ODER die Familie und damit verbunden eine lebenslange Verantwortung. Und weniger als die Frage, welcher Partner für die Erziehung beruflich zurückstecken "möchte" - sondern auch, wieviel "berufliche Entbehrung" man in der heutigen Zeit mit Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen, Altersvorsorge, und vielleicht ganz hoch gestochen auch den eigenen Anspruch an das "Leben neben dem Beruf" noch verantworten kann?
Wer familiäre Unterstützung genießt, der weiß sicher, wie dankbar man sich so manches mal schätzen darf. Aber wie weit darf diese Abhängigkeit gehen? Wie sehr darf man sich auf dieses Konstrukt zum Vorteil seiner Karriere verlassen, wenn man dadurch zwar Familie hat, diese aber nicht "leben" kann.
Es ist, wie es ist: weder wissen wir, wann unser Kind den ersten Schritt alleine geht, noch wissen wir, wann es das letzte Mal von uns ins Bett gebracht werden will. Jeder Berufstätige weiß, wie viele Meilensteine im Leben seines Kindes man unweigerlich verpasst. Und dass jeder dieser verpassten Momente bedeutet, dass die Priorität nicht auf der Familie lag, sondern auf den beruflichen Pflichten.
Für mich war dieser Gedanke immer verbunden mit dem Risiko, mein Kind die gleiche Erfahrungen durchleben zulassen, wie ich sie als Kind machte: in dem Wissen, dass es andere waren, die mich aufzogen. Dass meine Eltern andere Prioritäten hatten, vielleicht weil es sein musste? Aber was macht das für einen Heranwachsenden für einen Unterschied? Fakt ist: sie waren nicht da.
Und nun stellt sich die Frage: verzichtet man auf Familie, um das Risiko zu umgehen, die gleichen Gefühle und Gedanken in seinem Kind zu erwecken? Oder entbehrt man doch eher die berufliche Erfüllung, weil wir selbst uns nicht wichtiger nehmen sollten, als den immateriellen Nachlass, den wir dieser Welt überlassen könnten?
Gehirnschmalz & Denkstoff
Statt der üblichen Branchen-News, gibt es heute an dieser Stelle ein paar Artikel zum Nachdenken. Ich lasse sie ganz für sich sprechen, denn manchmal braucht es nicht mehr viele Worte.
Über Entbehrungen im Leistungssport lest ihr im Kölner Stadt-Anzeiger :
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Über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lest ist in DIE ZEIT online.
Väter und Beruf? Dazu lest ihr hier:
Ein Blick ins "Küchen-Back-Office"? Den bekommt ihr hier via HOGAPAGE :
Was der Beruf auch mit uns machen kann, lest ihr am Beispiel von Eric Vildgaard im Artikel der Welt :
Und wenn man eine Entscheidung treffen muss - die Entscheidung für sich? Davon berichtet vincent moissonnier im Kölner Stadt-Anzeiger :
Und zum Schluss - noch einmal ein paar Worte meiner Frau Sabrina Madeleine Jahn , die sie bereits im vergangenen Jahr zu unseren ganz eigenen Gedanken und Herausforderungen geschrieben hat, die aber immer noch aktuell sind:
Dies war eine Antwort auf Karo Kauer s Beitrag zum Thema "Entbehrungen bei arbeitenden Eltern" - auch sehr spannend zu lesen!
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F&B Director
1 Woche🤍 Denis Jahn
Michelin 🌟s Headhunter - Storyteller - Winelover
1 WocheSpätestens wenn deine kleinen Kinder dich und deine Frau mit Handy und Laptop zeichnen, wird dir klar, dass wir als Eltern nicht immer alles richtig gemacht haben. Trotzdem ändern wir nichts und binden die Familie ins Unternehmen ein. So hat es wohl jeder zu ertragen, wenn er mit einem gewissen Engagement arbeitet. Ob Küche, selbsttätig oder bei Walnut Careers. Schließlich geht es nicht immer nur um die immateriellen Dinge, sondern um den Fußabdruck seines Lebens