#weekender
Liebe Leser*innen,
die Hälfte eines ereignisreichen Jahres haben wir seit dieser Woche hinter uns. Und die Branche wurde auch diesmal nicht müde, News zu fabrizieren, die perfekt in den #weekender passen.
Das habe ich gelernt!
Wenn gestandene Hersteller wie Daimler oder führende Zulieferer wie Continental schon unter den Folgen der Coronakrise ächzen, wie geht es dann jenen, die als Neulinge der Branche gelten? Klare Antwort: Schlecht! Aktuelles Beispiel: Byton! Dabei hat das Start-up bislang einen sehr professionellen Eindruck gemacht: Ein Werk im chinesischen Nanjing, in dem schon die Vorserienproduktion begonnen hatte und das auf eine Kapazität von 300.000 Einheiten im Jahr ausgelegt ist. Ein schon im Aufbau befindliches europäisches Händlernetz in Norwegen, Schweiz, Schweden und den Niederlanden samt Reservierungen für Fahrzeuge. Und mit dem M-Byte ein Serienmodell, dass spätestens nächstes Jahr in den Verkauf sollte.
Und nun? Das chinesische Werk steht wohl wenigstens sechs Monate still und auch das Team in den USA wurde verkleinert. Nur in Europa arbeitet die Designabteilung weiter. Das Grundproblem: Es fehlt Geld. Denn laut des Unternehmens hätten Investoren ihre zugesagten Mittel wegen Corona wieder zurückgezogen. Jetzt werden zwar neue Geldgeber gesucht. Aber die dürften angesichts einer weltweit spürbaren Zurückhaltung eher schwierig zu finden sein. Es fehlt dem Neuling einfach an Rücklagen oder einem Stammgeschäft, aus dem er den Hochlauf finanzieren könnte. Corona zeigt hier brutal die Grenzen der neuen Mobilitätswelt auf, die zumeist auf dem Goodwill von Risikoinvestoren basiert.
Dabei ist Byton in „guter“ Gesellschaft: In China kämpft auch der Byton-Mitbewerber Nio um die Existenz und das amerikanische Pendant Faraday Future dümpelt auch einer ungewissen Zukunft entgegen. Selbst ein sehr gut vernetzter Unternehmenslenker wie Professor Schuh kämpft gegen den Niedergang seines deutschen Start-ups E.Go Mobile. Auch die Aachener starteten vielversprechend und haben nun ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung eröffnen lassen. Auch Schuh verhandelt eigenen Angaben zufolge mit Investoren. Das Problem, das er mit seinen Leidensgenossen in China und den USA teilt, ist womöglich jenes der Relevanz. Denn Geldgeber stellen sich natürlich die Frage, ob der teure Fahrzeugbau – auch wenn er rein elektrische Modelle betrifft – wirklich ein reizvolles Umfeld für hohe Investitionen bietet. Jetzt ist neben der Ingenieurskunst vor allem überzeugendes Eigenmarketing gefragt.
Das hat mich überrascht!
Wer diese Woche der Konzeptvorstellung für die kommende IAA in München lauschte, war unsicher, wer die Automobilindustrie in Deutschland wirklich vertritt. Natürlich preisten die VDA-Präsidentin Hildegard Müller und Klaus Dittrich, der Vorsitzenden der Geschäftsführung der Messe München, das Event als ernstgemeinten Neuanfang an anderer Stelle an. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass es eben keine Automesse mehr sein wird. Vielmehr plant der VDA ein Event, auf dem die Technologie- und die Mobilitätsbranche zusammenkommen und in den Dialog mit der Gesellschaft treten sollen.
Klingt gut soweit. Aber auch ein Konzeptdas die Mobilität in den Mittelpunkt hebt kostet Geld. Denn die Formate mit den wohlklingenden Namen Summit, Blue Lane oder Open Space werden eben nicht nur von Mobilitäts-Start-ups inhaltlich gefüllt. Hier soll dann bitte die angestammte und sich hoffentlich zur Transformation bekennende Automobilindustrie einspringen. Als Geld- und Impulsgeber.
Und so war es fast charmant, dass nicht der VDA, sondern der bayerische Ministerpräsident Markus Söder wieder einmal die Lanze für die Branche brach und unter anderem über die „besten Verbrenner aus Deutschland“ philosophierte. Auch Söder sieht in der Mobilität das übergeordnete Zukunftsthema. Allerdings verdeutlichte er eine zuletzt eher als politisch unkorrekt eingestufte Kausalität für Deutschland nochmals: Ohne Auto kein Wohlstand. Das Auto müsse somit als Teil der Lösung verstanden und nicht verdammt werden. Damit traf er wohl eher den Ton, den die angeschlagene Branche derzeit braucht. Denn trotz aller richtigen Mobilitätsvisionen bleibt es bei der Realität: Investitionen stemmen die Unternehmen immer noch aus dem Kerngeschäft mit einem Produkt – und das hat einen Antrieb, eine Karosserie und mindestens vier Räder.
Trotzdem darf man auf die Münchener IAA gespannt sein. Laut VDA-Präsidentin Müller sei sie ein „Experiment“. Vielleicht kann man hier Charles Darwin zitieren, der meinte: „Nur ein Narr macht keine Experimente.“
Das war besonders kurios!
Ein besonders kurioser Verkehrsrechtsfall kam nun vor Gericht zu einem finalen Spruch. Dabei war nicht das Fahrzeug der teuerste Streitwert, sondern eine alte Geige. Ihr Wert: 200.000 Euro. Was war passiert? Beim Abbiegen auf einen Parkplatz kam es zu einem Auffahrunfall. Dabei wurde der abbiegende Musiker Bogdan Dragus verletzt – und die auf dem Rücksitz befindliche Geige, die im Jahr 1755 von Carlos Antonio Testore in Mailand gefertigt wurde, rutschte samt Geigenkasten auf den Boden.
Der Kläger ließ das Instrument deshalb für knapp 1.500 Euro reparieren. Insgesamt forderte Dragus dann aber 5.500 Euro vom Unfallverursacher. Denn neben den Reparaturkosten wollte er auch Schmerzensgeld – wegen eines Schleudertraumas und des dauerhaften Leidens unter Tinnitus und Schwindel.
Am Landgericht Hannover haben Musiker und Unfallfahrer sich nun auf einen Vergleich geeinigt. Die Haftpflichtversicherung des Unfallfahrers zahlt dem Musiker 5.000 Euro. Damit seien alle Ansprüche abgegolten. Versicherter und Versicherung dürften durchgeatmet haben, dass die Reparaturrechnung so überschaubar geblieben ist. Bei einem Totalschaden wäre der Blick auf vergleichbare automobile Werte sinnvoll gewesen: Für 200.000 Euro gibt es beispielsweise einen McLaren GT mit 620 PS oder einen Porsche 911 Turbo S.
Vielleicht sollte demnächst auch für teure Geigen Anschnallpflicht gelten.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende,
Ihr Christian Otto
UX Manager & Mentor | Podcasthost | #IrgendwasmitUX | #UXFrankfurt | #GernePerDu
4 JahreWie immer sehr lesenswert 👍