Wenn bunte Hirnbilder das Denken vernebeln

Wenn bunte Hirnbilder das Denken vernebeln

Wie erkennt man, ob jemand ein iPhone besitzt? Er sagt es dir. Diesen Comedy-Kalauer hat das Redaktionsteam der ARD-Sendung „Markencheck“ vor einigen Jahren noch um eine weitere Facette bereichert. Apple-Kunden sind nicht nur Angeber, sie fallen auch auf die Versprechungen des Anbieters leichter herein. Ihr Gehirn tickt einfach anders. Sie lassen sich von Emotionen steuern und blenden Fakten eher aus als Kunden, die stärker auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten und somit rationaler entscheiden. Wie lässt sich diese These beweisen?

Durch Hirnforschung. Man operiert mit 25 Probanden und durchleuchtet sie mit der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT). Kombiniert wird die hohe Kunst der medialen Recherche mit dem allwissenden Habitus eines Neurowissenschaftlers, der mit irgendwelchen steilen Thesen in Presse-Vorabmeldungen für Aufregung sorgen soll. Es ist schon erstaunlich, wie hingebungsvoll und kritiklos über die Pseudo-Neuro-Erkenntnisse berichtet wird.

Neuro-Sexismus auf Basis fragwürdiger Daten

Da muss man nur vom Präfrontal-Cortex labern und schon erstarrt die Öffentlichkeit ehrfurchtsvoll vor diesen neuen Helden in weißen Kitteln. Wer die wissenschaftliche Seriosität der Hirn-Bubis in gesellschaftlich relevanten Fragen anzweifelt, bekommt direkt die Empfehlung zu einem Praktikum in der Psychiatrie, wird als ahnungslos abgestempelt oder ist intellektuell nicht in der Lage, der Genialität der Avantgarde des medizinischen Fortschritts zu folgen – man nennt diese rhetorische Strategie zur Abwehr von kritischen Einwänden auch Manfred-Spitzer-Neuro-Sprech.

Die monokausale Kleckskunde mit bunten Hirnbildern ist mittlerweile eine beliebte Allzweckwaffe in Politik, Kriminalistik, Ökonomie, Werbung und Bildung. Da tauchen sogar alte Geschlechtervorurteile wieder auf: „Gerade das Klischee ‚emotionale Frau – rationaler Mann‘ (mit Ausnahme von männlichen Apple-Fanboys, gs) ist wieder gut im Geschäft. So vertritt der Cambridge-Psychologe Simon Baron-Cohen unbeirrt die Position, das weibliche Gehirn sei auf emotionale Analysen und das männliche Gehirn auf das Verstehen von Systemen ausgelegt“, schreibt der Wissenschaftsjournalist Felix Hasler in seinem Buch „Neuromythologie – Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ (transcript Verlag).

Ein neuronal begründeter Geschlechterwahn auf der Basis von fragwürdigen Hirndaten. Die Kognitionspsychologin Cordelia Fine spricht sogar von Neuro-Sexismus, den es in dieser Ausprägung schon im 19. Jahrhundert gab. Um Frauen von höherer Bildung und Wahlrechten fernzuhalten, wurde schon vor über 100 Jahren die Anatomie des Gehirns bemüht. Die kruden Untersuchungstechniken durch moderne Hirnscanner machen die Befunde nicht wahrer als damals.

Suche nach den Schwarzen Schwänen in der Hirnforschung

Aber irgendwie scheinen die bunten Flecken in den Tomogrammen auf Nicht-Fachleute wie eine Offenbarung zu wirken. Der Christbaum-Effekt eines blinkenden Gehirns erklärt alles und nichts. Und da ist die Suche nach den Schwarzen Schwänen erhellend. „Der eindrücklichste Fall ist ein junger Student, der einen IQ von 126 hat, erstklassige Noten in Mathematik schreibt und sozial völlig normal ist. Jedoch hat dieser Junge so gut wie kein Gehirn. Ein MRT-Scan zeigte, dass bei diesem Studenten in der Hirnrinde lediglich eine dünne Schicht von Neuronen von vielleicht einem Millimeter Dicke festgestellt wurde. Etwa 95 Prozent seines Schädelraumes waren mit Hirnflüssigkeit gefüllt“, erläutert Hasler.

Das Gewicht des untersuchten Gehirns liegt bei 50 bis 100 Gramm. Weit entfernt von dem normalen Durchschnittsgewicht von 1,5 Kilogramm. Offensichtlich verfüge das Gehirn über ganz unglaubliche Reservekapazitäten – die nicht zwingend benötigt werden. Ähnlich wie dies auch bei Nieren- und Lebergewebe der Fall sei. Deshalb sollte man nach Ansicht von Hasler vorsichtig sein, mit einer klar definierten funktionellen Ausrichtung kortikaler Hirnareale zu arbeiten.

Die MRT-Aktivierung ist eher ein Instrument für eine beliebige, willkürliche und abenteuerliche Dateninterpretation, die kritiklos von Publizisten weitergetragen wird.

Da taucht ein Fleck im Gehirn auf, also muss das irgendwas bedeuten

„Man sollte sehr misstrauisch sein gegenüber den Weisheiten, die aus diesem Bereich kommen und zwar insbesondere wenn sie über die Macht der Bilder erzielt werden. Fast alle Medien würden Bilder der Kernspintomographie veröffentlichen. Da taucht ein Fleck im Gehirn auf, also muss das irgendwas bedeuten“, so der Neuro-Biologe Professor Henning Scheich. Da gebe es sehr viel Rattenfängerei. Es sei einfach nicht richtig zu glauben, wenn die Birne aufleuchtet und die Aktivierung im Gehirn größer wird, ein besserer Zustand des Gehirns erreicht werde. Im Gegenteil: „Große Aktivierung im Gehirn bedeutet Unsicherheit des Gehirns. Wenn Sie Aufgaben untersuchen, wie sie gelöst werden, von unsicherem Status bis zum Profi, dann finden Sie eine negative Korrelation mit der Größe der Hirnaktivierung. Der Profi setzt eigentlich nur noch seine spezifischen Mechanismen für etwas ein“, so der Hinweis von Scheich. Gehirnjogging mit riesiger Hinaktivierung nachzuweisen, sei Unfug. Die kleine Aktivierung, die beim scharfen Nachdenken von einem Profi produziert werde, das ist die eigentliche Aktivierung, die richtig ist.

Und noch ein Punkt sollte nachdenklich stimmen. Biologen versuchen seit über 30 Jahren, die Gehirne von Kleinkrebsen nachzubauen oder gar zu verstehen. Das Kleinstgehirn des Krabbeltierchens besteht gerade mal aus 30 Millionen Neuronen und ist für die Kontrolle des Verdauungstraktes zuständig. Man hat bis heute nicht verstanden, wie das funktioniert. Die Nachbildung eines menschenähnlichen Gehirns ist schon aufgrund der Zahl der Elemente in weiter Ferne — das Gehirn hat 10 hoch 11 Neuronen.

Wie kann man ein komplexes System simulieren, das man noch nicht einmal in Ansätzen versteht, fragt sich der Biologe Holk Cruse. Im milliardenschweren Human Brain Project der EU wolle man diese Simulation von der Synapse bis zu den Genen realisieren: „Das wird man nicht schaffen“, sagt Cruse.

Da bleibt dann wohl nichts anderes übrig, als Vermutungswissen von Farbklecksen abzuleiten.


Maria Pruckner

Coach für komplexe Probleme | Spezialistin für angewandte Kybernetik

7 Jahre

Neuro bringt Euro... Mir ist in meinem Umfeld noch kein Neurowissenschaftler begegnet, dem angesichts so mancher Publikation aus seinem Fach nicht die Haare zu Berge stehen. Aber nachdem heutzutage die Anzahl der Publikationen bewertet wird und nicht mehr ihre Qualität, muss man sich über solche Hirngespinste nicht wundern. Danke für diesen süffigen Beitrag.

Winfried Felser

Gemeinsam Erfolge durch Ökosysteme schaffen.

7 Jahre

Da würde ich gerne die Statements posten, die mir Professor Schmidhuber zur Felser-Hypothese geschickt hat. Ich muss mir da noch ein Go einholen.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen