Wie ein subtiles Verhalten gute Aufträge verhindert - und woran Sie es erkennen.
Photography by Martin Likfa

Wie ein subtiles Verhalten gute Aufträge verhindert - und woran Sie es erkennen.

Es untergräbt persönliche Souveränität. Es passiert täglich. Es geschieht häufiger unter Druck. Besonders anfällig sind die Jüngeren sowie die besonders Ambitionierten.

Die Rede ist von Bedürftigkeit.

Bedürftigkeit als Ausdruck für ein leicht verzweifeltes Verhalten, dass anderen zeigt, dass man es nötig hat.

„Bedürftigkeit? Hab´ ich nicht!“ mag manch einer denken. Desto größer der Abwehrreflex, desto größer die Gefahr.

Das kontraproduktive Verhalten lässt sich besonders gut bei Menschen erkennen, welche Dienstleistungen oder Produkte verkaufen. Beim Versuch, andere zu überzeugen, lassen sich viele fehlleiten. Dieser Fehler unterläuft sogar manchmal den richtig Guten.

Egal, welche Worte Sie wählen, wie erfolgreich Sie sich geben, egal wie das Angebot aussieht – sobald unser Gegenüber merkt, dass wir es nötig haben, geht die Abwärtsspirale los. 

Tägliche Szenarien gibt es viele. Zum Beispiel ein Manager, der sein Team von der neuen Strategie überzeugen will. Oder ein Vertriebler, der für den Boni unbedingt ein ganz spezielles Produkt verkaufen muss.

Wenn wir etwas unbedingt wollen, verlieren wir schon mal die rationale Kontrolle. Wir agieren weniger strategisch, sondern vielmehr getrieben von emotionalen Impulsen. 

Im Vertrieb lässt sich Bedürftigkeit schnell erkennen. Drei Beispiele:

·     Vertriebler gewähren überdurchschnittlich hohe Preisnachlässe & Rabatte

·     Sie forcieren vorrangig ein spezielles Produkt bzw. eine einzelne Dienstleistung 

·     Sie rufen in kürzesten Zeitintervallen an (täglich), um den Abschluss zu machen

Die Folgen von Bedürftigkeit können verheerend sein. Das hat auch Florian Schuckhausen zu spüren bekommen. 

Der 31-jährige Vertriebler eines internationalen Software Herstellers ist in seinem dritten Jahr im Verkauf. Zu Beginn genießt er noch Welpenschutz. Und bereits in seinem zweiten Jahr schafft er den Sprung in die Top Ten im nationalen Umsatzranking. Als Rookie unter 52 Außendienstlern ein Achtungserfolg. 

Er genießt die Momente bei der Preisverleihung auf der Bühne. Er kommt das erste Mal in den Genuss, einer Luxus Incentive Reise mit den Besten. Er bekommt viel Zuspruch und Aufmerksamkeit von der Vertriebsleitung. Sogar der Vorstand ehrt ihn auf der Bühne. Schuckhausen beendet das Jahr auf Wolke 7.

Und dann lernte er, das ungeschriebene Gesetz im Vertrieb: am 2. Januar des neuen Jahres sind die Früchte des Erfolgs schon lange vertrocknet. Du fängst wieder von vorne an. Für ihn kein Problem. Er war immer schon ein Kämpfer. Er ist jemand, der sich durchbeißen kann.

Womit er allerdings nicht rechnete, war der Druck, den er sich selbst machte. Er wollte wieder in die Top Ten. Er wollte im neuen Jahr noch mehr Umsatz machen. Und er wollte unbedingt beim nächsten Salesmeeting am Ende des Jahres, oben auf der Bühne stehen. 

Einmal dran geleckt, weißte wie es schmeckt – pflegt sein Vater zu sagen.

Schuckhausen unterschätzt die mentale Erschöpfung, die in ihm steckt. Obwohl er sich Großes vorgenommen hat, startet er träge ins neue Jahr. Auch ihn holt die Vertriebler-Krankheit ein – die Neujahrsdepression.

Aber schon nach wenigen Wochen kommt er wieder auf Touren. Bereits im März ist er 12% über seiner persönlichen Umsatzplanung. Doch was dann passiert, sieht er nicht kommen.

Schuckhausen nimmt wöchentlich dreißig Prozent mehr Termine wahr, als im Vorjahres-zeitraum. Potenzielle Kunden sind ihm positiv gesonnen. 

Trotzdem stagniert der Auftragseingang. Und ab Mai entwickelt sich sein Geschäft negativ. Er schreibt weniger als im Vorjahr. Woche für Woche. Wochenlang.

Schuckhausen holt sich interne Hilfe. Er lässt sich coachen in Bezug auf seine Kommunikation. Dabei fokussiert er sich auf einen exzellenten Gesprächsleitfaden. Die richtigen Worte sollen den Unterschied machen. 

Als nächstes arbeitet er an seiner Körpersprache. Souveräner will er wirken. Auch hier kann er auf die Kompetenzen eines firmeninternen Trainers zurückgreifen. 

Dann kommt Schuckhausen eine Idee. Er will sich von Werner Doplat begleiten lassen. Werner ist ein alter Haudegen und seit fast 35 Jahren im Geschäft. Er ist mit allen Wassern gewaschen und alles erlebt. 

Auf einer Vertriebsveranstaltung kommt er mit Werner Doplat ins Gespräch. Er erzählt ihm von seinen fallenden Umsatzzahlen und Doplat sagt ihm seine Unterstützung zu.

Als der Tag kommt, ist Schuckhausen aufgeregt. Aber Doplat nimmt ihm schnell seine Nervosität. Gelassen gehen sie in den ersten Neukundentermin.

„Meine Herren, was kann ich für Sie tun?“ fragt Herr Logmann, der Geschäftsführer eines Mittelstandsunternehmen.

Nachdem Florian Schuckhausen unterschiedliche Wege der Zusammenarbeit in Aussicht stellt, präsentiert er den Einsatz der passenden Software. Zum Schluss führt er all die Nutzenargumente für den Kunden auf. 

Herr Logmann ist weder begeistert noch abgeneigt. Neutral fragt er: „Über welche Preisregionen sprechen wir denn bei Ihrer Software für unsere Branche?"

Schuckhausen reagiert wie aus der Pistole geschossen: „Sie können wählen zwischen dem Einsteiger-, dem Fortgeschrittenen- oder dem Pro-Paket.“

Nach seiner Aufzählung aller Preise und guten Nutzenargumenten, schaut Logmann beide an und sagt: „Zu teuer. Alle drei Optionen sind zu teuer.“

„Ja, aber wir gehören in diesem Bereich zu den Besten. Ein gutes Produkt ist seinen Preis wert.“ entgegnet Schuckhausen noch selbstbewusst.

„Mag ja sein. Aber eine zusätzliche Investition in neue Software ist in 2019 nicht vorgesehen.“ kontert Logmann.

 „Ja, aber Sie bekommen doch einen Return on Invest schon nach 12 Monaten. Und mit dem Einsteiger Paket sogar schon nach einem halben Jahr.“

Werner Doplat nimmt die leichte Verzweiflung in Schuckhausens Stimme wahr. Jetzt greift der alte Hase ein.

„Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit uns sehen Sie denn, Herr Logmann?“ will Doplat wissen. 

„Bei solchen Preisen fällt mir das schwer“ sagt der Geschäftsführer. 

„Ok. Dann haben wir wohl keinerlei Schnittmenge“ sagt Werner Doplat. Dabei klappt er sein Notizbuch demonstrativ zu und steht auf. 

Hochgezogene Augenbrauen und Falten auf der Stirn bei Florian Schuckhausen. Ihm ist der Schock deutlich anzusehen. Reflexartig klappt er seinen Laptop zu.

„Das würde ich so nicht sagen“ widerspricht Logmann. 

„Das bedeutet?“ fragt Doplat, während er sich seinen Mantel anzieht.

„Das bedeutet, dass wenn Sie das Problemlösen, unsere Prozesse zu digitalisieren, können wir vielleicht doch ins Geschäft kommen. Aber dafür muss ich mir sicher sein, dass Ihnen das auch gelingt.“

Doplat setzt sich wieder hin, lässt den Mantel aber vorerst an. Dann klappt er sein Notizbuch auf, zückt seinen Stift und fragt:

„Woran würden Sie konkret erkennen, dass Ihre Prozesse bestmöglich digitalisiert sind? Was sind die messbaren Folgen?“

Das Gespräch nimmt eine positive Wendung. Als die beiden eine Stunde später im Auto sitzen, fragt Doplat: „Und Florian? Hast Du eine Idee, wo es bei Dir im Getriebe hakt?“

„Mmmmhh. Nicht wirklich. Vielleicht präsentiere ich zu viel?“

„Schau“ sagt Doplat in väterlichem Ton.

„Was war konkret Dein Ziel für diesen Termin?“

„Ich wollte ihm das große Paket verkaufen.“

„Wozu?“

„Damit ich die Mindestanzahl der Pro Pakete für den Boni erreiche. Ohne Boni ist es nur die halbe Miete.“

„Mmmmhhhh“ brummt Doppler.

„Ja und weil ich einen großen Leuchtturm Kunden brauche. Einen Namen der zieht. Das würde mir sicher auch helfen, wieder nach vorne zu kommen.“ fügt Schuckhausen hinzu.

„Was macht einen erstklassigen Vertriebler aus?“ will Doppler wissen.

„Das er den Kunden in den Mittelpunkt stellt.“

„Was noch?“

„Das er die Probleme auf Kundenseite löst.“

„Genau. Und jetzt kommt die Kernfrage.

Wer steht denn bei Deiner Zielsetzung gerade im Mittelpunkt?“ 

Schuckhausen bricht den Blickkontakt ab und schaut zu Boden.

Dann sagt er: „Der hat gesessen.“

„Darum geht´s überhaupt nicht. Vielmehr geht es darum, dass Du nur dem Scheiß Geld hinterher bist, anstatt Dich um die Anliegen potenzieller Kunden zu kümmern. 

Es geht darum, dass Deine Gesprächspartner Deine Verzweiflung spüren, anstatt Deine Lösungsansätze zu sehen.

Es geht darum, dass sie Deine Bedürftigkeit nach Umsatz fühlen, anstatt Deine Souveränität zu erleben.

Erst wenn Dein Gesprächspartner merkt, dass Du es überhaupt nicht nötig hast zu verkaufen, kann ein Gespräch auf Augenhöhe stattfinden.

Erst wenn Du bereit bist, aufzustehen und zu gehen, kannst Du souverän agieren, geschweige denn erfolgreich Verhandeln.

Und jetzt lass uns mal was essen gehen. Ich hab Hunger.“ 

Alexander Flögel

Recruiting- und Marketingerfolge für KMU in Norddeutschland, Videomarketingexperte (8500 TV-Minuten produziert, 4000 Interviews und Moderationen uvm.)

5 Jahre

Exzellenter Content! Danke dafür!

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