Zukunftskompetenz Kommunikation: Dürfen Chefs Schreier, Schmoller oder Ignoranten sein?
Unser Alltagsverständnis von Kommunikation basiert auf dem „Sender – Empfänger-Modell“. Wenn die Nachricht angekommen ist - so wie ein Paket -und der Empfänger die Botschaft „verstanden“ hat, ist es ein Erfolg! Doch tatsächlich kann der Empfänger nur das verstehen, was er verstehen kann und auch möchte. Ist sie damit einverstanden? Das ist die Frage!
Doch tatsächlich hat Kommunikation ein spannende Eigendynamik. Je nachdem in welchem Zustand uns die Information erreicht, kann sie im Arbeitskontext aus dem Ruder laufen und im privaten Umfeld gut gelingen. „Kommunikation ist keine Handlung wie Kaffeekochen! …Kommunikation entsteht zwischen den Menschen“ (Christina Grubendorfer, The Real Book) … „und was verstanden wird, bestimmt der Empfangende“ und „es gelangt nur das in die Kommunikation, was dort Anschluss findet. Darüber entscheiden die Spielregeln der Gruppe“ und das Wissen bzw. Verständnis des Empfängers.
Also ob nun ein schreiender, schmollender oder ignorierender Chef sein Verhalten erklären oder sich dafür rechtfertigen muss, entscheiden die Spielregeln in der Organisation, und die können von Bereich zu Bereich, von Abteilung zu Abteilung anders sein.
Schreiende oder schmollende oder ignorierende Chefs!
Schlimm, schlimm, wo wir schon so viel geschult, trainiert und gecoacht haben. Doch leider häufig findet das in einem alltagsfremden Setting statt, wo brav im Seminarraum ein „4-Phasen Feedback“ runtergebetet wird.
Doch wo und wie erlebt ihr schreiende Chefs?
Es ist schon eine kleine Weile her. Ein Führungskräftetraining zum Thema Konfliktmanagement in Süd-Europa, der Seminarraum war mitten in der Produktion, wie eine Seilbahnkabine schwebte er über der Werkshalle. Spannend! Die Teilnehmenden und ich hatten jederzeit alles im Blick und hörten die Maschinengeräusche. Doch plötzlich schreiende Stimmen, der Produktionsleiter und Qualitätsmanager standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber. Es wurde laut und lauter und die Gesichter der beiden immer röter. Der eine nahm schon einmal die Brille ab, der andere zog den Blazer aus, beide krempelten die Ärmel ihrer hellblauen Hemden hoch. Immer noch schreiend. Viele Mitarbeitende versammelten sich um den Schauplatz. Was wird geschehen? Sollten wir schon einmal den Krankenwagen rufen? Es dauerte gefühlt eine halbe Stunde, dann wurde es leiser, die Kampfpositionen wieder zurückgefahren, die Menge ging auseinander und nichts war geschehen.
Oder doch? Im Seminarraum wurde getuschelt, über konträre Ziele gesprochen, mögliche Konsequenzen schon mal überlegt. Jeder stellte sich die Frage: Wie hätte ich reagiert? Wir hatten vorher über Konfliktanalysen, Lösungsmethoden und Konsequenz Management gesprochen. Doch nun, wenn diese „Kampfsituation“ auf dem silbernen Tablett serviert wird, wird es einem mulmig, im Hinblick auf die eigene Kommunikationskompetenz.
Die Frage ist, wer darf wen anschreien? Hier waren es zwei Personen auf derselben Hierarchiestufe. Doch darf ein Teammitglied die Leitenden anschreien. Und was passiert lt. den Spielregeln in der Organisation? Was bedeutet der Kommunikationsstil für jeden einzelnen? Für jede Führungskraft mit einer Vorbildfunktion?
Und wie ist das mit den schmollenden Chefs?
Auch das höre ich im Coaching. Mein Chef spricht nicht mehr mit mir, gibt mir Anweisungen über seine Sekretärin. Selbst auf Vorstandsebene soll es das geben, das nur über die Assistentinnen miteinander kommuniziert wird.
Dieser Kommunikationsbruch kommt häufig wie aus heiteren Himmel. Es wird viel gerätselt, spekuliert, getuschelt, Wetten abgeschlossen, wie lange diese Laune wohl diesmal dauern wird. Und irgendwann geht sie tatsächlich vorbei. Es wird wieder normal informiert, ins Meeting eingebunden, gescherzt und so getan, als wäre nichts geschehen.
Und trotzdem ist etwas zerbrochen, und es bleibt die Ungewissheit, wann es das nächste Mal sein könnte. Man kennt den Auslöser nicht, stellt Vermutungen an und bewegt sich vorsichtig, wie auf rohen Eiern. Häufig beginnen da die innere Kündigung und die Suche nach etwas Neuem, einem neuen Umfeld, das berechenbarer ist, wo auf Augenhöhe kommuniziert wird, Verhalten reflektiert und die Ziele im Fokus der Teams und der Vorgesetzten stehen. Schlicht weg, die eigenen Werte erfüllt werden.
Empfohlen von LinkedIn
Auch hier: wer darf schmollen. Die Mitarbeitenden oder die Führungskraft. Auch dieses Verhalten wird Top-Down zur Steuerung eingesetzt und ist ein Kommunikations-Muster, das unbesprochen in der Organisation besteht.
Und was mit den unachtsamen, geringschätzigen oder ignorierenden Chefs? Ist das schon Bossing?
Zur Klärung: Bossing ist eine besonders perfide Form des Mobbings und findet von oben nach unten statt. Die schlechte Nachricht: Bossing zu definieren ist nicht immer leicht. Die gute Nachricht: Mit den richtigen Strategien können sich Beschäftigte durchaus gegen Psychoterror am Arbeitsplatz durch Führungskräfte wehren. Doch was ist, wenn die Führungskraft das als völlig normal ansieht und damit sogar prahlt?
So, neulich im Gespräch mit einer Führungskraft. Vielleicht sollte der Fokus mehr auf Kommunikation denn auf Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit gelegt werden, denn folgendes war passiert, so erzählt mir diese Person. Auf dem Weg zur Arbeit muss er mit seinem Firmenwagen einem Auto hinterherfahren in folgendem Setting: viel Verkehr, nur eine Spur, und das suspekte Auto „zaubert“ dunkle Abgaswolken aus dem Auspuff. Das Ganze zieht sich hin bis zum Firmenparkplatz und man staune, es war eine Mitarbeiterin einer seiner Teamleitungen, die ihr altes Auto ordnungsgemäß parkt und er gleich daneben: Viel Ärger und Wut hatte sich in ihm aufgestaut. Warum muss er diese Abgase einatmen? Er stellt sie zur Rede und „bügelt“ sie rund. Frechheit, Rücksichtslosigkeit, was sie sich wohl dabei gedacht habe. Die Mitarbeiterin erwidert, dass es ihr leidtut, doch irgendwie das Geld nicht reicht, zu hohe Benzinkosten, da sie einen hundertkilometerweiten Anfahrtsweg hat, und kein neues Auto anschaffen kann und macht einen zögerlichen Versuch, die Tür zu einer Gehaltserhöhung zu öffnen. Nun ja, das konnte sie dann gleich vergessen, da sozusagen der Chef ihres Chefs, der vor ihr stand, das Gespräch genau dort abgebrochen hat. Spannend, dass die Führungskraft mir das als gelungenes Kommunikationsbeispiel vorgetragen hat!
Die Achtsamkeitsschulungen der letzten Woche waren vergessen. Reicht doch, wenn er die Nachhaltigkeitsthemen umsetzt, die von oben vorgegeben werden. Ob in dem o.g. Fall die Mitarbeiterin sich wehren wird?
Und in diesem Fall ist es glockenklar, der Vorgesetzte hat seine Macht ausgenutzt unter freiem Himmel ohne Zeugen, so mal eben auf dem Parkplatz. Umgekehrt hätte dieses Verhalten sicherlich ein Nachspiel gehabt.
O.k, o.k! Das sind die Ausnahmen und nicht die Regel. Und bei euch ist das auf gar keinen Fall so. Und trotzdem erlebe ich es im Beratungs- oder Coachingkontext immer wieder und frage mich: Ist diese Art der Kommunikation zukunftsfähig? Häufig verlaufen mögliche Konsequenzen im Sand, weil der Unternehmens-Bereich die Zahlen bringt, der Chef schon immer so war oder bald in Rente geht.
Liegt es an der „DNA“ der Organisation, wenn es in keinem der Fälle ein Nachspiel gibt? Wer darf hier Feedback geben, wenn es sich auf Abteilungsleiter-, Direktoren- oder sogar Vorstandsebene abspielt.
Wie könnten wir das ändern? Wer darf diesen Personen evtl. als "Hofnärrin" den Spiegel vorhalten? Niemand? Sei es aus Angst oder Hoffnungslosigkeit.
Was könnten wir tun?
In einem Beratungskontext würde ich mir wünschen, dass die extern Beauftragten genau hier ehrlich und zukunftsweisend den Finger in die Wunde legen dürfen, aufzeigen, gemeinsam hinschauen und eine Lösung, eine Änderung finden.
Zum Abschluss ein schönes Zitat von Jim Citrin:
𝘛𝘩𝘦 𝘣𝘦𝘴𝘵 𝘭𝘦𝘢𝘥𝘦𝘳𝘴 𝘥𝘰 𝘯𝘰𝘵 𝘤𝘭𝘪𝘮𝘣 𝘵𝘰 𝘵𝘩𝘦 𝘵𝘰𝘱, 𝘵𝘩𝘦𝘺 𝘢𝘳𝘦 𝘤𝘢𝘳𝘳𝘪𝘦𝘥 𝘵𝘰 𝘵𝘩𝘦 𝘵𝘰𝘱. 𝘈𝘯𝘥 𝘴𝘦𝘳𝘷𝘪𝘯𝘨 𝘰𝘵𝘩𝘦𝘳𝘴 𝘪𝘴 𝘩𝘰𝘸 𝘪𝘵 𝘩𝘢𝘱𝘱𝘦𝘯𝘴.
Gerne würde ich Hofnärrin sein und mir die Narren-Kappe aufsetzen. Und das nicht nur, weil Karneval ist 😊