1.21 GW - Energie für die Zukunft #06
Die Top-Themen der letzten 14 Tage
Dann machen wir eben unser eigenes Netz: Berlin kauft Fernwärmenetz zurück
Der Berliner Senat hat entschieden, das Fernwärmenetz von Vattenfall zurückzukaufen: für die 1,6 Mrd. € erhofft man sich stabile Preise, hohe Zuverlässigkeit und eine zügige Klima-Transformation der Netze. Experten sehen den Rückkauf jedoch skeptisch – ist ja jetzt nicht so, dass bei Vattenfall alle in der in Hängematte gelegen hätten: der mit 56 Mio. Liter größte Fernwärmespeicher Deutschlands steht bereits, eine Industriewärmepumpe und eine Dampfturbine als Abwärmequellen sind in Planung. Das alles, wie auch die Pläne zur umstrittenen Nutzung von Biomasse (15 % im Wärmemix) erbt der Senat nun von den Schweden: ein eigenes Netz hat immerhin den Vorteil, dass man Planung und Ausbau desselben nun selbst in der Hand hat – genau wie die Finanzierung, warnen Fachleute: Die Kosten der Berliner Wärmewende werden in den nächsten zwei Jahrzehnten spürbar: das betrifft Ausbau und Modernisierung der Netze, wie auch klimaneutrale Wärmequellen. Experten gehen von mehreren Milliarden aus – und zweifeln die fiskalische Leistungsfähigkeit unserer schönen Hauptstadt an. Die Senatsverwaltung ist da entspannter: damit beschäftige man sich, sobald der Kauf unter Dach und Fach ist. Hach, Berlin: bleib so wie du bist!
Tech Solution oder Schnapsidee? Reality-Check für Miniatur-AKW
Klein, modular und in gewissen Kreisen sehr beliebt: die Rede ist nicht etwa von bunten Lego-Steinen, sondern von Mini-Atomreaktoren, neudeutsch SMRs (Small Modular Reactors). SMRs sollen die nächste bahnbrechende Technologie sein: sie werden in einer Fabrik produziert, die Einzelteile an einem Ort gesammelt und dann zusammengebaut. Also irgendwie doch wie Lego-Steine. Die OECD-Kernenergieagentur zieht nun aber eine ernüchternde (oder erfreuliche?) Bilanz: es gebe fast keine erfolgreichen Vorbilder solcher Reaktoren! Nur China und Russland betreiben je einen SMR: einer mit 0,25 GW, der andere mit 0,05 GW – eine Serienfertigung ist nicht in Sicht. Zum Vergleich: ein „richtiges“ AKW kommt auf ca. 1,6 GW. Außerdem: die weltweit erwartbare Gesamtleistung sei selbst in ambitionierten Szenarien mit 300 GW verschwindend gering. Und es wird noch schlimmer: bei den HALEU-Brennstoffen drohe eine Abhängigkeit von Russland. Nur dort werde das höher angereicherte Zeug kommerziell tragfähig hergestellt. Die EU-Kommission sieht hier trotzdem Potential: eine Industrieallianz soll das Thema endlich mal aufs Gleis setzen. Modularität im AKW-Bau ist ja jetzt auch keine richtig neue Idee: bereits die drei zuletzt abgeschalteten deutschen AKW waren nahezu baugleiche Anlagen der sog. Konvoi-Baureihe.
Von Anfang bis Ende: Neuer Netzentwicklungsplan noch mit kleineren Lücken
320 Mrd. € - so hoch sind die Gesamtkosten aller Ausbaumaßnahmen im Übertragungsnetz bis 2045. Das hast die Bundesnetzagentur unlängst anlässlich der feierlichen Bestätigung des Netzentwicklungsplan Strom (NEP 2023-2037/2045) durchgerechnet. Der neue NEP wird uns erstmals genau aufzeigen, wie das Stromnetz für ein klimaneutrales Stromsystem auszusehen hat. Allerdings: so genau dann doch nicht – für die Leitungen wurden lediglich Anfangs- und Endpunkte definiert. Die genauen Trassenverläufe müssen womöglich noch sorgfältig um den ein oder anderen Wahlkreis herum abgezirkelt werden. Fünf neue Gleichstromprojekte mit jeweils 2 GW sowie Offshore-Anbindungsleitungen finden sich nun im NEP wieder, wie auch 116 Wechselstromleitungen – für 320 Mrd. € kann man tatsächlich eine Menge Kupfer kaufen: 4.800 Neubaukilometer sowie 2.500 Kilomater an Leitungsverstärkungen sind geplant. Jetzt kommt wieder die alte Leier: die Kosten werden natürlich über die Netzentgelte auf die Verbraucher umgelegt. Zum Glück geschieht das über Jahrzehnte hinweg – es fließen nur niedrige Anteile in die Netzentgelte ein, verspricht die BNetzA.
CCUS in Europa: Kaum Projekte, aber jetzt schon knappe Speicher
Ohne Carbon Capture and Storage (CCS) oder wenigstens eine Nutzung (CCU) von CO2 wird es wohl nichts mit der Klimaneutralität – eine Einschätzung, die heutzutage an Allgemeinwissen grenzt: die EU hat eine Carbon Management Strategie vorgelegt, Deutschland ist unlängst nachgezogen, der NZIA formuliert bereits verbindliche Speichervolumina. Diese könnten schon bald der Flaschenhals werden: denn Abscheideanlagen entstünden deutlich schneller als neue Speicherstätten, die zu entwickeln viel länger dauere, warnt eine Studie vom JRC: diese hat rund 100 potentielle Lagerorte innerhalb der EU gefunden – vor allem in der norwegischen Nordsee in die bis zu 70 Gigatonnen reinpassen, rechnerisch also etwa die globalen Emissionen von 2 Jahren. Norwegen ist auch bereits gut dabei: 22 Mt aus den Gasfeldern Sleipnir und Snøhvit sind bereits auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Und transportiert werden muss das CO2 auch noch: 19.000 km Pipeline für mehr als 40 Mrd. € könnten dafür nötig sein – schließlich mangele es nicht an Projekten: mehr als 100 Vorhaben wurden allein im letzten Jahr angemeldet – und auch auf der sechsten PCI-Liste finden sich gleich 14 Kandidaten. Auch Deutschland ist hier mit Nautilus CCS, Northern Lights und weiteren Projekten vertreten. Jetzt muss nur noch der ETS die passenden Preissignale in die Welt senden – dann stimmt irgendwann auch der Business Case für CCS.
Eingedampfte Kraftwerksstrategie wirft weiter Fragen auf
„Warum eigentlich?“ Das ist kontextunabhängig sicher eine der prägnantesten Fragen unserer Zeit, die wir uns bestimmt alle schonmal mehr oder weniger eindringlich gestellt haben. So auch die Union, die für die großen Fragen des Lebens jederzeit auf das Mittel der Kleinen Anfrage zurückgreifen kann: „Warum, lieber Robert, lässt du nur 10 GW statt 24 GW an Back-Up-Kraftwerken bauen?“ Darauf hatten sich der Bundeskanzler und seine Minister für Wirtschaft und Finanzen geeinigt – wer möchte bei so viel Sachverstand schon widersprechen? Trotzdem eine berechtige Frage: immerhin ging es seit Tag Eins der Kraftwerksstrategie um den Aufbau einer wasserstoff-fähigen Flotte von Reservekraftwerken: 15 GW Gaskraftwerke und je 4,4 GW Hybrid- bzw. Sprinterkraftwerke alles natürlich gefördert durch den Staat. Nun soll es nur noch 4 Ausschreibungsrunden zu je 2,5 GW geben – da es sonst wohl arg teuer werden könnte, was man zwischen den Zeilen der Antwort herauslesen kann. Durch weniger Volumen, weniger geförderter Volllaststunden und durch die Nutzung aller H2-Farben sollen den Kosten „entgegengewirkt“ werden. Den Rest erledige der neue Kapazitätsmechanismus, wie auch immer er aussehen möge. Die Kosten sind weiterhin völlig unklar: sie hängen laut BMWK vom Preis für Erdgas bzw. H2 ab. Ach, echt?
Ein Ladepunkt ist keine Einbahnstraße
Das e-Fahrzeug als mobiler Stromspeicher – Deutschland kommt diesem Ziel einen Mikroschritt näher: Der Beirat der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur hat dem BMVD feierlich einen Plan zur baldigen Einführung des bidirektionalen Ladens überreicht. Bereits 2025 soll es marktfähige Anwendungen für Haushalte (Vehicle-to-Home, V2H) geben, die netzdienliche Rückspeisung ins Stromnetz (Vehicle-2-Grid, V2G) kommt dann so ab 2027. Natürlich gilt es bis dahin noch große rechtliche Hürden abzubauen, was mit einem einzigen Federstrich zu bewerkstelligen wäre: so muss die Doppelbelastung des Stroms eliminiert werden – sowohl auf dem Weg in den Speicher wie auch in die Gegenrichtung fallen Steuern, Abgaben und Umlagen an. Seit Jahren bekannt, komplett sinnlos und der Tod für jedes Geschäftsmodell – an Stromspeichern beißt der Gesetzgeber sich seit jeher die Zähne aus. Laut VDA soll Deutschland Vorreiter und Technologieführer in Personalunion für bidirektionale Ladetechnik werden, die OEMs schmeißen demnach bereits die BiDi-fähigen Fahrzeuge auf den Markt. Laut Experten habe V2H/V2G das Potential, Stromkosten zu senken und Stromnetze zu entlasten, wenn genügend Fahrzeuge am Netz sind und zusammengeschaltet werden, um Spitzenlasten aufnehmen oder zurückzuspeisen.
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How dare you?!
Keines der fünf Nordseeländer tut auch nur irgendwas, um seine Öl- und Gasproduktion an das 1,5-Grad-Ziel anzupassen. Das hat die US-amerikanische NGO Oil Chance International durch scharfes Hinsehen herausgefunden. Großbritannien, Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Norwegen sind schuldig im Sinne der Anklage, keinen fairen Beitrag zum fossilen Ausstieg zu leisten: zusammengenommen sind sie der siebtgrößte Öl- und Gasproduzent der Welt (direkt hinter China) und würden mit ihren Förderabsichten rund 10 Gigatonnen neue CO2-Emissionen verursachen. Am buntesten treiben es demzufolge die Freunde aus Norwegen: zwischen 2017 und 2023 habe das Land eine Förderung in Höhe von 7.228 Millionen Barrel Öl-Äquivalent (BOE) genehmigt. Zum Vergleich: Deutschland kam im selben Zeitraum auf 7 Millionen BOE. Möglicherweise hängt die intensive Förderung Norwegens auch damit zusammen, dass dem größten Gasverbraucher Europas die eigene Gasversorgung 2022 um die Ohren geflogen ist. Fair wäre es, wenn die Nordseeländer in den frühen 2030er Jahren aus dem Business aussteigen würden: selbst die bereits in Betrieb befindlichen Förderstätten hätten mehr Reserven als unter klimapolitischen Gesichtspunkten überhaupt förderbar wären.
Was lange währt...
Nach jahrelanger Vorbereitung versteigert das BMWK erstmals einen Klimaschutzvertrag (KSV) mit der Industrie. Energieintensive Unternehmen können sich nun in den kommenden vier Monaten um eine 15-jährige Förderung für Transformationsprojekte bewerben, sofern sie schon im vergangenen Jahr an einer Vorauswahl teilgenommen hatten. Ganze 23 Mrd. € hat man für die ersten beiden Runden im Haushalt geparkt – mal sehen, wie lange die reichen, angeblich gäbe es nämlich mehr als 300 Bewerber. „Neuland“ habe die Bundesrepublik getreu ihrer ewigen Vorreiterrolle mit den KSV betreten: statt wie sonst nur Investitionskosten zu bezuschussen, werden nun erstmals auch die folgenden Betriebskosten, z.B. für CO2, Wasserstoff oder profanen Strom alimentiert. Vier Ausschreibungsrunden soll es bis Ende der Legislaturperiode geben – die fünfte fiel der Karlsruher Budgetschere zum Opfer. Laut BMWK werden dank der KSV rund 20 Megatonnen CO2 pro Jahr vermieden, was schonmal rund einem Drittel des Sektorziels für die Industrie im Jahr 2030 entspricht. Nach ihrem Auslaufen sollen die KSV durch Grüne Leitmärkte ersetzt werden, die noch dieses Jahr vorgestellt werden sollen – das BMWK wähnt sich hier voll im Zeitplan. Aus der Branche kam erwartungsgemäß hinreichender Applaus, und direkt der Ruf nach einer Ausweitung der Förderung: warum auch sauer verdiente Eigenmittel aufwenden, wenn für ohnehin erforderliche Investitionen ebenso gut der gemeine Steuerzahler aufkommen kann. Umweltverbände sehen jedoch kritisch, dass KSV auch für CCS-Projekte oder blauen Wasserstoff infrage kommen können – Technologieoffenheit war allerdings erneut nötig, um das Thema irgendwie an den liberalen Hütehunden vorbei durch das Finanzministerium zu bekommen.
Das "dreckige Dutzend"
Ganze drei Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen wurden im Jahr 2022 von den zwölf größten Chemieparks des Landes verursacht – besonders die Grundstoffchemie zählt zu den energieintensiven Branchen. Das hat eine Analyse des Öko-Instituts herausgefunden. Zusammen kommen die Parks auf 23 Mio. Tonnen CO2, die vor allem aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Steamcrackern und Ammoniakanlagen entweichen. Zum Glück meckert die Studie nicht nur, sondern zeigt uns auch eine gewitzte Möglichkeit auf, wie man die Emissionen begrenzen kann – abgesehen davon, die Energie so teuer zu machen, dass die Unternehmen von ganz allein aus dem Markt bzw. ins Ausland gedrängt werden: also, diese Erneuerbaren Energien – die werden nochmal richtig wichtig werden, vermuten die Autoren. Ihre Nutzung sei grundlegend, z.B. bei der Elektrifizierung industrieller Prozesse oder bei der Herstellung von Wasserstoff. Allerdings: chemische Prozesse seien vielfach auf dauerhaften Strombezug ausgelegt. Im Erneuerbaren-Stromsystem habe sich jedoch der Stromverbrauch stärker an die verfügbare Einspeisung anzupassen. Hoffentlich sind die Gesetze der Chemie hier flexibel. Ein anderes Problem sind die Netzentgelte: Branchenvertreter warnen, dass eine komplette Umstellung auf Strom zu einem „extrem hohen Strombedarf“ und zu hohen Netzentgelten führen werde.
Auf ein Wort...
„Der Übergang zu sauberer Energie schreitet voran und reduziert die Emissionen, selbst wenn die globale Energienachfrage im Jahr 2023 stärker wächst als im Jahr 2022“, sagt Fatih Birol, Chef der International Energy Agency IEA. Diesen Optimismus versteht man mit Blick auf die Zahlen vielleicht nicht sofort: die globalen CO2-Emissionen sind mit 37,4 Gigatonnen (+410 Mt gegenüber dem Vorjahr) auf einem neuen Rekordwert. Schwacher Trost: laut Emissionsbericht 2023 ist das Wachstum weniger stark als noch zuvor. Ein Faktor für den erneuten Anstieg ist die Erderwärmung selbst: aufgrund von Dürre führten viele Flüsse vor allem in China und Nordamerika weniger Wasser – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Stromerzeugung aus Wasserkraft. Und die Fehlmengen wurden leider nicht mit Wind und Solar ausgeglichen, sondern mit der guten alten Kohle. In den Industrieländern sank der CO2-Ausstoß übrigens um 4,5 Prozent (Europa: 9 Prozent) – ebenfalls Rekord, der dazu führt, dass die Emissionen der Industriestaaten heute niedriger sind als vor 50 Jahren. Ob man damit bei der nächsten COP angeben kann, darf aber bezweifelt werden. Viel wichtiger: zum Glück ging der letztjährige Emissionsrückgang der Industrienationen nicht zu Lasten der Wirtschaftsleistung vonstatten! Diese stieg um zarte 1,7 Prozent – vielleicht ja auch dank des Beitrags von Wind- und Solarenergie: deren installierte Kapazität wuchs um 60 bzw. 85 % oder in absoluten Zahlen um 530 GW, wie die IEA ebenfalls ausgerechnet hat. Demnach hat die EU-weite Windenergie zum ersten Mal sowohl Erdgas wie auch Kohle bei der Stromerzeugung übertroffen – ein „historischer Meilenstein für die Energiewende“, urteilen die IEA-Autoren zu Recht.
Zahlen, bitte!
25 Prozent – so hoch ist der Anteil der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), der eines Tages in der Endausbaustufe mit Offshore-Windparks vollgestellt werden müsste. Das hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) unlängst ausgerechnet. Die AWZ besteht aus 33.000 Quadratkilometern in Nord- und Ostsee, die außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets liegen, aber wirtschaftlich genutzt werden dürfen – so ungefähr bis 200 Seemeilen jenseits des Küstenmeeres. Zur Erinnerung: dort sollen im Jahr 2045 rund 70 GW Offshore-Windleistung installiert sein. Heute sind es immerhin schon 8,5 GW, verteilt auf 1.564 Anlagen, weitere 2,5 GW sind in Bau. Diese Pläne, so vermutet das BSH, werden die Nutzung der Meere in noch nie dagewesenem Umfang verändern. Dafür kriege man aber endlich mal einen Griff an dieses leidige Klimawandel-Thema – was nämlich auch dringend nötig sei: Für die Nordsee sei 2023 das drittwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen (1969) gewesen. Der Klimawandel sei in Deutschlands Gewässern damit eindeutig messbar.
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1.21 GW - Energie für die Zukunft #07 am 03.04.2024 an dieser Stelle...
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