Banking-Trends 2023 – Strategie zurück auf der Banking-Agenda
Ob anhaltender Krisenmodus, steigendes Zinsniveau und wachsende Sorgen um Kreditausfälle – 2023 wird ein herausforderndes Jahr für unsere Banken. Neben der Risikobewältigung warten jedoch auch jede Menge strategischer Stellschrauben, wie unsere Top-Trends zeigen.
Die vergangenen Jahre waren auch in der Finanzindustrie durch das stetige Parieren immer neuer Krisenszenarien geprägt. Dem jahrelangen Niedrigzinsniveau und dem zunehmenden Druck durch digitale Challenger folgte die COVID-Pandemie. Als wir meinten, diese langsam ausgestanden zu haben, sorgte der Angriff auf die Ukraine für beispiellose geopolitische und auch wirtschaftliche Verwerfungen. Auch wenn Inflation, steigende Zinsen und konjunkturelle Eintrübung das Tagesgeschehen deutlich beeinflussen, müssen Banken dringend auch die wichtigen strategischen Fragen unserer Zeit beantworten. Das zeigen unsere Top-10-Banking-Trends für 2023, von denen ich mir einige genauer angesehen habe.
Die Filiale ist noch nicht weg
Nachdem die Pandemie den Rückbau der Filialen weiter vorangetrieben hat, stellt sich die Frage, wie Banken mit ihren verbliebenen Kontaktpunkten zum Kunden in der Echtwelt umgehen. Die Schlangenbildung vor verbliebenen Filialen in der ein oder anderen Großstadt zeigt, dass Kunden noch immer den Kontakt suchen. Sicher, das beantwortet noch nicht, inwieweit Banken damit auch Geld verdienen können, und ob der ein oder andere Kunde mit einem wirklich digitalen Lösungsangebot nicht auch zufrieden wäre. Zugleich hat aber gerade die Pandemie gezeigt, dass vielen Finanzinstituten der persönliche Kontakt zu ihren Kunden – ob Privat- oder Geschäftskunden – abhandengekommen ist. Banken sollten noch einmal Anlauf nehmen und durchdenken, wie sie die Filiale in eine moderne Kundenbeziehung integrieren können oder gar durch die gezielte Präsenz vor Ort neue Kundengruppen in den Fokus nehmen können, so wie dies JPMorgan Chase in den USA gerade derzeit durchexerziert. Das setzt natürlich auch ein angepasstes Filial- und Mitarbeiter-Setup voraus.
Den Zinswettkampf aushebeln
Gerade im anlaufenden Zinsgeschäft und im zunehmenden Wettbewerb um Spareinlagen wird die Loyalität der Kunden eine wichtige Rolle spielen. Nie war es leichter, den Markt nach dem aktuell besten Einlagenzins zu durchsuchen und ein Konto bei einem Wettbewerber zu eröffnen. Wenn Fintechs aus dem Wertpapiergeschäft wie Trade Republic mit Zins-Kampfansagen in kürzester Zeit Milliardenbeträge einwerben, setzt das traditionelle Häuser zusätzlich unter Druck. Die Antwort muss daher in innovativen Angeboten liegen, die den Kunden in der Gesamtheit ihrer finanziellen Bedürfnisse anspricht. Mit großem Erfolg hat die Bank of America beispielsweise ein recht umfassendes Loyalitätsprogramm aufgesetzt, bei dem Kunden ab bestimmen Einlageniveaus unterschiedlich hohe Discounts auf Finanzierungen, kostenlose Banking-Services und Zusatzzinsen auf Spareinlagen bekommen. Einen ähnlichen Ansatz, hier basierend auf genutzten Banking-Services, fährt hierzulande die HypoVereinsbank mit ihrem HVB valyou-Programm. Die Möglichkeiten sind hier vielfältig, wir werden sicherlich bald sehr kreative Lösungen im Markt sehen.
Zeit für eine echte Talentstrategie
Im Notfallmodus haben sich auch unsere Banken äußerst flexibel im Umgang mit ihren Mitarbeitern gezeigt. Diese Flexibilität muss nun in eine neue Normalität überführt werden. Nur so werden Banken auch künftig noch attraktiv für die Talente sein, mit denen sie den bevorstehenden Wandel bewältigen können. Die Finanzinstitute werden sich auf der Suche nach den richtigen Talenten aber auch den Realitäten des Arbeitskräftemangels in vielen Volkswirtschaften stellen müssen. Umso wichtiger sind dezidierte Strategien für Beschaffung, Auswahl, Mobilität, Entwicklung und Bindung von Talenten. Wir werden künftig weit stärker funktionsübergreifende Teams, in denen Fähigkeiten im Vordergrund stehen, fließende Organisationsmodelle, agile Arbeitsweisen und eine nahtlose Zusammenarbeit über Banking-Silos hinweg im Markt sehen.
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Banking-Services und Daten werden zum integrierten Produkt
Banken haben in den vergangenen Jahren zu wenig aus ihren Daten gemacht. Hier braucht es nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Daten müssen als Treibstoff wahrgenommen werden für alles, was eine Bank tut, und nicht als unvermeidliches Banking-Nebenprodukt. Über ein definiertes Daten-„Ownership“ können Informationen aus verschiedensten Quellen über Schnittstellen innerhalb der Bank demokratisiert werden. Das ermöglicht ganz neue Lösungen. JPMorgan Chase arbeitet beispielsweise intensiv an der Nutzung von Data Meshes und konnte über die Zusammenführung von Daten aus der Nutzung von Debit- und Kreditkarten, Scheckausgaben und anderen Quellen in einem Datenprodukt u.a. seine Betrugserkennung verbessern und die Kosten in dem Bereich deutlich senken. Banken sollten sich jetzt auf die Suche nach den richtigen „Datenprodukten“ begeben. Wenn sie Informationen künftig zum Beispiel nur einmal sammeln und dann wiederholt verwenden, könnten beispielsweise neue Geschäftskredite innerhalb von Stunden statt Tagen oder Wochen angeboten werden. Kundenwissen könnte genutzt werden, um proaktiv neue Produkte zu verkaufen, und die KI könnte den Kundenbetreuern in Echtzeit helfen, die Interaktion mit den Kunden spürbar zu verbessern.
Grüne neue Banking-Realität
Auch für das Möglichmachen nachhaltigen Umbaus unserer Volkswirtschaft ist eine neue Datenexpertise essenziell und wird umso wichtiger, je konkreter sich Banken damit beschäftigen müssen. Finanzinstitute stehen mehr denn je unter Druck, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen. Sie können ihre Net-Zero-Verpflichtungen, die im Wesentlichen abhängig sind von den Unternehmen in ihrem Kundenportfolio, aber nicht allein erfüllen. 2023 wird insofern die Suche nach einer gemeinsamen Basis und einem besser messbaren Ansatz im Fokus stehen. Hier braucht es starkes Teamplay der Banken mit Politik, Regulierungsbehörden, Aktivisten und allen anderen Stakeholdern. Nach dem grünen Hype werden wir wohl eine klarere und realistischere Verteilung der Rollen und Verantwortlichkeiten sehen. Gleichwohl werden Banken ihre Net-Zero-Strategie intern deutlich besser implementieren müssen, wie zuletzt auch unsere Net-Zero-Banking-Studie gezeigt hat.
Cash Flows für den frischen Banking-Kern
2023 wird auch die Modernisierung der Kernbankensysteme zurück auf die Agenda kommen. Nach unseren Analysen beschäftigen sich aktuell mehr als die Hälfte der weltweit größten Banken damit, ihre Kernsysteme in die Cloud zu verlagern, oder mit der Vorbereitung darauf. Die Gründe liegen auf der Hand: Mit dem anziehenden Zinsniveau haben Banken nach Jahren des finanziellen Drucks erstmals wieder die Mittel, diesen Schritt zu gehen. Zugleich zieht die Nachfrage nach innovativen Banking-Services an. Das Potenzial von AI, Data Intelligence & Co. ist mit 40 Jahre alten Systemen nicht zu heben, abgesehen davon, dass demnächst auch der letzte Experte für die oft noch im Einsatz befindlichen Software-Mammuts in Rente gehen wird. Banken sollten das aktuelle Zeitfenster als Auftakt zur fortlaufenden technologischen Weiterentwicklung nutzen.
Die anstehenden Herausforderungen für Banken sind äußerst vielfältig und doch sind sie miteinander verbunden. Die Entscheidungen, die Banken in den kommenden Monaten treffen, und die Art und Weise, wie sie diesen Geldsegen aus dem Zinsanstieg investieren, werden die Weichen für die nächsten Jahre stellen. All unsere Top-Ten-Trends für Banken in diesem Jahr finden Sie hier. Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre.