Corona-Helden mit goldener Nase?
Karikatur: Heiko Sakurai

Corona-Helden mit goldener Nase?

Einer der stets wiederholten Grundsätze in der Pandemie war die Beschwörung durch den Gesundheitsminister, die Kanzlerin oder auch andere politisch Verantwortliche, eine Überlastung der Krankenhäuser müsse unbedingt vermieden werden. Jeder dachte dabei an die schrecklichen Bilder aus Italien zu Beginn der Pandemie. Dass dieses Ereignis eine außerordentliche Belastung für Deutschlands Kliniken darstellte, schien Konsens zu sein. Ebenso war allgemein bekannt, dass der Rückgang der Fallzahlen zu Erlöseinbußen führte, während die Ausgaben, z. B. für Schutzausrüstung, Masken, Desinfektionsmittel, Sicherheitspersonal etc. explodierten. Deutsche Kliniken stellten sich ohne Wenn und Aber ihrer Pflicht zur Daseinsvorsorge. Selbstverständlich auch die Häuser privater Träger wie der Asklepios Gruppe.   

Das Märchen vom goldenen Jahr

Mitten in der größten Gesundheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg begann eine interessante Umdeutungskampagne. Letzten Sommer legte der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung los. Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis warf in der „FAZ“ den Kliniken vor, mit weniger Behandlungsfällen höhere Erlöse generiert zu haben. Insofern sei das erste Pandemiejahr 2020 „das goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung“ gewesen.

Zum Jahresende wiederholte Gesundheitsökonom Reinhard Busse den Vorwurf wortgleich in der „Welt“. Nur wenig später eskalierte Franz Knieps, Chef der Betriebskrankenkassen, in dem er den deutschen Krankenhäusern „systematischen Betrug“ vorwarf.  Der eingangs erwähnte höhere Aufwand mit den deutlich gestiegenen Kosten spielte übrigens für keinen der Klinikkritiker eine Rolle.

Faktencheck fördert düstere Lage zutage

In einer Talkshow gäbe es jetzt womöglich einen „Faktencheck“. Wir können dazu einen Blick auf das Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts werfen. Demnach ist nicht alles Gold was glänzt, denn im „goldenen Jahr“ hat jede dritte Klinik Verluste geschrieben und für 2021 hat sich deren Zahl fast verdoppelt: im zweiten Pandemiejahr erwarten 60 Prozent Defizite.

Nur am Rande sei vermerkt, dass auch eine ausgeglichene Bilanz nicht wirklich ausreicht. Da die Bundesländer ihrer Verpflichtung zur Übernahme der Investitionskosten nur etwa zur Hälfte nachkommen, müssen deutsche Kliniken einen beträchtlichen Teil dieser Mittel selbst aufbringen – was nur mit Gewinnen möglich ist. Verzichten Krankenhäuser auf Investitionen, verlieren sie schnell den Anschluss an den Standard moderner Medizin.

Sündenbock soll Diskussion über eigene Finanzen ersparen

Was treibt die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Lobbyisten an, dass sie noch bevor die Pandemie vorbei ist, die eben noch gefeierten Corona-Helden so heftig attackieren? Hier mögen ihre eigenen Finanzen aufschlussreich sein. Denn die haben sie ganz offensichtlich nicht im Griff. 2021 forderten und bekamen sie mit 28,5 Milliarden Euro den höchsten jemals vergebenen Staatszuschuss. Offensichtlich sucht man einen Sündenbock, den man für das finanzielle Desaster verantwortlich machen kann. Es ist natürlich einfacher, einen anderen als Verursacher zu beschuldigen als die Gründe bei sich selbst zu suchen. Ach was könnte da alles Unangenehmes zu Tage treten!? Reformbedarf bei den fast 100 Kassen wie notwendige Zusammenlegungen oder zu sehr aufgeblähte Verwaltungsapparate. Immerhin gibt es Industriestaaten, die kommen mit gerade einer Handvoll Krankenkassen aus. Womöglich käme es auch zu Diskussionen, wie sinnvoll ausufernde Dokumentationen und Bürokratie sind, die auf Seite der Kostenträger und symmetrisch ebenso auf Klinikseite massiv Personalressourcen binden und damit überflüssige Kosten verursachen.

Man sieht, das Framing und die Vorwürfe entpuppen sich als plumpes Ablenkungsmanöver, das in der immer noch nicht überwundenen Pandemie besonders grotesk und abwegig wirkt. Dabei ist es diese Diskussion über die Gesundheitsversorgung von morgen, die wir jetzt führen sollten. Auch darüber wie viele Krankenkassen und wie viele Kliniken wir mit welchen Aufgaben haben wollen.

Ja, wir haben zu viele Kliniken und es kommt zu einer Fehlallokation der knappen Mittel. Dem stellen wir uns auch. Wir sind zu einer längst überfälligen Strukturreform bereit. Dies sollten wir aber offen und öffentlich diskutieren und nicht mit einer kalten Strukturreform durch die Hintertür die Bürgerinnen und Bürger täuschen und z.B. die Gesundheitsversorgung in der Fläche riskieren.

Gleiche Einsicht sollte bei der GKV einkehren, denn wir haben auch zu viele Kassen und die Fehlverwendung von Mitteln z.B. für die Zweckentfremdung des MDK. Denn aussitzen geht nicht, das verschärft die Probleme nur – und gefährdet mit den ausufernden Defiziten der Krankenkassen die Stabilität der Sozialabgaben und damit am Ende sogar die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.  

Also liebe GKV-Lobbyisten – Schluss mit der Diskreditierungskampagne. Golden waren die Corona Jahre für Niemanden in unserem System. Lassen Sie uns miteinander reden und Lösungen finden.

Jost Tödtli

Digitalisierung von medizinischen Fachprozessen und eHealth | Consulting - Projektmanagement - Implementierung - Leiter ICT - KIS-Support | Business Development für Healthcare-IT Firmen | 🇨🇭 🇩🇪 🇦🇹 🇱🇺

2 Jahre

Ja, das sagen ich ja schon immer. Die Bevölkerung muss bestimmen, welches Gesundheitssysten es möchte und dann aber auch die "Konsequenzen" tragen. Dann merkt man jedoch schnell, dass dazu eines zwingend notwendig ist als Grundlage und Schlüssel: Ein gewisses Mass an Gesundheitskompetenz ! Nur, wird das wirklich gefördert ?

  • Kein Alt-Text für dieses Bild vorhanden
Rainer Moosdorf, MD, PhD, FAHA

Professor Emeritus for Cardiovascular Surgery, Medical Consultant, Member of Healthcare Shapers

2 Jahre

Diese Pandemie hat wie durch ein Brennglas den Blick auf eine Reihe oft schon unterschwellig bekannter Probleme fokusiert, medizinische, epidemiologische, versorgungstechnische und strukturelle, und es wäre unverantwortlich, wieder zum Business as usual zurückzukehren und so weiterzumachen wie bisher. Die Diskussion um strukturelle Veränderungen muss dabei offensiv und vorurteilsfrei unter allen Beteiligten geführt werden und übrigens auch das Vergütungssystem mit einbeziehen, denn Versorgungs- und Vergütungsstrukturen bedingen sich bekanntermaßen gegenseitig.

Dr. Henri Michael von Blanquet, M.D., MaHM

LEADERSHIP FOR EXPLORING SUSTAINABLE HEALTH. Healthy Longevity Medicine. Author. Editor. Speaker “360º Next Generation LifeCare": Health Captains Healthy Longevity Days Föhr-Amrum-Sylt. Founder THE HEALTH CAPTANS CLUB

2 Jahre

National Solutions are anymore in the age of Digitalization and Molecularization of Medicine enough scaleable: Please take additionally the European Perspective: Your Input as Thought Leader is welcome at THE HEALTH CAPTAINS CLUB HEIDELBERG FORUM "First European Health Summit Heidelberg", March 27-29, 2022 - engage and register @ www.healthcaptains.events - 2022: max. 100 Participants - powered by THE HEALTH CAPTAINS CLUB - LEADERSHIP FOR SUSTAINABLE HEALTH. NAVIGATING TOWARDS ONE HEALTH TOGETHER 2023: April 16-18, 2023 EUROPEAN HEALTH SUMMIT HEIDELBERG powered by THE HEALTH CAPTAINS CLUB together with CO-Hosts @ www.europeanhealthsummit.org

Prof. Dr. Christian Hoeftberger

Former CEO, Gesundheitsunternehmer, Versorgungsgestalter, Transformationleader - Professur für Gesundheitsökonomie (MSH), Netzwerker, Präsident der hessischen Krankenhausgesellschaft

2 Jahre
Prof. Dr. Christian Hoeftberger

Former CEO, Gesundheitsunternehmer, Versorgungsgestalter, Transformationleader - Professur für Gesundheitsökonomie (MSH), Netzwerker, Präsident der hessischen Krankenhausgesellschaft

2 Jahre

Da haben Sie absolut Recht, Herr Hankeln und ich will zwei Dinge unterstreichen: 1. wir Krankenhäuser stellen uns dem notwendigen Strukturwandel nicht in den Weg (übrigens erklärt das auch „meine“, die hessische Krankenhausgesellschaft, öffentlich genauso wie die DKG), aber wir wollen keinen „kalten Strukturwandel“, sondern eine aktive Mitgestaltung des Wandels. „Agiler Gesundheitsgestalter“ nennen wir das bei der Hessische Krankenhausgesellschaft e.V. Dabei darf es nicht auf den Träger ankommen und dessen Solvenz, sondern es braucht ausreichend Investitionsfördermittel (neben den reinen Betriebskosten, den DRG-Erlösen) für die Kliniken von den Ländern, die dafür nach den Grundsätzen der dualen Finanzierung zuständig sind. Wenn „kalte Strukturbereinigung“ nun Kliniken in die Insolvenz treibt, ist es keine Planung und keine Strategie für die Zukunft, weil das sich lokal rein zufällig abspielen würde. Versorgungssicherheit geht nur anders, miteinander und ohne Sektorengrenzen übrigens! 2. Und ja, Bürokratie und Aufwand, der nicht direkt den Patienten zugute kommt, den können und sollten wir bei der Gelegenheit auch gleich neu organisieren. #gemeinsamnochstaerker RHÖN-KLINIKUM AG Asklepios MEDICLIN Steffen Gramminger Susanne Schober

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Kai Hankeln

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen