Unternehmens-Kybernetik – zwischen völliger Ablehnung wegen Unbrauchbarkeit und Euphorie.
Irgendwie hat es sich schon sehr informationstheoretisch angefühlt, inmitten der Zusammenkunft wuseliger Kybernetiker. Das mag daran liegen, dass die meisten Kybernetiker an Hochschulen, forschenden Institutionen und in Laboratorien beschäftigt sind. Oder daran, dass ein merkwürdig elitäres Gehabe einhergeht mit der ihm eigenen Sprache - füreinander geschaffen und oft nicht verständlich für etwaig Interessierte. Oder daran, dass die Einschätzungen über die Verwendbarkeit der Kybernetik extrem uneinheitlich bewertet sind – von völliger Ablehnung wegen Unbrauchbarkeit bis zu euphorischer Befürwortung. Oder auch nur daran, dass eine allgemein anerkannte Definition von Kybernetik bisher nicht existiert.
Doch wirklich problematisch an solch elitärer Beraterszene und ihren Kongressen ist ja nicht, dass sie uns unterhaltsame Themen präsentiert. Problematisch ist, dass sie heutzutage nahezu jedes Thema als Unterhaltung mit „Sinnhuberei“ präsentiert. Sind es also bewährte Strategie-Werkzeuge oder doch nur Esoterik für Fortgeschrittene?
Die Unternehmens-Kybernetik behauptet: „mit adäquaten Denk- und Systemwerkzeugen genau diejenigen Muster und Wechselwirkungen zu erkennen, und mit adäquaten Regeln und kybernetischen Gestaltungskomplexen ein fachdisziplinübergreifendes Verhalten dergestalt zu erwirken, dass ein erfolgreicher Umgang mit Komplexität versprochen werden kann“. Uuuumpf. So geht es mir auch mit Snapchat - nach einigen Momenten beim Empfänger verschwindet es wieder.
Da sind mir die einfachen Regeln, die dagegen problemlos den Einzug ins Tagesgeschäft schaffen doch näher. Kathleen M. Eisenhardt, Professorin für Strategie an der Stanford University: „Simple Rules sind direkte Strategien, die Zeit und Mühe sparen, indem sie unsere Aufmerksamkeit bündeln und die Art und Weise, wie wir Information vereinfachen und verarbeiten. Probleme dürfen kompliziert sein, gute Lösungen hingegen nicht. Strategien entfalten ihre Wirkung eben nicht in dicken Gestaltungskomplexen, sondern nur, wenn sie als einfache Regeln im Unternehmen tagtäglich zum Leben erweckt werden. Komplexität mit Komplexität zu begegnen stiftet oft mehr Verwirrung, als dass Probleme gelöst werden“.
Es gibt keine Patentrezepte jener Art, die mehr oder minder seriöse Erfolgsgurus gerne verbreiten und die angeblich in allen Lebenslagen und für jedermann funktionieren. Unternehmens-Kybernetik, Management-Kybernetik, Soziokybernetik, Technische Kybernetik. Und an Kybernetik ist doch eigentlich auch nichts Besonderes, weil sie in so ziemlich jedem Organismus und jeder Organisation vorzufinden ist. Es ist Logik. Es ist Muster. Es ist Norm. Es ist Regel. Es ist die Grundlage für Robotik und künstliche Intelligenz, oder die schon lange gespielte Spieletheorie. Das Ziel dabei ist die bestmögliche Steuerbarkeit unter geringstmöglichen Risiko. Es geht um Steuerung und Regelung und – einmal mehr – geht es um Kontrolle. Es geht um die Maximierung der Lebensfähigkeit und -dauer eines Systems, etwa einer Organisation, durch die Optimierung der inneren Prozesse und der äußeren Anpassungsfähigkeit. Fraglich bleibt dann allerdings, warum gerade letzteres in vielen Unternehmen so grob vernachlässigt werden kann?
Für Heinz von Foerster, Mitbegründer der kybernetischen Wissenschaft, ist die Selbstbezüglichkeit sogar das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens. Zirkularität und Rückkoppelung als Konzept, das auf sich selbst angewandt werden kann. Und damit Prozesse entfaltet, in denen letztendlich ein Zustand sich immer wieder reproduziert. Philosophisch betrachtet ist der Zweck eines solchen Systems also das System selbst. Wie lange kann das sinnvoll sein? Noch dazu wenn das Conant/Ashby-Theorem besagt, dass die Effektivität eines Management-Prozesses nicht besser sein kann als das Modell, auf dem er aufbaut, denn das Modell bestimmt, welche Fakten und Daten überhaupt wahrgenommen werden - und welche nicht.
Das einzig verändernde Moment ist die aktuelle Information. Die kommt aber nicht mehr langsam und kontrollierbar, sondern gewaltig. Und wie genau macht man nun die Unternehmen fit für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts, wenn selbst die Experten noch nicht einmal mehr prognostizieren können, wie die Wirtschaft wohl Ende nächster Woche ausschauen wird? Die Antworten, wenn überhaupt, blieben umwölkt.
Unternehmens-Kybernetik positioniert sich selbst gerne als elitäre Disziplin, bisweilen auch als „wissenschaftliches Experiment“ - was ihr in vielen Management-Zirkeln tatsächlich den Nachsatz bringt, für umwölkte Esoterik gehalten zu werden. Noch immer sind die allermeisten der heutigen Unternehmensstrukturen aus den Interessen der Industrialisierung modelliert, und über die Maßen geprägt von der Produktions-Optimierungs-Mentalität. Es geht um Standardisierung und Effizienz. Und sollten wir uns nicht viel mehr auf die genau gegensätzliche Richtung fokussieren?
Kybernetik punktet eigentlich auch wenig mit Esoterik. Das Leben ist lediglich eine Abfolge von Entscheidungen, die wir täglich zu treffen haben: dafür oder dagegen. Und selbst wenn wir uns in einer Situation entscheiden, nichts zu entscheiden, haben wir eine Entscheidung getroffen, die Konsequenzen nach sich zieht. Simple Rule, oder?
Für die Entscheidungsfindung mag es noch so spektakuläre Regelwerke und Muster geben, Vernunft und Verstand stehen trotzdem immer erst an zweiter Stelle. Viel zu häufig wird nur gesagt, was ankommt – nicht, worauf es ankommt. Ernsthafte Veränderungen, womöglich mit Härten und Widerständen, sind von den Profiteuren eines Systems unerwünscht. Mehr als knackige Vokabeln sind meist nicht drin. Und bei allen Entscheidungen gewinnt man immer mehr den Eindruck, es gehe nicht so sehr um die ökonomische Vernunft als vielmehr darum, dass den Beteiligten jeweils das eigene Hemd näher ist als der Rock. Dafür gibt es dann allerdings genügend rückkoppelnde Beispiele:
Beispiel, Muster 1: Opportunistisches Verhalten, mangelnde Vorbereitung, egomanische Ignoranz, an vieles hat man sich schon gewöhnen dürfen. VW, Mitsubishi, der holländische Eiermann, und andere nachrichtliche Unternehmensskandale. Und sie folgen dem ewig gleichen und vorhersehbarem Zirkularitäts-Muster: erst wird verheimlicht, dann geleugnet, danach verharmlost, und erst wenn es gar nicht mehr anders geht und die Fakten zu erdrückend sind, folgen zerknirschte Eingeständnisse und Bauernopfer-Rücktritte mit begleitenden Entschuldigungen. Danach läuten wir dann – alle wieder fröhlich - die nächste Spiel-Runde ein.
Beispiel, Muster 2: Merkel oder Trump. Menschliche Entscheidungsfindung gibt es nur in zwei Ausführungen. Wir Menschen reagieren auf Situationen nach vorhersehbaren Mustern - und dann entweder kontrolliert, langsam und überlegend, oder eben automatisch, schnell, wenig überlegt und ohne richtig wahrzunehmen, was wir eigentlich tun. Doch über beide Ausführungen legt sich Brecht, als er sagte: „wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher“.
Beispiel, Muster 3: Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Zyklische Schwankungen gab es in der Wirtschaft schon immer. Gute Zeiten mit fetten Auftragsbüchern wechseln sich ab mit mageren Zeiten. Früher haben wir die fetten Jahre dazu genutzt um Reserven und Fettpolster aufzubauen und um schlechte Zeiten auch mal überbrücken zu können. Das hat sich geändert. Die Fettpolster sind abgesaugt – meist für den kurzfristig darstellbaren Profit und fragwürdige Manager-Leistungen. Und in Zeiten, in denen die Organisationen Ressourcen gerade noch so aufstellen, dass sie das Tagesgeschäft halbwegs passabel überstehen, ist die letzte Steuer-Reserve für kurzfristige Bilanzkosmetik nur noch die atmende Belegschaft. Die Muster und Wechselwirkungen sind klar – auch ohne Kybernetik. Und kein Wunder also, wenn Mitarbeiter ihren Unternehmen emotional nicht mehr verbunden sind. Auch deren Loyalität wird immer öfter rückkoppelnd „lean“ gefahren.
Beispiel, Muster 4: gerade größere Unternehmen schätzen die Prüfung durch und die Expertise von „neutralen“ Institutionen. Und natürlich ist es sinnvoll, dass eine zweite Partei, mit möglichst unverstelltem Blick, einen solchen einmal wirft. Doch meist gelten die geworfenen Blicke nur, um Unternehmen und Manager zu entlasten, vor allem auch moralisch. Ein großes Problem ist jedoch, dass Algorithmen und Methoden immer auch zu falschen Taten führen können. Und der eigentliche Sinn einer solchen Blick-Werf-Aktion läge ja gerade darin, das was hinter den Zahlen steht zu erkennen und sich für blinde Flecken zu öffnen. Doch wie soll das gehen, wenn jeder Manager seinem Kollegen eher misstraut denn vertraut, wenn jede Fachabteilung der anderen gegenüber wichtiger erscheinen darf, wenn jede Funktion ihre eigenen Ziele vorgesetzt bekommt, und diese auch gnadenlos verfolgt, weil sie nach individuellem Zielerreichungsgrad honoriert und kompensiert wird?
Unsere Lernprozesse basieren überwiegend auf dem, was wir gesehen, worüber wir gesprochen und was wir erlebt haben. Und immer noch die höchste Form der Ignoranz ist, wenn man etwas ablehnt, von dem man keine Ahnung hat. Und daher lehne ich Unternehmens-Kybernetik auch nicht ab. Mir fehlen lediglich die belastbaren Referenzpunkte und die Erlebniswelten. Und sie behauptet ja auch nur: „mit adäquaten Denk- und Systemwerkzeugen genau diejenigen Muster und Wechselwirkungen zu erkennen, und mit adäquaten Regeln und kybernetischen Gestaltungskomplexen ein fachdisziplinübergreifendes Verhalten dergestalt zu erwirken, dass ein erfolgreicher Umgang mit Komplexität versprochen werden kann“. Das mit dem Nutzen ist halt immer so eine Sache.
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