Das berufliche Netzwerk bei der Jobsuche – Mythos und Wirklichkeit

Das berufliche Netzwerk bei der Jobsuche – Mythos und Wirklichkeit

In der Selbstwahrnehmung vieler Menschen ist das berufliche Netzwerk bei der Suche nach einem neuen Job entscheidend. Auch gegenüber Freunden und Bekannten ist die Frage nach „Kontakten“, die jemand hat, oder die er ggf. herstellen kann sehr bedeutsam. Viele Menschen verlassen sich bei der Jobsuche dann auch darauf, dass Ihre „Kontakte“, die sie haben, Ihnen schon irgendwie weiterhelfen werden: Schließlich ist das eigene Netzwerk groß und dies nährt die Hoffnung - im Fall der Fälle - einen Zugang zu finden, den die anderen Mitbewerber nicht haben. 

Aber: Hält das der Realität Stand? Und funktioniert das mit den Kontakten wirklich bei der Jobsuche?

Was sagt die Marketingtheorie zu dazu?

Ein zentrales Thema im Marketing ist die (Weiter-)Empfehlung, insbesondere in der (Neu-)Kundenakquisition. Gerade bei Dienstleistungsunternehmen ist die Empfehlung anderer Kunden unerlässlich. Jeder von uns hat bestimmt schon mal von dem (Werbe-)Spruch gehört: „Waren Sie zufrieden, empfehlen Sie uns weiter – waren Sie unzufrieden, sprechen Sie uns an“. Der Grund, warum die Empfehlung ausgerechnet hier eine größere Bedeutung hat als bei materiellen (anfassbaren) Gütern, liegt zum einen in der Immaterialität von Dienstleistungen und zum anderen an der Tatsache, dass Leistungserstellung und der Konsum zeitlich zusammenfallen. Wenn Sie ein neues Möbelstück kaufen, können Sie dieses ansehen, Funktionalitäten ausprobieren und beurteilen, bevor Sie es tatsächlich kaufen. Bei einem Friseur z.B. funktioniert das eben nicht. Wenn die Haare getönt oder geschnitten sind, sind Sie entweder mit dem Ergebnis zufrieden oder eben nicht – aber es gibt kein Möglichkeit eines Zurücks. Für die Entscheidungsfindung bzgl. des „richtigen“ Friseurs ist eine glaubhafte und vertrauensvolle Empfehlung stets sehr hilfreich.

Welche Rolle spielen Empfehlungen im Marketing vor dem Hintergrund von Kaufentscheidungsprozessen? Grundsätzlich können hier zwei Aspekte unterschieden werden. 

  •  Zum einen dient eine Empfehlung dazu, ob ein Produkt überhaupt in Betracht gezogen wird. 
  •  Zum anderen kann die Empfehlung dazu beitragen, dass bei einem Produkt, für es schon eine Kaufabsicht gibt, diese Kaufabsicht verstärkt (oder zumindest nicht negiert) wird. Ein solches Szenario ist unserem Zusammenhang dann eher dem Umgang mit Zeugnissen oder Referenzen zuzuordnen. 

Fokussieren wir uns also an dieser Stelle auf den ersten Aspekt, ob das Produkt überhaupt in Betracht gezogen wird. Verdeutlichen wir den Vorgang an folgendem Beispiel: Nehmen wir an, Sie wollen sich ein neues Motorrad kaufen und ein Freund / Kollege gibt Ihnen eine Empfehlung für ein Modell, das Sie erst gar nicht in Betracht gezogen haben. Was werden Sie tun? Sie werden sich dieses Motorrad natürlich ersteinmal ansehen. Was Sie definitiv nicht tun werden, ist der (Blind-)Kauf ohne weitere Prüfung und Abwägung. Die Empfehlung hat damit allenfalls die Möglichkeit, sich im weiteren Auswahlprozess zu bewähren – nicht mehr, nicht weniger. Wenn Sie nach der Auswahl für ein Konkurrenzprodukt entscheiden, werden Sie dieses auch kaufen.

Was folgt daraus für die Beziehung „Netzwerk und neuer Job“?

Wenn Sie bei der Jobsuche sich allein auf Ihr persönliches resp. berufliches Netzwerk verlassen, ist mit großen Enttäuschungen zu rechnen. Sie finden unsere Aussage zu überspitzt? Dann lassen Sie uns dies ein wenig eingehender betrachten.

Was kann Ihr Netzwerk tatsächlich außer guter Worte leisten? Genauso wie die Empfehlung bei einem Produktkauf - jemand aus Ihrem Netzwerk kann Ihre Bewerbungsunterlage auf den Schreibtisch eines Entscheiders befördern. Vielleicht sogar verbunden mit dem Hinweis, dass es sich hier um besonders lesenswerte Unterlagen handelt – mehr aber nicht! 

Sie kommen also dank des Empfehlungsgeber in den Auswahlpool der Bewerber, aber Sie kommen deswegen noch lange nicht an den Job. Ganz davon abgesehen, dass es in vielen Unternehmen sehr formalisierte Prozesse zu Einstellung gibt, die vorsehen, dass viele verschiedene Entscheidungsträger mit in einen solchen Prozess eingebunden werden müssen und auch sollen. Natürlich kommt es vor, dass jemand den Praktikumsplatz für den Sohn oder die Tochter eines Freundes „organisieren“ kann. Allerdings geht es auch nicht um viel: Praktika sind auf einige Wochen begrenzt und die Entlohnung des Praktikanten wirkt sich nicht wirklich sichtbar auf die Gewinn- und Verlustrechnung aus. Bei einer Führungskraft oder einem Spezialisten stellt sich die Situation hingegen ganz anders dar. Hier wird ein Entscheider durchaus sehr detailliert begründen müssen, warum er Sie als „seinen“ Bewerber als die beste Alternative ansieht. Die Begründung „der kommt auf Empfehlung aus meinem Netzwerk“ ist dann eher nicht ausreichend für einen Einstellungsvertrag resp. stellt Ihre Netzwerkbeziehung vom ersten Tag an unter besondere Spannung. Denn im schlimmsten Fall bringt so ein Vorgehen den Einstellenden selbst in die Bredouille, Stichwort „Spezlwirtschaft“ und „Amigo“. Und die Chance, dass es aufgrund dieses „Kontaktweges“ Konflikte mit der internen Compliance-Abteilung oder dem op(erational)Risk-Verantwortlichen gibt, steigt signifikant. Verschärfend kommt hinzu ein „Geschmäckle“, sich weniger auf Basis von Kompetenzen oder Fähigkeiten auf bestimmten Positionen wiederzufinden, bringt weder dem Entscheider noch Ihnen als Kandidaten auf Dauer etwas. Sie sind – im schlechtesten Falle – auf Gedeih und Verderben an Ihren „Sponsor“ in diesem Unternehmen gebunden. Sie werden von den Kollegen mit Argusaugen beobachtet und jeder (vermeintliche / tatsächliche) Fehltritt wird Ihnen beiden „genüsslich“ angelastet.

Fazit

Ein großes, vertrauenswürdiges und funktionierendes berufliches Netzwerk zu haben, das ist sehr wertvoll. Aber wenn Sie im Fall des Jobverlustes einfach darauf vertrauen, dass Sie „Dank“ Ihres Netzwerks schnell und unbürokratisch in eine neue Beschäftigung kommen, dass Sie jemanden kennen, der ein „großes Netzwerk in die Branche hat“, sind definitiv kleinere oder größere Enttäuschungen schlichtweg vorprogrammiert. Fakt ist: Ihr Netzwerk kann es unter bestimmten Umständen ermöglichen, dass Sie an einem Wettbewerb um eine freie Stelle teilnehmen können. Fakt ist aber auch: Ihr Netzwerk kann dabei nicht Ihre Mitbewerber ausschalten, Regeln umgehen oder Sie ohne weiteres „auf dem Schild über die Ziellinie“ tragen. 

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