Deutsch (1) - die Krux mit den Artikeln

Deutsch (1) - die Krux mit den Artikeln

Nicht jeder wird es wissen, aber ich bin unter anderem auch ein Schriftsteller (auch manchmal ein Schriftstellender, denn zu Hause stelle ich ab und zu Schriften hierhin und dorthin). Ich habe ein paar veröffentlichte Romane und Geschichten bei unterschiedlichen Verlagen (keine DKZV). Wenn man einen Roman schreibt, dann befasst man sich auch zwangsläufig mit der Sprache - jedenfalls wenn man Romane schreibt, wie ich sie schreibe.

Die deutsche Sprache ist eine Augenweide, manches Wort ist ein Ohrwurm und manche Strukturen hinterlassen ein Magengrummeln. Der eine oder die andere mag sich schon einmal gefragt haben, wieso es eigentlich der, die und das gibt und was diese Artikel für eine Bedeutung haben. Darum habe ich mich unter anderem Ausschweifend mit der Artikelbildung befasst und möchte das in einem ersten Artikel wiedergeben. Dieser Artikel befasst sich mit der Herkunft und der ursprünglichen systematischen Bedeutung der Artikel - hat aber nichts mit der Sprache und dem Sprachverständnis zu tun. Hier geht es einzig um Begriffe und wie Artikel entstanden sind und wieso wir für bestimmte Worte einen bestimmten Artikel haben.

der Mann - die Frau - das Ding

So heißt es und da ist doch sofort klar, vom Artikel (Genus) können wir aufs Geschlecht (oft in der Sprachwissenschaft Sexus genannt) rückschließen. Oder etwa nicht? Es heißt nämlich auch der Baum - die Fachkraft - das Büblein. Ist jetzt jede Fachkraft weiblich, sind Büblein ohne Geschlecht (also ein Neutrum) und sind Bäume männlich? Aber wieso ist die Kastanie dann weiblich, wenn der Baum doch männlich ist? Wieso ist der Experte männlich, wenn die Fachkraft doch weiblich ist und wieso ist der Bube männlich, wenn das Büblein sächlich ist? Und warum ist in der Mehrzahl alles weiblich? Es heißt nämlich immer die. (Bitte kurz so stehen lassen, ich komme später darauf zurück).

Tatsächlich muss man in der Entwicklung der Sprache weit zurückgehen. Ersteinmal muss man wissen, dass das Deutsche der indogermanischen Sprachfamilie angehört, wie das Keltische, das Altindische, das Griechische, das Anatolische aber auch die slavische oder die romanische Sprachfamilie (eigene Hauptzweige im Indogermanischen). Es gibt eine Ursprache, das Urindogermanische, das noch ganz ohne Genus auskommt. Dort entwickeln sich zwei Wortarten: Subjekte (Animata) und Objekte (Inanimata). Subjekte handeln (und werden mit einem s am Ende gekennzeichnet) und Objekte werden behandelt (und mit einem m am Ende gekennzeichnet). Manche Wörter können Subjekt oder Objekt sein. (M. Fritz "Die urindogermanischen s-Stämme und die Genese des dritten Genus, 1996)

Erst mit dem Auseinanderdriften der Indogermanen entstehen das Genus. Das erste für Subjekte und das zweite (spätere dritte) für Subjekte. Im Deutschen repräsentiert (einfach gesagt) also der die Subjekte und das die Objekte bzw. substantivierte Handlungen. Das Endungs-S im Lateinischen noch erhalten ging im Deutschen verloren, erscheint aber wieder in den Kasus:

Das Haus des Mannes. Hier wird der Mann zum Subjekt, obwohl er auf das Haus folgt.

Der Mann, der kein Mann war

Der Mann ist übrigens ein Wort für Mensch und damit geschlechtslos (siehe (Gerhard Köbler, "Indogermanisches Wörterbuch", 2004). Wir Männer sind also einfach nur Menschen. Dagegen gibt es schon Vater und Mutter als Wörter und beide sind Subjekt-Wörter und damit anfangs mit dem ersten Genus gekennzeichnet (M. Fritz "Die urindogermanischen s-Stämme und die Genese des dritten Genus, 1996). Wäre das so geblieben, würden wir heute von der Vater und der Mutter sprechen. Übrigens ist das in einigen indogermanischen Sprachen (vor allen Dingen ausgestorbenen) auch so - nicht im Englischen, da entfiel das Genus einfach wieder (Michael Meier-Brügger, "Indo-European Linguistics, 2003).

 Wie kamen wir dann zu einem dritten Geschlecht? Das kam über die Mehrzahl hinein. Die Objekt-Wörter wurden nach Gruppenbildung (die Menge ist mehr als das einzelne) und nicht gruppenbildend eingeteilt. Die Falle bilden in der Mehrheit eine Gruppe, das Fallen bildet keine Gruppe. Das Ding eben auch nicht, weil ein Ding unspezifiziert ist. Außerdem sind Mehrheitsworte eben auch Gruppen. Für Gruppen und Gruppenbildende gab es dann den neuen Artikel, der zu unserem zweiten und damit später zum Artikel die wurde. Übrigens gilt das auch für ungreifbare ‚Objekte‘ wie die Liebe, die Sehnsucht etc. (Michael Meier-Brügge F303)

Warum aber bekamen Frauen das zweite Genus und blieben nicht im ersten - sie sind doch auch Subjekte und damit handelnd? Das liegt daran, dass es anfangs keine Möglichkeit gab, Frauen und Männer auseinanderzuhalten. Der Krieger ist einfach eine Person als Subjekt. Man fügte jetzt also eine Verniedlichungsform an und änderte den Artikel, um das Geschlecht von Frauen zu verdeutlichen (man spricht von einer stärkeren Markierung). Man muss aber sagen, dass es zwar schon das Wort für Frau gab, aber noch kein Wort für den Mann. Jedenfalls ist keines überliefert. Frau ist übrigens auch erst ein später entstandenes Wort, aber Vorformen von Weib wurden genutzt (und das bekam zunächst auch das zweite Genus, erst später wurde für Weib das dritte verwendet). (E. Tichy Kollektiva "Genus feminum und relative Chronologie im Indogermanischen", 1993)

Mit Herr bzw. Herren sind nämlich die Herrschaften gemeint - höhergestellte Personen - und bezeichnet Frauen und Männer gleichermaßen, und Mann bzw. Männer steht/stehen anfangs für Menschen allgemein. Das ist wohl auch der Grund, warum das zweite Genus für Frauen Verwendung fand. Bis dahin musste man nämlich Konstruktionen wie „der Krieger der Frau“ anwenden (beides im ersten Kasus). Indem man nun eine Verniedlichung anhängte, die bald zu Standardform des zweiten Genus wurde, und das Wort damit in das zweite Genus verschob, konnte man Frauen von Männern abheben. Männer aber immer noch nicht von Frauen. Das liegt daran, dass das Genus nicht gleich dem Geschlecht ist.

Der frühe Gruß „Sehr geehrte Herren“ grüßt also alle Herrschaften.

Wie wurde denn das Mädchen zum Neutrum?

Nun, die Mägdin (im Mittelhochdeutschen noch magedin) steht eigentlich für höhergestellt Frauen (bis das Wort Prinzessin in unsere Sprache kam) (Nibelungenlied, 1. Aventiure). Später dann für alle Frauen und dann für Frauen, die von Frauen befehligt wurden (also die Mägde). Maid ist in einigen Regionen wohl auch noch bekannt. Anfangs ist Mädchen aber eine Ehrbezeichnung (wie Jungfer oder Jungfrau - die so gar nichts mit unserer Jungfrau von heute zu tun hat, sondern eine unverheiratete Frau ist wie auch der Junker bzw. der Jungmann). (Gehard Köbler, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, 2014)

Die Verschiebung kommt erst spät, wie bei vielen anderen Wörtern, die nun in das System eingereiht wurden. Alle Verniedlichungen, die später dazu kommen (das weibliche ‘in ist dann ja keine mehr), sind einfach sächlich. Das Mädchen, das Jüngelchen, das Kätzchen, das Männlein, das Kätzlein usw.

 

Noch heute ist das erste Genus noch das Standardgenus (Prof. Dr. Peter Gallmann, "Zum Genus bei Personenbezeichnungen", 2019). Wenn wir also ein Wort (Nomen) aus dem Englischen in die deutsche Sprache übernehmen, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  1. Das Wort bezeichnet etwas mit einem Geschlecht. Dann ist das Genus der, die oder das.
  2. Das Wort bezeichnet ein mögliches Subjekt oder es keine andere Regel trifft zu. Dann ist das Genus der.
  3. Das Wort bezeichnet ein Objekt entsprechend einer Handlung. Dann fügen nutzen wir das Genus das.
  4. Das Wort bezeichnet etwas Abstraktes. Wir benutzen die.

 Beispiele:

  1. Die Bitch. (So unschön das Wort auch sein mag.)
  2. Der Nerd.
  3. Das Sharenting.
  4. Die Cancel-Culture.


Fast alle Übernahmen aus anderen Sprachen funktionieren so. Manchmal gibt auch Diskussionen:

  • Heißt es die Pizza oder das Pizza? Von unserer Sprachsystemik das, aber aufgrund des Buchstabens A am Ende neigen viele zu die.
  • ŸDer Pudding oder das Pudding? Von der Sprachsystematik der, aber das ‚ing‘ scheint eine Handlung im Englischen anzudeuten, was es nicht tut. Daher vermutlich die Verwirrung.

Für Wörter, die auf Dauer dann auch noch ‚deutscher‘ gemacht werden, kann es wieder zur Veränderung des Artikels kommen.

 

Wer aus alternativen Sprachsystemen kommt oder mit Englisch aufwächst, der versteht dann die Verwendung des Genus nicht (und auch den deutschen Muttersprachlern scheint das Gefühl abhandenzukommen). Übrigens verstand auch Mark Twain das Genus im Deutschen nicht und wollte eine Reform in der es das Baum heißt und die Mädchen (in der Einzahl).

Was hat es mit dem generischen Maskulinum auf sich?

Als letztes wollen wir uns noch dem generischen Maskulinum widmen, das im Deutschen heutzutage oft erwähnt wird, das aber so wie erwähnt gar nicht existiert (Daniel Scholten, "Deutsch für Dichter und Denker", 2019). Generisch ist immer ein Hinweis auf die Entlehnung einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Englischen. Tatsächlich diskutiert man im Englischen das generic masculine, das auch noch ins Deutsche falsch übersetzt wurde (wäre es generisch, würde es den Sexus oder die gesamte Gattung betreffen).

Den damit gemeinten Fall finden wir eher in anderen indogermanischen Sprachen wie schwedisch oder isländisch. Da ist „der Regieungssprecher“ eine Frau, wird als „der Regierungssprecher“ bezeichnet. Es in diesen Sprachen üblich, das Geschlecht nicht anzupassen bei allgemeinen Formulierungen. Trotzdem gilt Schweden als weiter fortgeschritten in der Gleichstellung.

Im Deutschen haben wir ein Standardgenus und das ist das erste (Prof. Dr. Peter Gallmann, "Zum Genus bei Personenbezeichnungen", 2019), das aber nicht mit dem Sexus männlich gleichzusetzen ist. In der Mehrzahl wird daraus aber allenfalls ein ‚generisches‘ Femininum, denn der Artikel leitet sich vom zweiten Fall ab. Aus „der Professor“ werden „die Professoren“. Das Standardgenus (der) ist nicht automatisch an der Mehrzahlbildung beteiligt. Ob die Grundform des Standardgenus verwendet wird oder die Grundform des zweiten oder dritten Genus hängt einzig von dem Wort ab: Die Fachkraft - die Fachkräfte. Die Kastanie - die Kastien. Die Frau - die Frauen. Die Person - die Personen. Der Professor - die Professoren, aber die Professorin - die Professorinnen.

Es gibt also im Deutschen kein generisches Maskulinum (nicht einmal ein falsch übersetztes), sondern nur eine Bildungsregel abhängig vom Genus und nicht dem Sexus.

 

Genus ist also nicht gleich Sexus im Deutschen und auch in allen anderen indogermanischen Sprachen ist das nicht der Fall. Andernfalls würden wir das Mensch, das Person, das Fachkraft, das Baum, das Kastanie, das Hund sagen. Es wäre auch das Lehrer und das Nerd, aber die Mädchen.

Ist das alles wissenschaftlich?

Dieser Text ist absolut nicht wissenschaftlich, denn ich belege ihn nicht (wurde aufgrund von Kommentaren geändert) und es gibt kein Literaturverzeichnis. Es ist eine Sammlung von Erkenntnissen verschiedener Sprachwissenschaftler, die ich mal für meine Tätigkeiten als Autor gesammelt habe, und das auch noch in meinen laienhaften Worten vorgetragen. Ich bitte daher die einfache und platte Verwendung von Genus, Kasus und Co. zu entschuldigen. Es gibt Leute, die das mit Sicherheit genauer und mit besseren Formulierungen zusammengetragen haben, aber (meines Wissens nach) nicht in dieser Kürze und ohne das beim Lesen ein Wissen über Sekundärliteratur erforderlich ist und damit ggf. häufiges Nachschlagen erforderlich ist. Die Richtigkeit im Sinne behaupte ich jetzt einfach, aber da andere (sogar mit Doktortitel in Sprachwissenschaften) das ebenfalls tun, nehme ich mir diese Freiheit einfach heraus.


Anm.: Da mir pseudowissenschaftlichkeit vorgeworfen wurde, obwohl ich explizit schreibe, überhaupt nicht wissenschaftlich zu sein, habe ich beschlossen, die wissenschaftlichen Quellen nachzufügent

Arne Dessaul

Chef vom Dienst Onlineredaktion Ruhr-Universität Bochum und Schriftsteller.

8 Monate

Auch bei den Pronomen ist im Plural alles feminin ☺️

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