Deutsch (10) – Konjunktiv II

Deutsch (10) – Konjunktiv II

Da wir uns bereits mit dem Konjunktiv I befasst haben (und der falschen Darstellung seiner Funktion in den Werken der Grammatik), könnten wir nun einen Blick auf den Konjunktiv II richten.

Was erzählt uns denn der Duden zum Konjunktiv II?

·        Der Duden sagt, der Konjunktiv II könne als „Ausdruck des nur Vorgestellten, des Möglichen oder Irrealen.“ gebraucht werden und typisch dafür sei ein Bedingungssatz, man spräche dann vom Potenzialis (Uh, ein Konjunktiv I!).

·        „Wenn die Vergangenheitsform des Konjunktivs II verwendet wird, ist das Eintreten des nur Gedachten nicht mehr möglich“, äußert sich der Duden weiter. Man spräche vom Irrealis.

·        Auch wird der „Ausdruck der Höflichkeit oder Unverbindlichkeit“ vom Duden erwähnt.

Der Potenzialis

Der Potenzialis (oder auch Potentialis) ist der lateinische Konjunktiv. Die Römer verwendeten den Potenzialis ausschließlich in Bezug auf Annahmen und Behauptungen, ansonsten wurde der Indikativ verwendet. Der Deutsche Konjunktiv II hat aber mit dem (römischen / lateinischen) Potenzialis gar nichts zu tun, denn er ist nicht mit ihm verwandt. Die Germanen verwendeten bereits den Konjunktiv und zwar so, wie sie ihn eben verwendeten. Die Bezeichnung Potenzialis ist also ein kleiner „Kunstgriff“, weil man eben gerne lateinische Begriffe in der Grammatik verwendet, auch wenn das an dieser Stelle sinnfrei ist.

Im Grunde sind mit der Potenz Möglichkeiten gemeint. Der Duden bringt glücklicherweise dazu auch drei Beispiele:

·        Wenn sie käme, wäre ich froh.

·        Ohne dich wären wir nicht so weit.

·        Wenn er doch hier wäre!

Solche Aussagen relativieren wir im Deutschen über den Aussagemodus, nicht über den Verbalmodus (zu dem Konjunktiv I und II gehören). Der Satz als Ganzes drückt die Möglichkeit aus, nicht das Verb. Der Indikativ aus den Sätzen beschreibt nämlich die gleiche Möglichkeit – nicht die Konjunktivform des Verbs:

·        Ich bin froh, wenn sie kommt.

·        Nur durch dich sind wir so weit.

·        Ich wünsche mir, dass er hier ist.

Natürlich sind die ersten drei Beispielsätze im Konjunktiv, aber die Möglichkeit (die Potenz) entsteht nicht durch den Konjunktiv an sich, dieser wird lediglich benutzt – anders als beim lateinischen potentialis. Man kann also auch Möglichkeiten im Konjunktiv beschreiben – aber es ist nicht die Funktion des Konjunktiv II.

Der Irrealis

Auch dieser Begriff ist dem Lateinischen entlehnt, passt aber besser. Denn genau dafür ist der Konjunktiv II gemacht: Der Irrealis ist dazu da, Dinge zu unterstellen, das Unwirkliche auszudrücken oder das gedachte Unmögliche. Der Duden gibt uns dazu wieder hübsche Beispiele:

·        Wenn sie gekommen wäre, hätte ich sie abgeholt.

Es ist das Unwirkliche. Ich kann sie nicht abholen, denn sie ist nicht gekommen. Wie sollte man das im Indikativ ausdrücken?

·        Er hätte alles für sie getan.

Man kann es als Unterstellung ansehen, denn ob es wirklich so ist, können wir nicht wissen.

·        Sie benahm sich, als ob sie betrunken wäre.

Damit wird die Lüge enttarnt oder es ist eine Unterstellung. Wir behaupten, dass sie gar nicht betrunken war, sondern sie nur so tat.

·        Er tat, als wäre er krank.

Auch hier wird er der Lüge bezichtigt.

Der Duden macht aber einen Fehler. Er behauptet, der Irrealis sei nur in der Vergangenheitsform möglich, aber das ist falsch:

·        Würde sie kommen, holte ich sie ab.

·        Er würde alles für sie tun.

·        Sie benähme sich, als ob sie betrunken wäre.

·        Er täte, als wäre er krank.

Man sieht, alle Sätze funktionieren perfekt in anderen Zeitformen und sie bleiben genauso irreal.

Höflichkeit und Unverbindlichkeit

Auch dafür ist der Irrealis gut und er hat dabei einen Hauch von Humor.

·        Dürfte ich mal vorbei?

Dieser Satz nutzt den Konjunktiv II und dabei ist er durchaus real, nicht irreal. Wir jubeln dem Satz einfach etwas Ironie bei, indem wir die Möglichkeit vorbei zu gehen ins Irreale verschieben. Das wirkt auf uns höflich.

Stellen Sie sich vor, sie sehen einen herannahenden Riesenkometen, der die Erde auslöschen wird und der die Ausweglosigkeit der Situation klar erkennen lässt. Was könnten Sie rufen?

·        Vorsicht!

oder mit einem Hauch von schwarzem Humor:

·        Das könnte schief gehen!

Auch hier benutzen wir den Konjunktiv II für eine humorvolle Aussage, denn wir wissen, dass es bereits schiefläuft - das Ende ist unausweichlich.

Auch dann, wenn wir eine Unverbindlichkeit ausdrücken wollen, ist der Konjunktiv II das Werkzeug unserer Wahl:

·        Ich hätte da eine tolle Idee! (Bitte hör sie dir an, aber du musst mir nicht zustimmen.)

·        Ich könnte Ihnen einen Termin anbieten! (Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber ich will Ihnen nicht sagen, dass Sie keine Wahl haben!)

Diese Funktion des Konjunktivs II ist auch eine der wesentlichen Anwendungen in der gesprochenen Sprache.

Indikativ oder Irrealis

Ein Satz steht im Indikativ, wenn die Aussage der Realität entspricht:

·        Der Arzt war sich sicher, dass der Typ das Zeitliche gesegnet hatte. Er war tot.

Ist die Aussage hingegen irreal (unwahr), so verwendet man den Irrealis:

·        Der Arzt war sich sicher, dass der Typ das Zeitliche gesegnet hätte. Ein fataler Irrtum. Kurz vor der Einäscherung sprang der Mann aus dem Sarg. Leider brach er sich dabei das Genick. So ein Pech.

Der Irrealis im Konjunktiv I

Immer dann, wenn sich die Verbform des Konjunktivs I der Form des Indikativs entspricht, wechselt man zur Verbform des Irrealis. Hier ein Beispiel bei dem der Konjunktiv I Präsens dem Indikativ Präsens entspricht. Niemand kann erkennen, ob der Satz den Konjunktiv nutzt oder nicht. Wir gehen daher allgemein vom Indikativ aus:

·        Ich sage, ich folge dir!

Häufig wird es in der gesprochenen Sprache nun das Hilfskonstrukt mit „würde“ eingefügt:

·        Ich sage, ich würde dir folgen.

Das ist sprachlich vollkommen okay, weil es nicht falsch ist. Dennoch ist das Grundvorgehen nicht das Einfügen von würde, sondern der Rückfall auf den Konjunktiv II (den Irrealis):

·        Ich sage, ich folgte dir.

Die falsche Verwendung in den Medien

Mal abgesehen davon, dass die Funktion des Konjunktivs in dem grammatikalischen Werken fast immer falsch dargestellt wird, ist die Anwendung dort in der Regel völlig korrekt beschrieben. Dennoch finden wir überall falsche Sprachkonstrukte. Ich selbst habe in meinem Text sicherlich auch den ein oder anderen Fehler, aber ich verkaufe meine Texte (jedenfalls diese hier) nicht.

Der Spiegel ist eine schöne Quelle, weil die Spiegelredakteure wenig Ahnung vom Konjunktiv zu haben scheinen, ihn aber sehr gerne benutzen:

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb in einem Post auf X, er sei »Empört über die israelischen Angriffe, bei denen viele Vertriebene in Rafah getötet wurden«. Diese Operationen müssen aufhören, fügte er hinzu. (spiegel.de)

Der erste Satz (Nebensatz) ist wunderschön im Konjunktiv I. Der Folgesatz dann fehlerhaft. Anstatt „müssen aufhören“ ist die korrekte Form „müssten aufhören“. Dass wir uns im Konjunktiv I befinden, sehen wir am ersten Satz. Das Wörtchen „sei“ gibt uns den Hinweis. Da keine Anführungszeichen mehr kommen und er etwas hinzufügt (übrigens unnötig das zu erwähnen, denn das ist die Grundfunktion des Konjunktiv I), dürfen wir auch den zweiten Satz im Konjunktiv verstehen.

Kanzler …, Vizekanzler … und Außenministerin … hätten immer wieder deutlich gemacht, »dass sich Israel bei seiner gerechtfertigten Verteidigung gegen die Terrororganisation Hamas an das Völkerrecht zu halten hat. Und das gilt in allen Fällen«, sagte ... (spiegel.de)

Erstens wird hier schon der Konjunktiv benutzt „hätten immer wieder deutlich gemacht“. Das ist der Konjunktiv I allerdings mit der Verbform aus dem Konjunktiv II, denn haben entspricht hier auch dem Indikativ und muss deshalb ersetzt werden. Danach wechselt der Spiegel lustig zum Konjunktiven II. Wenn die Politiker deutlich etwas gemacht hätten, dann habe sich Israel an das Völkerrecht zu halten – denn der Bezug ist die Aussage, die diese drei Personen getätigt haben sollen. Richtig ist also „an das Völkerrecht zu halten habe“ (hier wird der Konjunktiv I nicht ersetzt, weil habe nicht dem Indikativ entspricht).

… sprach die Gründungsmitglieder … nun auf die Legende an, dass der 1983 verstorbene Schlagzeuger … der einzige Surfer in der fünfköpfigen Gruppe gewesen sei. (spiegel.de)

Auch hier ist der Redakteur des Spiegels unsicher. Eine Legende ist eine Unterstellung und diese wiegt schwerer als die Bezugsherstellung. „sei“ bezieht sich hier auch nicht auf das Ansprechen, sondern auf die Legende. Legenden sind immer irreal und damit im Konjunktiv II.

Der Satz heißt also korrekt: „… sprach die Gründungsmitglieder … nun auf die Legende an, dass der 1983 verstorbene Schlagzeuger … der einzige Surfer in der fünfköpfigen Gruppe gewesen wäre.“

Als ob, als wenn, wie wenn und als

Als ob, als wenn oder wie wenn sind mögliche Einleitungen für den Konjunktiv II (nicht für den Konjunktiv I). Man nennt diese auch modale Satzverbindungen. Hierbei handelt es sich um eine Verbindung aus Haupt- und Nebensatz.

·        Sie sieht heute so schlecht aus, als ob sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätte.

·        Du siehst heute so schlecht aus, als ob du die ganze Nacht nicht geschlafen hättest.

·        Er sieht aus, als wenn er nicht aufgepasst hätte.

·        Er redet so, wie wenn er davon noch nie gehört hätte.

Bei der Verwendung von als werden zwei Hauptsätze verbunden:

·        Sie sieht heute so schlecht aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.

·        Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen.

Oftmals liest man, dass diese Nebensätze bzw. der Hauptsatz im Konjunktiv immer zweiter Teil des Konstrukts sein müssen. Hier vielleicht ein paar Gegenbeispiele:

·        Als ob sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätte, torkelte sie durch das Haus.

·        Als hätte er die Warnung nicht vernommen, drückte er den Taster.

Darüber hinaus gibt es auch Ausrufe, bei dem der ganze Ausruf im Konjunktiv ist, allerdings ausschließlich im Konjunktiv II:

·        Als hätte ich nicht schon genug zu tun!

·        Als ob ich meine Zeit gestohlen hätte!

·        Als ob ich nicht schon genug tun würde!

Die Funktion des Konjunktiv II

Es gibt also zwei wichtige Funktionen. Erstens, wenn wir etwas irreales ausdrücken wollen, zweitens, wenn wir Höflichkeit oder Unverbindlichkeit ausdrücken möchten. Die Verbform des Konjunktivs II findet außerdem Verwendung, wenn im Präsens die Verbform im Konjunktiv I dem Indikativ Präsens entspricht.

Möglichkeiten drücken wir aber mit ganzen Sätzen aus. Diese können wie vieles andere im Konjunktiv stehen, müssen das aber nicht.

Wenn man die echten Funktionen betrachtet und nicht Beispiele, in denen man auch den Konjunktiv benutzen kann, doch nicht muss, wird die korrekte Anwendung meiner Meinung nach klarer.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen