Digital Leadership: Heiß begehrt, kaum vorhanden

Digital Leadership: Heiß begehrt, kaum vorhanden

Es ist das aktuelle Zauberwort in den Führungsetagen deutscher Unternehmen: Digital Leadership, worunter meist eine schnelle, hierarchieübergreifende und teamorientierte Führung verstanden wird, oft mit dem Ziel verknüpft, das Innovationstempo auf Silicon-Valley-Niveau zu hieven. Dabei geht Digital Leadership nicht zwingend mit der Digitalisierung des Geschäftsmodells einher; als entscheidend gilt vielmehr die Anwendung neuer Methoden und Instrumente, zum Beispiel zur Kollaboration in sozialen Medien, in der Leistungsbewertung durch onlinebasierte Systeme oder auch im Projektmanagement durch Methoden wie Scrum. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch bei diesem Digitalthema weit auseinander. Eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) et al. (PDF) zeigt nun:

  • Die Bedeutung der Digital Leadership wird zwar von vielen der 325 Befragten als hoch angesehen,
  • Die Entscheider sind aber nach eigener Einschätzung noch ziemlich weit und nach Einschätzung ihrer Mitarbeiter sogar sehr weit von diesem Wandel und der erhofften Temposteigerung entfernt.
  • Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass Digital Leadership in ihren Unternehmen bislang kein Thema ist,
  • Den meisten Befragten war nicht klar, wie die notwendigen Kompetenzen auf- oder ausgebaut werden könnten.

Bedeutung der Digital Leadership
In allen Unternehmensbereichen wird der Stellenwert der digitalen Führungsfähigkeiten von mindestens der Hälfte der Befragten als „sehr bedeutsam“ oder sogar „unabdingbar“ eingestuft. Die Bewertung nimmt mit der Nähe zum Kunden zu: Marketing/Vertrieb und Kundenservice weisen die höchsten Stellenwerte auf; auch die Beschäftigten in den Forschungsabteilungen haben erkannt, dass sie Tempo aufnehmen müssen. Am Ende der Skala: HR, Management und Einkauf.

Zwischen den Branchen bestehen erhebliche Unterschiede: IT/Telekommunikation und Auto, die bereits mitten in ihrer digitalen Transformation stecken, bewerten Digital Leadership deutlich höher als Berater, Dienstleister und die Beschäftigten in Finanzinstituten. Wer also noch nicht miterlebt hat, wie ein Startup eine Branche in wenigen Jahren umkrempeln kann, glaubt offenbar, noch viel Zeit für die Transformation zu haben. Das dachten die Beschäftigten in der Autobranche vor wenigen Jahren auch noch, bevor das Google-Auto und Tesla um die Ecke kamen.

Fähigkeiten und Erfahrungen der Führungskräfte mit Digital Leadership
Nach der Bewertung ihrer eigenen Fähigkeiten der Digital Leadership gefragt, beurteilen sich die Führungskräfte in der Mehrheit selber mit „gut“; lediglich bei der Umsetzung von Projekten, der Nutzung von Kollaborationsinstrumenten und sozialer Medien ist die eigene Meinung etwas schlechter. Das Urteil löst bei Frank Kohl-Boas, HR-Chef von Google Nordeuropa, Kopfschütteln aus. „Wenn fast die Hälfte der Befragten bestätigt, dass „Digital Leadership“ kein Thema ist, dann frage ich mich schon, ob das ganze Ausmaß der digitalen Transformation auch von der Führung wahrgenommen wird. Es ist höchste Zeit, das Thema schneller, mit mehr Mut und aufgrund seiner Tragweite tiefgreifend in den Unternehmen anzugehen“, wird Kohl-Boas in der Studie zitiert. Rückendeckung bekommt er von den Beschäftigten, die ihre Führungskräfte ebenfalls deutlich kritischer sehen als diese sich selbst: Im Durchschnitt geben die Mitarbeiter ihren Chefs auf einer Skala von 1 bis 5 eine 4 („Weniger gut“).

Was zeichnet Digital Leader aus?
Was haben Elon Musk oder Mark Zuckerberg, was deutsche Manager in der Mehrzahl nicht haben? Natürlich eine Vision, wobei in Deutschland allein das Wort schon verpönt ist. Aber was zeichnet ihren Management-Stil aus? Wahrscheinlich in erster Linie die Gabe, die Mitarbeiter für eine Idee zu begeistern. Wie erreichen sie das? Hier liegt vielleicht der größte Unterschied: Die deutschen CEOs haben die digitale Transformation inzwischen weitgehend verstanden. Aber ihre Unternehmen in die richtige Richtung zu drehen, Fahrt aufzunehmen und vor allem die Mitarbeiter zu begeistern, ist das große Manko. In der Studie werden daher einige Unterschiede zwischen traditionellem Führungsstil und Digital Leadern aufgeführt:

  • Verantwortung: Traditionelle Chefs grenzen Verantwortung eindeutig ab, weshalb Aufgaben jenseits der Hierarchie sofort zu Konflikten führen. Digital Leader übernehmen Aufgaben dagegen je nach Situation neu; entsprechend werden die Kompetenzen der Führungskräfte und Mitarbeiter miteinander vernetzt.
  • Ergebnis: Traditionelle Führungskräfte steuern die Aufträge, planen die Ressourcen und bewerten die Ergebnisse. Digital Leader steuern die entsprechenden Abstimmungsprozesse. Sie bewerten zusammen mit Mitarbeitern die Aufgaben und Ergebnisse.
  • Information: Traditionelle Führungskräfte verteilen die Informationen („Bringschuld“), während der Digital Leader den Rahmen für eine hohe Transparenz schafft, der zu einer „Holschuld“ beim Mitarbeiter führt.
  • Zielsetzung und Beurteilung: Traditionelle Führungskräfte beurteilen die Leistungen ihrer Mitarbeiter individuell und in festen Zyklen. Digital Leader beurteilen Mitarbeiter und Team gleichrangig; Austausch und Feedback erfolgen kontinuierlich.
  • Fehler und Konflikte: Klare Regeln und Konsequenzen bei Verstößen sollen Fehler und Konflikte vermeiden, hoffen die traditionellen Führungskräfte. Dagegen erhofft der Digital Leader mit verbindlichen Prozessen auf Lerneffekte bei Fehlern.
  • Veränderung: Für traditionelle Führungskräfte stehen Einhaltung des Budgets, stabile Qualität und minimierte Risiken im Vordergrund, was wenig Spielraum für Kreativität lässt. Die Optimierung bestehender Strukturen und Prozesse steht im Vordergrund, während der Digital Leader für eine nachhaltig hohe Bereitschaft und Fähigkeit zum Wandel sorgt.

***

Abonnieren Sie meinen Newsletter zur Digitalen Transformation (rechte Spalte)
Infos zur Digitalen Transformation: www.twitter.com/digitaltrans_HS

Buch zur digitalen Transformation

Am 15. September erscheint „Deutschland 4.0 – Wie die Digitale Transformation gelingt“. Prof. Tobias Kollmann und ich haben aufgeschrieben, wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Arbeit und Technologie zusammenwirken müssen, damit die Transformation gelingt. Wir haben dafür den digitalen Status Quo Deutschlands analysiert und die nötigen Schritte abgeleitet, um Deutschland fit für das digitale Zeitalter zu machen. Wir machen deutlich, dass digitale Transformation viel mehr als die Vernetzung der Fabriken bedeutet, sondern deutliche Veränderungen in Bildung, Arbeitsmarkt, Politik und Wirtschaft erfordert. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum und erklärt allgemein verständlich, wie die Digitalisierung unser aller Leben und Arbeit künftig beeinflusst und was nun geschehen muss, damit Deutschland als Gewinner aus der Transformation hervorgeht.

Deutschland 4.0 – Wie die Digitale Transformation gelingt (Deutschland40.digital)

Andrea Jochum

Director Operations und Mitglied der Geschäftsleitung bei v. Rundstedt & Partner GmbH

8 Jahre

Gut auf den Punkt gebracht!

Stefan Olding

Die Herausforderung von heute und der Zukunft ist die nahtlose Zusammenführung der industriellen Automatisierung mit der IT Welt.

8 Jahre

Ein sehr guter Beitrag, der aufrüttelt und die Betroffenen nicht mit Vorwürfen und Problemen überschüttet, sondern auch zarte Lösungsansätze mitliefert.

Götz Karl-Christian Karcher

"Das haben wir schon immer so gemacht" ist ein Argument dagegen und nicht dafür.

8 Jahre

Ist Digital Leadership wirklich heiß begehrt? Der Wandel von Kultur und Vorgehensweisen gewollt? Warum sind die gewohnten Führungsweisen nicht mehr erfolgreich? Die gestiegenen Anforderungen durch höhere Komplexität, Messbarkeit und Veränderungsgeschwindigkeit decken m.M.n. Leadership-Fehler auf, die in der digitalen Welt nicht durch starre Hierarchie u.Ä. verschleiert werden können. Gut, dass darüber gesprochen und geschrieben wird.

Markus Stöckl

Quantum Architect of Business & Well-being 🌌 | Crafting magical ascents in health & wealth 🌀 | Dive into the irresistible journey with me ✨

8 Jahre

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Dr. Schmidt.

Andreas Bieniok

New Mobility Solutions / Business Development Manager

8 Jahre

Wer also noch nicht erlebt hat, wie ein Startup eine Branche in wenigen Jahren umkrempeln kann, glaubt offenbar, noch viel Zeit für die Transformation zu haben.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Dr. Holger Schmidt

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen