Ein Silberstreif am Horizont der Rentenpolitik?
Die deutsche Rentenpolitik zeichnete sich bisher – egal unter welcher Bundesregierung – eher durch den Blick auf die Legislaturperiode als durch die erforderliche generationenübergreifende Sichtweise aus. Die neuesten Pläne für die Einführung einer Aktienkomponente innerhalb der gesetzlichen Rente könnten dagegen erstmals der Beginn einer echten Strukturreform mit langfristiger Perspektive sein. Zwar wäre ein Ausbau individueller aktienbasierter Lösungen für die Versicherten noch besser, ist aber politisch gerade nicht „en vogue“. Insofern bleibt im Sinne der Rentenversicherten zu hoffen, dass wenigstens die geplante "Aktienrente", auch "Generationenkapital" genannt, von Marktskeptikern nicht auch noch zerredet wird.
Die geplante neue kapitalgedeckte Säule der gesetzlichen Rentenversicherung soll in der ersten Stufe bis 2035 nach aktuellem Stand rund 200 Mrd. Euro schwer sein – Mittel, die der Bund dem zu bildenden Kapitalfonds als Darlehen zur Verfügung stellt. Das ist zweifellos viel Geld, aber die Summe relativiert sich schnell, wenn man sich vor Augen hält, dass die Rentenversicherung mit deutlich mehr als 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gestützt werden muss – und dies jedes Jahr!
Dieses Volumen zeigt, wie wenig tragfähig das jetzige Rentensystem bereits heute ist. Und bis Mitte des kommenden Jahrzehnts werden 30 Prozent der heutigen Erwerbstätigen die Rentengrenze überschreiten – das sind rund 13 Millionen Menschen. Das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern verschlechtert sich weiter: von 1,8 zu 1 im Jahr 2020 auf nur noch 1,3 zu 1 im Jahr 2050 (Prognose des IW Köln). Zum Vergleich: Anfang der 1960er Jahre lag es bei 6 zu 1.
Es ist deshalb völlig richtig, dass die Bundesregierung neue Wege geht und auf kapitalgedeckte Lösungen setzen möchte mit dem Ziel, das Rentenniveau bei 48 Prozent zumindest zu stabilisieren. Dass Umfang, Ausgestaltung und Management des Generationenkapitals – hier ist der Begriff „Generationen“ endlich einmal zutreffend – noch kontrovers diskutiert werden, versteht sich. Bemerkenswert ist jedoch, wie schwer es manchen Kritikern fällt, sich auf marktwirtschaftliche Lösungen einzulassen und wie schnell diese Marktskeptiker die langfristige Geldanlage am Kapitalmarkt als eine Art Spielgeld diskreditieren, das man ebenso gut ins Casino tragen könnte.
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Langfristige Aktienperformance ist eindeutig
Natürlich gibt es keine Garantie, dass die Wertsteigerungen und Dividenden, die der neue Fonds erwirtschaften muss, die Zinskosten, die der Bund für die fremdfinanzierte Ausstattung des Fonds aufzubringen hat, jedes Jahr übersteigen werden. Die Tatsache aber, dass zum ersten Mal nicht nur kurzfristig nachgebessert, sondern ein wirklich neues, über Generationen angelegtes Instrument geschaffen wird, zeigt, dass die Perspektive bei der Bewertung der Aktienrente eine andere sein muss – nämlich eine langfristige. Und diese spricht eine eindeutige Sprache: Nahezu alle relevanten Aktienindizes weisen über lange Zeiträume hinweg eine deutlich positive Performance auf. Der Deutsche Aktienindex (DAX) hat seit seinem ersten Handelstag am 1. Juli 1988 in 35 Jahren inklusive Dividenden um fast 1.300 Prozent an Wert zugelegt, das sind durchschnittlich plus 7,8 Prozent pro Jahr. Und der MSCI World-Index schaffte in den vergangenen 50 Jahren (gerechnet auf Ende Juli 2023) ein Plus von gut 2.900 Prozent oder mehr als 6 Prozent pro Jahr – und dies sogar ohne Einrechnung der gezahlten Dividenden. In dieser Zeit gab es zahlreiche wirtschaftliche und geopolitische Krisen, die den Aktienmärkten temporär zusetzten, ohne aber den langfristigen Aufwärtstrend zu stoppen.
Bei dem angelegten Fondskapital ist eines besonders wichtig: dass eine rechtssichere Abschottung gegen staatlichen Zugriff installiert ist. Genauso dürfen sachfremde politische oder ideologische Begehrlichkeiten keine Chance haben, in die Anlage der Gelder hineinzuspielen. Warnende Negativbeispiele für ein unangebrachtes „Hineinregieren“ muss man nicht lange suchen: die damalige Einführung des Mindestlohns, dessen Findung eben nicht allein den Tarifparteien überlassen wurde, oder jüngst die Einführung der Taxonomie durch Brüsseler Bürokraten, die eine Art „Weltvermessung“ betreiben, um Nachhaltigkeit bis ins letzte Detail zu regeln, anstatt auf Innovationen durch die Kraft des Marktes zu setzen.
Private und betriebliche Vorsorge weiterhin unverzichtbar
Wenn es aber gelingt, die Aktienrente tatsächlich im oben geforderten Sinne aufzusetzen, noch dazu zügig und in einer ausreichenden Größenordnung, dann könnte sie einen Teil zur Stabilisierung des Rentensystems beitragen – mehr aber auch nicht. Die private und die betriebliche Altersvorsorge wären zwar als individuelle Lösungen für die Versicherten nochmals besser, weil doch jeder Einzelne unterschiedliche Voraussetzungen und Ziele mitbringt – die Politik tut sich beim Ausbau bzw. der Reform dieser Säulen der Altersvorsorge aber bekanntlich schon seit vielen Jahren schwer. So oder so bleiben die private und die betriebliche Altersvorsorge als Ergänzung des Umlagesystems unverzichtbar und werden angesichts der absehbaren Vergrößerung des Rentenlochs als weitere wichtige Säulen sogar noch an Bedeutung gewinnen.
Die von der Bundesregierung eingesetzte Fokusgruppe für die private Altersvorsorge hat unlängst in ihrem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Rente für weite Teile der Bevölkerung unverändert die wichtigste Einkommensquelle im Alter ist. Nur rund 7 Prozent der Alterseinkommen resultieren demnach aus privater Vorsorge. Dabei liegt die gesetzliche Rente aktuell (nach mindestens 45 Versicherungsjahren) durchschnittlich bei rund 1.500 Euro im Monat – brutto! So sinnvoll die jetzt geplante Aktienrente erscheint, so sehr zeigen diese Zahlen, dass auch die Förderung privater und betrieblicher Vorsorgelösungen auf die politische Agenda gehört, wenn der Rentenkollaps für kommende Generationen verhindert werden soll. Und sicher ist: Ohne den Kapitalmarkt wird es nicht gehen.
Pressereferent | #teambafin (hier privat)
1 JahrEs ist einfach traurig, welchen niedrigen Stellenwert dieses – gerade für jüngere Menschen – existenzielle Thema hat. 😕 Das kommt fast einer einseitigen Aufkündigung des Generationenvertrags gleich.