Unsichtbare Fallstricke bei Finanzentscheidungen

Unsichtbare Fallstricke bei Finanzentscheidungen

Schon seit langem machen sich viele hierzulande keine großen Gedanken um die Absicherung von Lebensrisiken. Das gilt vor allem für die zentralen Themen Gesundheit, Arbeit und Alter. Die Solidargemeinschaft des Sozialstaats verspricht: Niemand soll ins Nichts fallen, wenn er krank, arbeitslos oder ganz einfach älter wird. Die sozialen Sicherungssysteme werden im Notfall für Entschädigung und Absicherung des Lebensstandards sorgen. Mehr noch: Zusehends entwickelt sich ein regelrechter „Nanny-State“.

Ein Blick auf den demografischen Wandel macht aber schnell klar, dass die Solidargemeinschaft bestehende und bei der Rente mit den jüngsten Reformen sogar noch aufgestockte Versprechen immer weniger halten kann. Unentwegt steigende Beitragssätze und Steuerzuschüsse sind keine tragfähigen Lösungen. Die sozialen Sicherungssysteme werden in Zukunft voraussichtlich nur Not und Armut verhindern, aber nicht mehr. Trotzdem unterschätzen zahlreiche Menschen bestehende finanzielle Risiken für die Absicherung ihres Lebensstandards, oder blenden sie völlig aus. Gerade aktuell bringen der Klimawandel, steigende Lebenshaltungskosten oder die instabile weltpolitische Lage die Deutschen um den Schlaf, während offenkundiger Handlungsbedarf bei Finanzen, Vermögen und Vorsorge einfach ignoriert wird.

„Bias-Effekt“ nennt die Verhaltensökonomik das Phänomen, dass Menschen häufig im Widerspruch zur Modellannahme des Homo oeconomicus agieren – also nicht rein rational, sondern emotional handeln und entscheiden. Er führt zu fehlerhaften kognitiven Prozessen und letztlich zu schlechten Entscheidungen. Das hat auch Konsequenzen für wichtige Finanzentscheidungen, die in der Folge nicht bewusst oder sogar gar nicht getroffen werden, zum Beispiel bei der Altersvorsorge oder bei der Absicherung von Lebensrisiken.

Geradezu ein „Klassiker“ unter den Bias-Effekten ist das Thema Berufsunfähigkeit. Das Risiko, seinen Beruf aufgrund von Krankheit oder Unfall nicht mehr ausüben zu können, wird häufig unterschätzt im Sinne von „mich wird es schon nicht erwischen“. Dabei trifft es gut jeden Vierten im Laufe seines Berufslebens – und wer nicht entsprechend abgesichert ist, steht schnell vor existenziellen Fragen.

Ein anderes Beispiel ist die Vermögensstreuung: Jemand möchte sein Anlageportfolio optimal strukturieren, beschränkt sich in der Praxis aber auf deutsche oder europäische Aktienmärkte mit der Begründung, er kenne sich in fernen Ländern nicht aus. In diesem Fall findet eine regionale Verzerrung von Investmententscheidungen statt, weil die Investition in den Weltmarkt dem Anleger „irgendwie nicht geheuer“ ist und er dort aus dem Bauch heraus mehr Risiken als Chancen erwartet. Damit verzichtet besagter Anleger aber auf interessante Renditechancen und Risikodiversifizierung.

Doch weil der Mensch nun einmal so ist, wie er ist, muss sich die Finanzberatung darauf einstellen. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Kundinnen und Kunden selbst entscheidungsfähig werden. Das bedeutet, dass sie ihre Entscheidungen bewusst und ohne Wahrnehmungsverzerrungen treffen können. Voraussetzung für eine sachgerechte Lösung ist in allen Fällen eine gründliche Analyse der individuellen Kundensituation. Mit einem Online-Fragebogen ist dies aber kaum möglich, sondern nur in einem ausführlichen und vertrauensvollen persönlichen Gespräch. Dabei fließen die objektive Vermögens- und Vorsorgelage, das soziale Umfeld, die Lebensziele sowie individuelle Bedürfnisse ein.

Sind Finanzberaterinnen und -berater also in Wirklichkeit Psychologen? – Das nun nicht, aber das Erkennen von kognitiven Verzerrungen, die sachgerechten Lösungen im Weg stehen, oder das Aufdecken von Diskrepanzen und Widersprüchen zwischen persönlichen Vorstellungen und bereits getroffenen Entscheidungen setzt nicht nur eine hohe fachliche Qualifikation voraus, sondern auch Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Am Ende geht es darum, den Menschen mit all seinen Denk- und Wahrnehmungsfehlern so zu erfassen und zu beraten, dass er für sich bessere Entscheidungen in wichtigen Finanzfragen und für die Absicherung von Lebensrisiken treffen kann.


Dr. Anna Hinrichsen

Certified Expert in Sustainable Finance I ESG | Investor Relations I Finanzkommunikation

1 Jahr

Selbst wenn man sich Gedanken macht und aufgrund getroffener Maßnahmen recht zuversichtlich auf das Alter blickt, zeigt eine gründliche Analyse schnell, dass bei der Vorsorge noch Luft nach oben ist. Und trotz guter Vorsätze, das Thema endlich anzugehen, kommt häufig der Alltag dazwischen.. Wenn sich ein Zeitpunkt für eine sorgsame Planung anbietet, dann wohl aktuell ein regnerischer Novemberabend!

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen