Kundenservice 4.0: Wir brauchen hybride Ansätze!
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Kundenservice 4.0: Wir brauchen hybride Ansätze!

Das aus Industrie 4.0 abgeleitete ‚4.0-Modell‘ lässt sich auch auf den Kundenservice anwenden. Aufgrund des 4.0-Trends, der grundsätzlich die durch die Digitalisierung herbeigeführte Automatisierung und Individualisierung beschreibt, sprechen viele vom Kundenservice 4.0, während andere derzeit noch von einem Kundenservice 2.0 oder 3.0 reden. In den folgenden Absätzen versuche ich mich daher an einer Herleitung hin zum Kundenservice im digitalen Zeitalter.

In seinem Ursprung war der Kundenservice 1.0 ortsgebunden. Ob auf dem Markt, im Laden, der Filiale oder dem Büro, der Service begann immer vor Ort. Entsprechend waren Kund:innen auch an die Öffnungszeiten des jeweiligen Geschäftes gebunden. Gleichzeitig ist diese Form des Kundenservices sehr förderlich für die Kundenbeziehung, da hier persönlich und ausschließlich auf die Kund:in eingegangen werden kann — auch wenn dies im heutigen Zeitalter vielerorts nur noch in der Theorie praktiziert wird. Der klassische Kundenservice ist zudem mit hohen Personalkosten sowie Fixkosten für Büro, Filiale, Ladenfläche etc. verbunden.

Mit der zweiten Entwicklungsstufe, dem Kundenservice 2.0, wurde der Berührungspunkt mit Kund:innen um zusätzliche Kanäle erweitert und von einem physischen Ort getrennt. Über das Telefon oder E-Mail konnte nun eine ortsunabhängige Erreichbarkeit über Öffnungszeiten hinaus erreicht werden. Rockwell entwickelte für die Fluggesellschaft Continental Airlines im Jahre 1973 in Amerika den ersten automatischen Anrufverteiler (ACD).   Mit dem ACD schlug die Geburtsstunde der ‚Call-Center‘. Die Idee dahinter war, eine Zentralisierung für die Kund:innen zu ermöglichen. Mussten Kund:innen und Mitarbeiter:innen zuvor Telefonnummern oder Standorte selbst raussuchen, so hatten sie nun die Möglichkeit, eine Zentrale zu erreichen. Die Zentrale konnte wiederum auf ihre Anliegen eingehen oder diese an die entsprechenden Abteilungen weiterleiten. Das Leistungsspektrum umfasste sowohl Retouren und Beschwerden als auch die intensive Beratung zu einem bestimmten Thema. Ein großer Vorteil für die Kund:innen war, dass sie von überall aus anrufen konnten und nicht wie zuvor erst einen bestimmten Ort aufsuchen mussten. Viele Unternehmen begannen zudem damit, Call-Center in andere, kostengünstigere Länder zu verlagern (outsourcing). Mit dem erweiterten Kundenservice kamen allerdings neue Herausforderungen auf, die viele Unternehmen bis heute nicht lösen können oder wollen: Erstens müssen Kund:innen längere Wartezeiten in der Warteschleife in Kauf nehmen. Zweitens sind Kundenservice-Mitarbeiter:innen häufig nicht ausreichend geschult oder motiviert, auf die Kundenanliegen einzugehen. Dies führt wiederum zu Frustrationen bei Kund:innen und ist wenig förderlich für die Kundenbindung.

Die nächste große Erweiterung war der Einstieg der Unternehmen in die sozialen Netzwerke und beschreibt den Kundenservice 3.0. Hierdurch wurde Unternehmen der gleichzeitige Dialog mit einer Vielzahl von Kund:innen ermöglicht. Indem Unternehmen den Kund:innen auf Plattformen begegnen, auf denen diese sich auch privat aufhalten, wurde eine völlig neue Art der Interaktion ermöglicht. Einerseits können Unternehmen im Einzelgespräch (Chat) direkt auf die Kundenbedürfnisse eingehen. Unternehmen konnten fortan Informationen direkt mit den Kund:innen teilen. Andererseits können Kund:innen auf der digitalen Pinnwand des Unternehmens Bilder, Videos und andere Beiträge — und somit positive wie auch negative Erfahrungen — teilen. Das hat die Geschwindigkeit. in der Kundenbedürfnisse aufgenommen und umgesetzt werden können und müssen, drastisch erhöht.

Der Kundenservice 4.0 entstand aus dem Bedürfnis heraus, Kund:innen auch im digitalen Zeitalter kanalübergreifend und möglichst ohne Medienbrüche immer und überall die bestmögliche Beratung zu ermöglichen. Chatbots, Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sowie virtuelle Assistenten sind nur einige Beispiele dafür, wie Technologien genutzt werden können, um Kundenwünsche nicht nur in Echtzeit zu verarbeiten, sondern auch schon im Voraus zu antizipieren. Chatbots ersparen uns sehr viel Arbeit, auch wenn viele ihrer Gattung heute noch frustrierend begriffsstutzig sind. Längst werden sie eingesetzt um Prozesse im Kundenservice zu automatisieren, zum Beispiel um Kundenanfragen nach Gruppen einzuteilen, sodass triviale Anfragen (häufig gestellte Fragen, sogenannte FAQs) nicht von Fachkräften gelöst werden müssen, sondern direkt vom Chatbot bearbeitet werden können, während komplizierte Anfragen an Fachkräfte weitergeleitet werden. So können große Mengen an Daten auf einmal gesammelt und unternehmensübergreifend verarbeitet werden, was Kosten einsparen und wertvolles Wissen generieren kann. 

Besonders interessant ist an dieser Stelle der Bionik-Ansatz, bei dem der Mensch nicht durch Algorithmen und KI ersetzt, sondern um diese ergänzt wird. Die Verbindung zwischen Mensch und Maschine ermöglicht es dem Kundenservice, die Empathie und Kreativität sowie emotionale Intelligenz und soziale Kompetenzen eines Menschen mit dem umfassenden Wissen einer KI zu vereinen und somit eine optimierte Beratung anzubieten.

Anzunehmen, Kundenservice 4.0 sei ausschließlich digital, ist allerdings ein großer Irrtum. Weder werden Läden, Büros oder Filialen komplett überflüssig, noch die Beratung über Telefon, E-Mail oder soziale Netzwerke. Vielmehr geht es im Kundenservice der Zukunft darum, das Beste aus dem Kundenservice 1.0 bis 4.0 zu vereinen und den Kund:innen auf allen Kanälen zu begegnen, die für sie relevant sind, und zwar möglichst ohne Einschränkungen wie Öffnungszeiten, physische Orte, Warteschleifen oder begriffsstutzige Chatbots oder automatisierte Telefonsysteme. Dass Läden, Filialen und Büros an physische Orte und Öffnungszeiten gebunden sind, wird auch weiterhin akzeptiert, solange der Kundenservice um digitale Kanäle erweitert wird und 24/7 verfügbar ist.

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