Nachverdichtung: 140.000 Fußballfelder könnten bebaut werden
Nachverdichtung ist das städtebauliche Gebot der Stunde, weil sie als klimafreundlich gilt und Ortskerne wiederbeleben kann. Gleichzeitig ist die Methode herausfordernd und komplex. Fakt ist: Zustandsbewertungen von bestehenden Objekten werden künftig massiv an Bedeutung gewinnen. Dabei gilt es, auf die richtigen Tools zu setzen.
Bei vielen deutschen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern löste das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Juli eine regelrechte Schockstarre aus. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Das Gericht hatte geurteilt, dass der Paragraf 13b des Baugesetzbuchs nicht mit Europarecht vereinbar war. Der Paragraf war 2017 vor dem Hintergrund der hohen Flüchtlingszahlen eingeführt worden. Er hatte es den Gemeinden erlaubt, Bauland bis zu einer Fläche von 10.000 Quadratmetern im beschleunigten Genehmigungsverfahren auszuweisen, das heißt konkret: ohne Umweltprüfung, die sonst zum Standard-Prozedere gehört hatte. Eine Befristung bis 2019 war mehrmals verlängert worden.
Die Vorteile der Nachverdichtung
Umstritten war der Paragraf bei Umweltverbänden aber schon seit seiner Einführung gewesen. Denn aus Umwelt- und Klimaschutzgründen lautet das städtebauliche Zauberwort schon seit einigen Jahren „Nachverdichtung“. Es ist das höchste Gebot der Stadtplanerinnen und Stadtplaner – zumindest in der Theorie. Nachverdichtung bedeutet, dass freie Flächen im Bereich bereits bestehender Bebauung oder Bestandsgebäude dazu genutzt werden, Wohnraum zu schaffen. Das hat mehrere Vorteile: Es wirkt der Zersiedelung am Stadtrand entgegen, die Paragraf 13b gefördert hatte. Unbebauter Boden wird geschont, Flächenversiegelung vermieden. Gleichzeitig werden Ortskerne gestärkt, im besten Fall wird ihnen neues Leben eingehaucht. Nachverdichtung kann einen Kontrapunkt zum viel zitierten Innenstadtsterben setzen und dem „Donut-Effekt“ entgegenwirken. Der Begriff bezeichnet die Tatsache, dass die Ortskerne durch neue Siedlungen am Ortsrand entwertet werden.
Werden Baulücken, Brachflächen und Restgrundstücke bebaut, spricht man von „horizontaler Nachverdichtung“. Dazu gehören auch die leidigen „Enkelgrundstücke“, also Grundstücke, die nicht bebaut werden, weil die Besitzer sie für ihre – oftmals noch nicht einmal geborenen – Enkel horten. Für viele Kommunen ist das ein handfestes Problem, das die Nachverdichtung behindert. Wenn Bestandsgebäude aufgestockt und Dachgeschosse ausgebaut werden, spricht man wiederum von „vertikaler Nachverdichtung“. Nachverdichtungen haben weitere Vorteile: Anders als bei neuen Siedlungen ist die Infrastruktur bereits vorhanden: Straßen, Strom-, Wasser-, Telefonleitungen und Glasfaseranschlüsse können direkt genutzt werden. Die Erschließungskosten sind geringer, die Wege zu Einrichtungen wie Kindergärten, Schule oder Arbeitsplätzen sind kürzer, was den Verkehr reduziert.
99.000 Hektar Baupotenzial – 140.000 Fußballfelder
Das Potenzial durch Nachverdichtung ist Experten zufolge riesig. Im Jahr 2019 hatten die TU Darmstadt und das Pestel-Institut errechnet, dass durch Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden rund 1,3 Millionen Wohnungen mit je 75 Quadratmetern Wohnfläche geschaffen werden könnten. Bereits vier Jahre vorher hatten die beiden Akteure in ihrer „Deutschlandstudie“ Wohnraumpotenziale durch Aufstockungen auf Mehrfamilienhäuser in Großstädten, Ballungsräumen und Universitätsstädten erforscht. Das Ergebnis: Zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Wohneinheiten könnten auf diese Weise entstehen. Erst im vergangenen Jahr legte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) einen repräsentativen Überblick über Flächenreserven und -potenziale vor, die nach Ländergruppen, Gemeindegrößen, Wachstumsdynamik und Siedlungsstruktur gegliedert ist.
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„Die Studie beziffert die baureifen, potenziell bebaubaren Flächen in den Städten und Gemeinden auf mindestens 99.000 Hektar. Das entspricht der Größe von 140.000 Fußballfeldern. Davon sind nach Angaben der Kommunen rund zwei Drittel für Wohnungsbau vorgesehen. Auf diesem Anteil lassen sich konservativen Schätzungen zufolge zwischen 900.000 und rund 2.000.000 Wohneinheiten realisieren, also mindestens rund 60 Prozent der bis zum Jahr 2025 angestrebten rund 1,5 Millionen Wohnungen“, schreibt Institutsleiter Markus Eltges im Vorwort der Publikation. Er ergänzt, dass je nach Szenario sogar „deutlich mehr“ Einheiten entstehen könnten. „Selbst in Wachstumsräumen kann das vorhandene Baulandpotenzial erheblich zur Deckung des Wohnungsbaubedarfes beitragen, ohne dass umfangreich neue Flächen in Anspruch genommen werden müssen“, so Eltges.
Wie klimafreundlich sind die 16 Millionen Eigenheime in Deutschland?
Nachverdichtung ist nicht zuletzt auch gesetzlich geboten. Deutschland strebt im Rahmen seiner Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bis zum Jahr 2050 einen Netto-Flächenverbrauch von null an. Das heißt: Werden irgendwo neue Flächen versiegelt, muss anderswo ein Ausgleich geschaffen werden. Dabei hat der Gesetzgeber Zwischenziele definiert. So soll der Zuwachs beim Flächenverbrauch bis 2030 auf weniger als 30 Hektar pro Tag schrumpfen. Zum Vergleich: Heute werden laut dem Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes (NABU) noch 55 Hektar täglich für Gewerbegebiete und Häuser versiegelt. Dazu kommt die Frage, wie klimafreundlich Eigenheime überhaupt sind. Mehr als 16 Millionen gibt es in der Republik mittlerweile laut Statistischem Bundesamt, jährlich kommen um die 100.000 dazu. Fakt ist auch: Die Wohnfläche pro Kopf ist so hoch wie noch nie, der Energieverbrauch pro Kopf ist im Haus wesentlich höher als in einer kleineren Wohnung.
Experten sind sich jedenfalls darüber einig, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das landauf, landab tausende Gemeinden betrifft, Signalwirkung hat und weitreichende Auswirkungen. Wenn aber Nachverdichtung so sinnvoll ist und so viel Potenzial hat, warum boomt die Methode nicht schon längst? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind Nachverdichtungsprojekte komplexer und anspruchsvoller als Neubauten auf der grünen Wiese. Der Platz im innerstädtischen Bereich ist knapp, Baulücken entsprechen keinem Standardmaß. Auch die Neunutzung von Gewerbeflächen oder das Aufstocken bestehender Gebäude erfordert Planer und Architekten, die kreativ, offen und innovativ sind. Und Bauherren scheuen sich mitunter vor Nachverdichtungsprojekten. Sie befürchten, dass sie nicht rentabel sind.
Wie Kommunen in Hessen Potenzialflächen identifizieren
Ein weiterer gewichtiger Grund: Die Flächen müssen erst einmal bekannt sein. Diese Detektivarbeit ist mühsam und beschwerlich. Gut geführte kommunale Kataster sind gefragt und ein gutes Datenmanagement der Kommunen. Hessen hat in diesem Jahr ein digitales Potenzialflächenkataster eingeführt. Es soll Kommunen ermöglichen, Baulücken, Brachflächen und Grundstücke mit Entwicklungspotenzial zu ermitteln, zu erfassen,[nbsp] qualifiziert zu beschreiben und mit digitalen Karten zu verknüpfen. Dafür nutzen sie Daten aus unterschiedlichen Quellen, darunter Regionalpläne, Flächennutzungs- und Bebauungspläne, Luftbilder aus dem Amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssytem (ALKIS) oder dem Amtlichen Topografisch-Kartografischen Informationssystem (ATKIS). Als Potenzialfläche gilt eine Fläche, die mindestens 250 Quadratmeter groß und erschlossen ist, also an eine Straße angebunden. Ein Vorteil für die Kommunen: Das Hessische Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation (HLBG) hat bereits eine Vorauswahl für die Kommunen getroffen.
Sind diese Flächen erst einmal ermittelt, beginnt die eigentliche Arbeit. Vor allem wenn es an die vertikale Nachverdichtung geht und an den Umbau bereits bestehender Gebäude, sind digitale Tools gefragt, die den Zustand dieser Gebäude umfassend und anhand fester Kriterien erfassen. Der GebäudeCheck der PLAN4 Software GmbH wird im Kontext von Nachverdichtungsprojekten somit sowohl für die öffentliche Hand als auch für private Bauherren zu einem unverzichtbaren Begleiter. Denn künftig wird das Bauen auf der grünen Wiese zur Ausnahmeerscheinung, das An- und Umbauen an und von Bestehendem zum Standard. Vertikale Nachverdichtung kann nur gelingen, wenn der Zustand des Bestands bekannt ist. Der GebäudeCheck ist seit Jahren als führendes Tool der Zustandsbewertung fest etabliert und leistet Kommunen und privaten Bauherren beste und vor allem verlässliche Dienste.