Wald und Leben
Eine, aus biologischer Sicht vielleicht die grundlegendste Ebene unseres Seins, ist die Natur. Und wie wir uns dazu stellen, welches Verhältnis wir zu ihr pflegen, real pflegen, was wir für sie und in ihr und mit ihr tun, das scheint entscheidend.
Für ein «gutes Leben» genügt es nach meiner Auffassung längst nicht, die Natur (schön) zu empfinden oder an ihr Freude zu haben. Unser eigenes Natur-Sein verpflichtet uns zum Handeln, denn wir sind ein wichtiger Teil dessen, was wir als Natur auffassen.
Der für uns oft wörtlich «naheliegendste» Ausdruck der Natur scheint – neben unserer eigenen Natur und den Nahrungsmitteln, die wir essen, der Luft, die wir mit jedem Atemzug atmen und dem Wasser, das wir trinken - ist der Wald.
Der Wald als roher Rohstoff
Er ist Sinnbild des Ungezähmten («wild», lat: «silva», ital: selvatico), Abbild der überquellenden Fülle und Inbild des Unheimlichen. Im Wald hausen nach mythischer Vorstellung die Kobolde, die Geister und die wilden Tiere.
Nach übereinstimmender neuzeitlicher Erfahrung auf allen Kontinenten werden die furchterregenden Erscheinungen heute durch den «homo touristicus» ergänzt. Den «homo faber» (Max Frisch), den Menschen als Macher, gibt es schon längst.
Der Wald ist so sehr Rohstoff, Materie, unseres Bauens und Wirtschaftens, dass das Wort für Holz («ὕλη» bzw. «hylē») im antiken Griechenland gleichbedeutend ist mit «Materie» oder "Rohstoff", geradezu einer Gegenspielerin der «Form», der «idea». Das Ganze immer ein wenig abhängig vom Weltbild der Deuter, die es seit rund 2400 Jahren zu diesem Ansatz gibt.
Und doch ist der Wald spürbar empfindlich, sensitiv, hochgradig responsiv. Er kann sich – vor allem durch unser Eingreifen – verändern, «de-naturieren», er kann erkranken, ja sterben. Je nachdem, wie roh wir mit dem «Rohstoff Wald» umgehen.
Wald ist Raum. Lebensraum. Wald lebt von und mit und in der Natur. Wald ist Welt.
Aber nicht alles unserer menschengeprägten Welt ist Wald. Und eben weil wir nicht wirklich im Wald leben, und auch nicht wirklich vom Wald, ist die Frage erlaubt, wie wir uns zum Wald stellen. Wie gehen wir mit dem empfindlichen «rohen Rohstoff» um?
Unser Verhältnis zum Wald
Wie ist unsere Beziehung zum Wald? Im Wald, denke ich, zeigt sich unsere Beziehung zur Natur überhaupt:
Ist sie – die Natur – einfach Müllhalde unserer Unbedachtheiten? Haben wir quasi einen «Unbedacht-Schaden»? Ist sie nur Lieferant? Ist sie Erholungsraum für Generationen, die sich selbst zugrunde richten, weil sie keine Zeit mehr haben, zu sein?
Oder ist sie andererseits nur Abbild unserer romantischen Projektionen? Idyll zum Darin-Umhergehen? Disney-Land für Anfänger?
Einige Anregungen
Dass «Natur» als ein Gegenstand des Betrachtens wahrgenommen wird, ist eine «Erfindung» der Renaissance. Vermutlich hat sie mit einem der Urväter der Renaissance, mit Francesco Petrarca (1304 bis 1374) zu tun. Der – auch weil er sich auf den antiken Bischof Augustinus berief, den «Erfinder der Subjektivität» – der Natur einen eigenen Erkenntniswert gab: Sie war gewissermassen Mahnerin, Anregung, Vermittlerin und fast eine «Muse», die dem nachdenklichen Menschen seinen Innenwelten erschloss.
Davor, vor dieser Apostrophierung der persönlichen, subjektiven Weltsicht in der Renaissance - war die Natur mehr oder weniger «einfach da». Vielfach bedrohend, liefernd, facettenreich, ja, schön, ja. Aber sie war einfach «vorhanden».
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Petrarca fand in den folgenden Jahrhunderten unzählige «Nach-Dichter», Weiter-Entwickler, denn er hatte den Nerv dieser «neuen Zeit» getroffen, die damals begann. Es waren zwei Pole: Die Innerlichkeit der Betrachtung und die experimentierfreudige Abnutzungs-Bereitschaft des «homo faber», des Menschen als Macher, Eroberer und Ausbeuter. Mehr als genug wurde schon darüber geschrieben. Ich lasse es bei den kurzen Hinweisen.
Wie stehen wir heute zum Wald?
Erfrischend sind immer diejenigen Fakten, die stimmen. Was wissen wir heute, hier in der Schweiz? Jedenfalls darf ich das wiedergeben, was die privaten Schweizer Waldbesitzer (als Quelle) vor kurzem so veröffentlicht haben:
40 x 40 qm Wald kommen auf jeden Einwohner der Schweiz. Wald bedeckt 1/3 der Landesfläche. 42% Aller Grundwasserschutzzonen befinden sich im Wald; er ist unsere kostbare Trinkwasserquelle. Rund 90% meines eigenen Trinkwassers kommt aus dem Wald.
100'000 Arbeitsplätze bietet die Wald- und Holzwirtschaft. Davon viele Ausbildungsplätze. CHF Alle 3 Sekunden wächst im Schweizer Wald 1 Kubikmeter Holz nach. Jährlich ergibt das 10 Mio. m3. Dabei werden 2.5 Mio. t Kohlenstoff gebunden (= 10 Mio. t CO2) Dies würde CO2-Emissionszertifikaten im Wert von jährlich CHF 300 Mio. entsprechen.
5 Mio. m³ Holz werden jährlich im Schweizer Wald geerntet. Dies entspricht einem Marktwert von mehr als CHF 400 Mio.
1500 Jahre alt sind die ältesten Bäume der Schweiz. Besonders alt werden Eiben, Lärchen und Arven. 65 Bäume pro Person stehen im Schweizer Wald – über 500 Millionen insgesamt. 40% der Schweizer Pflanzen und Tiere kommen im Wald vor – Hotspot der Biodiversität.
Es gibt schweizweit etwa 250'000 Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer, viele private Kleinwaldbesitzer, Bürgergemeinden und Korporationen sowie Gemeinden, Kantone und Bund. Die Besitzverhältnisse unterscheiden sich von Kanton zu Kanton erheblich: in den Kantonen Luzern und Appenzell Ausserrhoden sind über 70% des Waldes in Privatbesitz, während es im Wallis und Obwalden nur gerade 9% sind.
31.2% des Schweizer Waldes gehört privaten Eigentümern. 40.4% Korporationen und Burgergemeinden, und lediglich 28.4% den Einwohnergemeinden und den Kantonen oder dem Bund.
So fällt es eventuell auch Schweizerinnen und Schweizern leicht, den Wald als «ihren» Wald zu bezeichnen, denn auch die Korporationen und Burgergemeinden haben eine sehr personenbezogene Charakteristik.
Wald und Verantwortung
Wenigstens wird seit längerer Zeit der Wald wieder wahrgenommen, auch medial. Ein schönes, und mit umfassendem Wald-Wissen untermauertes Sonderhaft «Wald» der Zeitschrift «Unser schönes Land» aus dem Jahr 2023 (Burda-Verlag) verdeutlicht das vielleicht am einfachsten. Und schon das Inhaltsverzeichnis zeigt die Breite der (deutschen) Wald-Wahrnehmung.
Wie stehen wir also hier und heute zum Wald? Verantwortungsvoll? Hegend, pflegend, schützend? Hier in den Alpen, in der Schweiz, auch in Österreich, dem angrenzenden Frankreich und dem nördlichen Italien, ganz sicher. Doch es scheint noch reichlich "Raum nach oben", gerade im touristischen Bereich.
Aber schon jetzt kann man sagen, dass unser Umgang mit dem Wald und der Natur über diese Natur und den Wald selbst hinausweist: Sie weist hinaus auf die Sphären des Staates (auch ein riesiges Beziehungsfeld unseres Lebens), des Rechts und des gesellschaftlichen Lebens. Und auf uns selbst, als Menschen in Verantwortung.
Und es ist einfach immer wieder erstaunlich, denn ein klein wenig erinnert es an die «Entdeckung der Neuzeit» durch Petrarca: Die Wahrnehmung der Natur weist und zurück auf unser Verhältnis zu uns selbst. Auf allen Ebenen unseres Mensch-Seins.
Die «Frage nach der Natur» ist damit auch die Frage nach dem Menschen, seiner Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.
Martin Natterer
LIVE_YOUR_PASSION
3 MonateWie so oft in unserer hektischen Zeit, lieber Martin Natterer verlieren wir die wahren Gaben außer acht zu lassen. So auch den Wald, der für uns im großen Stiel unsere Lunge ist, ein so wichtiges Organ ist, das uns mit Sauerstoff versorgt! Der Wald - der Baum. 𝐈𝐜𝐡 𝐛𝐢𝐧 𝐝𝐢𝐞 𝐖ä𝐫𝐦𝐞 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐬 𝐇𝐞𝐫𝐝𝐞𝐬 𝐚𝐧 𝐤𝐚𝐥𝐭𝐞𝐧 𝐖𝐢𝐧𝐭𝐞𝐫𝐚𝐛𝐞𝐧𝐝𝐞𝐧. 𝐈𝐜𝐡 𝐛𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐒𝐜𝐡𝐚𝐭𝐭𝐞𝐧, 𝐝𝐞𝐫 𝐝𝐢𝐜𝐡 𝐯𝐨𝐫 𝐝𝐞𝐫 𝐡𝐞𝐢ß𝐞𝐧 𝐒𝐨𝐦𝐦𝐞𝐫𝐬𝐨𝐧𝐧𝐞 𝐛𝐞𝐬𝐜𝐡𝐢𝐫𝐦𝐭. 𝐌𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐅𝐫ü𝐜𝐡𝐭𝐞 𝐮𝐧𝐝 𝐛𝐞𝐥𝐞𝐛𝐞𝐧𝐝𝐞𝐧 𝐆𝐞𝐭𝐫ä𝐧𝐤𝐞 𝐬𝐭𝐢𝐥𝐥𝐞𝐧 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐧 𝐃𝐮𝐫𝐬𝐭 𝐚𝐮𝐟 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐑𝐞𝐢𝐬𝐞. 𝐈𝐜𝐡 𝐛𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐁𝐚𝐥𝐤𝐞𝐧, 𝐝𝐞𝐫 𝐝𝐞𝐢𝐧 𝐇𝐚𝐮𝐬 𝐡ä𝐥𝐭, 𝐝𝐢𝐞 𝐓ü𝐫 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐇𝐞𝐢𝐦𝐬𝐭𝐚𝐭𝐭, 𝐝𝐚𝐬 𝐁𝐞𝐭𝐭, 𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐦 𝐝𝐮 𝐥𝐢𝐞𝐠𝐬𝐭 𝐮𝐧𝐝 𝐝𝐚𝐬 𝐒𝐩𝐚𝐧𝐭, 𝐝𝐚𝐬 𝐝𝐞𝐢𝐧 𝐁𝐨𝐨𝐭 𝐭𝐫ä𝐠𝐭. 𝐈𝐜𝐡 𝐛𝐢𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐆𝐫𝐢𝐟𝐟 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐇𝐚𝐫𝐤𝐞, 𝐝𝐚𝐬 𝐇𝐨𝐥𝐳 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫 𝐖𝐢𝐞𝐠𝐞 𝐮𝐧𝐝 𝐝𝐢𝐞 𝐇ü𝐥𝐥𝐞 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞𝐬 𝐒𝐚𝐫𝐠𝐞𝐬. Unbekannt (Inschrift eines Schildes an einem Baum in Madrid)
Innenarchitektin & Unternehmensberaterin für KMU | Wir machen Dein Büro fit für morgen und für übermorgen 🚀 mehr Recruiting-Erfolg und nachhaltige Mitarbeiterbindung #newwork
3 MonateDanke für diesen wunderbaren Beitrag, Martin Natterer. Für mich ist der Wald eine Kraftquelle. Als ich mich 2017 auf den langen Weg von Sevilla nach Santiago de Compostela auf den Weg gemacht habe, bin ich die letzten 100 km durch riesige Eukalyptuswälder in Galizien gewandert. Es goss in Strömen, es duftete intensiv, der Wald hatte etwas Magisches durch die enorme Größe der Bäume, eine unglaubliche Erfahrung.
"Kulturentwicklung braucht Selbstentwicklung". Ich begleite das ICH - WIR - ALLE durch die wirtschaftskulturellen paradigmatischen Veränderungen unserer Zeit
3 MonateWunderbar ☺️ mit viel Gefühl, so berührend schön die vielen Facetten des Waldes beschrieben!!!! Danke Martin Natterer
Expertin für Gesundheit und Krankheit | Coachin Psychoonkologin Fachärztin| Individuelles Coaching und Begleitung in Lebenssituationen bei denen wir gemeinsam mehr bewegen
3 MonateDer Wald ist mein zweites Zuhause, hier fühle ich mich geerdet. Daher habe ich auch ein systemisch integrative Naturcoaching Ausbildung gemacht um dies in meine Arbeit mit krebspatienten fließen zu lassen. ich gestalte sehr viel mit Naturmaterialien, es macht den Kopf frei, hat spielerische Momente und kann Gemeinsamkeit schaffen. Ich habe wochenlang in Alaska den Bären zugeschaut; die Stille, das Alleinsein und die nicht zu beschreibende Schönheit der Natur haben mir viel Lebensenergie geschenkt, obwohl die Natur sehr gewaltig ist. Daher kommt wohl das Wort Naturgewalt.
Ziele setzen, Träume leben!
3 MonateIch kann deine Beziehung zum Wald nachvollziehen, es ist ein wunderbarer Ort um sich mit der Natur zu verbinden und Entscheidungen zu treffen. Ich habe meinen Vision Quest im Wald verbracht, drei Tage und Nächte, mit mir allein, keine Ablenkung, keine Nahrung nur Wasser und Meditation. Danach habe ich mein Leben neu ausgerichtet. Ich kann es jedem empfehlen der seinem Leben eine neue Richtung geben möchte.😀 Die Japaner bezeichnen es auch als Waldbaden. 😃