In a nutshell: Die Genehmigung eines Mangels nach Art. 163 der SIA-Norm 118
Nach Art. 163 der SIA-Norm 118 gilt das Werk für einen Mangel, soweit er erkannt wurde, als genehmigt, wenn die Bauleitung bei der gemeinsamen Prüfung (nach Art. 158 der SIA-Norm 118, im Jargon häufig als «die Abnahme» bezeichnet) auf dessen Geltendmachung ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet hat.
Gemäss Art. 163 Abs. 2 dieser Norm wird ein stillschweigender Verzicht vermutet für erkannte Mängel, die ein allfälliges Prüfungsprotokoll nicht aufführt, und ferner für Mängel, die bei der gemeinsamen Prüfung offensichtlich waren, jedoch nicht geltend gemacht wurden. Im zweiten Fall ist diese Vermutung sogar unwiderleglich.
Was ist dabei im Wesentlichen zu beachten?
Gilt der Mangel als genehmigt, so entfällt die Haftung des Unternehmers für diesen Mangel, d.h. die entsprechenden Mängelrechte des Bauherrn sind verwirkt. Dies gilt jedoch nicht für Mängel, welche der Unternehmer arglistig verschwiegen hat; hierfür haftet der Unternehmer weiterhin (gemäss Art. 370 Abs. 1 OR, welcher in diesem Fall ergänzend eingreift).
Die Kenntnis des Mangels setzt voraus, dass die Bauleitung bzw. der Besteller sowohl die Beschaffenheit des Werkes als auch den Umstand, dass diese Beschaffenheit vertragswidrig ist, erkannt hat. Solange diese doppelte Voraussetzung fehlt, ist der Mangel nicht erkannt. Die Rügefrist wird daher weder durch die blosse objektive Erkennbarkeit des Mangels in Gang gesetzt, noch durch die Feststellung der ersten Mängelspuren, sofern der Besteller nach Treu und Glauben davon ausgehen darf, es handle sich bloss um übliche Erscheinungen, die keine Abweichung vom Vertrag darstellten, wie das beispielsweise für wachsende Mauerrisse zutreffen kann.
Offensichtliche Mängel liegen klar zu zutage, d.h. sowohl die tatsächliche Beschaffenheit des Werks als auch deren Vertragswidrigkeit ohne Weiteres (quasi auf den ersten Blick) erkennbar sind.
Den offensichtlichen Mängeln sind tatsächlich erkannte Mängel gleichzustellen; erkannte Mängel sind mehr als nur offensichtlich.
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Unerkannte Mängel, die bei der gemeinsamen Prüfung zwar erkennbar gewesen wären, aber nicht offensichtlich waren, gelten nicht als genehmigt im Sinne von Art. 163 der SIA-Norm 118; sie können gemäss deren Art. 179 Abs. 3 – nur, aber immerhin – während der zweijährigen Rügefrist noch gerügt werden.
Bei der Beurteilung der Frage der Erkennbarkeit und der Offensichtlichkeit des Mangels ist vom Gericht jeweils der Fachkunde der Bauleitung (bzw. gegebenenfalls des nicht sachkundig vertretenen Bauherrn, der die Prüfung selber vornimmt) Rechnung zu tragen.
Und wer trägt vor Gericht die Beweislast?
Behauptet der Unternehmer, es liege ein Fall der Genehmigung von Art. 163 der SIA-Norm 118 vor, d.h. ein tatsächlich erkannter oder offensichtlicher Mangel sei bei der gemeinsamen Prüfung nicht mittels Mängelrüge geltend gemacht worden, so trägt er die Beweislast dafür, dass der betreffende Mangel offensichtlich oder erkannt war.
Demgegenüber hat der Besteller zu beweisen, dass und wann der Mangel gerügt wurde, und (zumindest nach der wohl herrschenden Auffassung und der bisherigen Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts) auch dafür, dass diese Rüge rechtzeitig erfolgt ist (wobei aber stets der Unternehmer die Behauptungslast für die fehlende rechtzeitige Mängelrüge trägt).
Macht der Besteller geltend, der Unternehmer habe den Mangel arglistig verschwiegen oder auf die Erhebung des Verspätungseinwands verzichtet, so trägt der Besteller dafür die Beweislast (wobei den Unternehmer aber beim Vorwurf des arglistigen Verschweigens betreffend vom Besteller behaupteten negativen Tatsachen eine Mitwirkungspflicht zum Beweis des Gegenteils trifft).
Michael Wolff, 03.07.2024
Geschäftsführer bei VIVA REAL AG
5 MonateJan Kaufmann
Inhaber bei RGBau AG | Baugutachten, Baurecht.
5 MonateMichael Wolff vielen Dank für Deine Top Berichte. Konntest Du jemals in einem solchen Fall die arglist beweisen?
Geschäftsführender Inhaber bei amix holding ag und steger.ag
5 MonateImmer wieder interessante Berichte.