Rechtlicher Mythos in der Baubranche: Die Beweislast bei Baumängeln

Rechtlicher Mythos in der Baubranche: Die Beweislast bei Baumängeln

Immer mal wieder höre ich von Kunden aus der Baubranche den Satz:

Gemäss der SIA muss ja der Unternehmer beweisen, dass kein Mangel vorliegt.

IST DAS WIRKLICH SO? UND WAS BEDEUTET DAS KONKRET?

Die Antwort hierauf fällt – wie bei Rechtsfragen meistens – etwas differenzierter aus:

Ein Werkmangel im Sinne von Art. 368 Abs. 1 OR liegt vor, wenn das Werk nach der Verkehrsanschauung fehlerhaft ist (z.B. ein undichtes Dach oder schiefe Wände aufweist) oder wenn ihm eine vertraglich zugesicherte Eigenschaft fehlt.

Die Beweislast hierfür liegt im Streitfall beim Besteller. Er muss im Prozess behaupten und beweisen, dass das Dach undicht bzw. die Wände schief sind. Und er trägt nach Art. 8 ZGB auch die Beweislast dafür, dass der behauptete Mangel vom vertraglich geschuldeten Zustand abweicht und damit ein Werkmangel im Rechtssinne ist. Er muss also im Streitfall beispielsweise auch behaupten und beweisen, dass der Mangel bereits im Zeitpunkt der Ablieferung des Werkes bestand, und nicht erst später durch normale Abnutzung, unsachgemässen Gebrauch, unterlassene Wartung oder Beschädigung durch Dritte entstanden ist.

Soweit so gut. Die SIA-Norm 118 hat diese Definition des Mangels in ihrem Art. 166 übernommen. Sie statuiert aber in Art. 174 Abs. 3 SIA-Norm 118 eine Beweislastumkehr, indem sie dort Folgendes bestimmt: «Wird streitig, ob ein behaupteter Mangel wirklich eine Vertragsabweichung darstellt und daher ein Mangel im Sinne dieser Norm ist, so liegt die Beweislast beim Unternehmer».

DIESE BEWEISLASTUMKEHR GILT ABER NICHT UNEINGESCHRÄNKT: Erstens gilt sie logischerweise nur dann, wenn die SIA-Norm 118 von den Parteien überhaupt vertraglich für anwendbar erklärt wurde. Zweitens gilt sie nur für Mängel, welche innerhalb der zweijährigen Rügefrist gemäss Art. 172 SIA-Norm 118 gerügt werden (und nicht für verdeckte Mängel, welche erst nach Ablauf dieser Rügefrist gerügt werden). Und drittens wird vorausgesetzt, dass der Mangel nicht nach Massgabe von Art. 163 SIA-Norm 118 als genehmigt gilt.

Und was sind die Folgen dieser Beweislastumkehr? DER BESTELLER TRÄGT NACH WIE VOR DIE BEWEISLAST FÜR DIE BESCHAFFENHEIT DES WERKS, WELCHE ER FÜR MANGELHAFT HÄLT, also dass z.B. das Dacht nicht dicht ist. Der Unternehmer ist nur (aber immerhin) dafür beweisbelastet, dass es sich bei diesem Zustand nicht um eine Vertragsabweichung handelt, wenn er dies bestreitet, indem er beispielsweise behauptet, es handele sich um normale Abnutzung oder eine nachträgliche Beschädigung durch einen Nebenunternehmer.

Mit anderen Worten: Auch im Falle der Beweislastumkehr nach Art. 174 Abs. 3 SIA-Norm 118 genügt es nicht, wenn der Besteller bloss behauptet, das Dach sei undicht, wenn ein Wassereintritt in das Gebäude festgestellt werden konnte. Die Beweislastumkehr bezüglich der Frage der Vertragsabweichung zulasten des Unternehmers greift erst, wenn die Undichtigkeit des Daches rechtsgenüglich dargelegt und bewiesen ist.

Umgekehrt ändert die Beweislastumkehr nach Art. 174 Abs. 3 SIA-Norm 118 nichts am Grundsatz, dass die Beweislast für ein allfälliges Selbstverschulden des Bestellers oder seiner Hilfspersonen (wie z.B. ein Planungsfehler), das nach Art. 166 Abs. 4 SIA-Norm und Art. 369 OR eine Haftung des Unternehmers ausschliessen würde, beim Unternehmer liegt (der dafür überdies auch seinen ihn gegebenenfalls treffenden Anzeige- und Abmahnungspflichten nachgekommen sein muss).

Michael Wolff, 14.05.2024

Claudio Bernhardt

Geschäftsführer SolarNext GmbH / Dipl. Ing. / NIV14 / Dachdecker / Ex-Sika

7 Monate
Manuel Roth

Ihr Spezialist für die verputzte Aussenwärmedämmung, Spezial Struckturverputze, Qualitätssicherung am Bau, Bauschäden verhindern, Lösungen im Schadenfall

7 Monate

Auf den Punkt gebracht Michi👍

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