Was macht ein Land attraktiv?
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Was macht ein Land attraktiv?

Aufgrund der neuen OECD Studie zur Attraktivität von Ländern für ausländische Fachkräfte, musste ich heute an meinen Anfängen in Deutschland denken..

Seit ca. 30 Jahren wohne ich in Deutschland. Schweden war damals nicht in der EU, und so stand ich in der Ausländerbehörde und musste um mein Aufenthaltserlaubnis bangen. Ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeitserlaubnis und vice versa. Es galt zu beweisen, dass ich nicht den Job von einem deutschen Arbeitnehmer wegnehme. So hätte ich z.B. in der Gastronomie keine Arbeitserlaubnis als Empfangssekretärin in einem Hotel bekommen, wohl aber als Putzkraft… Logik dahinter?

Zum Glück hatte ich mein Traumjob bei der IT-Firma SAP gefunden, die gerade anfing, international stark zu wachsen, und meine schwedischen Sprachkenntnisse gebraucht hat. (SAP hatte damals 750 Mitarbeiter in Deutschland, 1500 weltweit.) Die Bürokratie war also Formsache. Meine Deutschkenntnisse waren gut – nicht so gut wie heute – aber dennoch sagte die Frau am Telefon, als ich mich nach der zu vermietenden Wohnung erkundigt habe „wir vermieten nicht an Ausländer“ und hat dann aufgelegt.

Ich habe mich von Anfang an bei meinem Arbeitgeber gut aufgehoben und ernst genommen gefühlt, aber mit der deutschen Gesellschaft habe ich lange gefremdelt. Man sieht es mir nicht an, dass ich Ausländerin bin, es waren eher die allgemeinen Bedingungen und Einstellungen, mit denen ich gehadert habe:

  • Die Lebensmittelgeschäfte hatten bis 18:30 Uhr auf und mein Kühlschrank war unter der Woche meistens leer (keine Hausfrau weit und breit, die mich unterstützt hätte 😉…).
  • Sexistiche und für meine schwedischen Augen sehr altmodische Werbung und Comedy im Fernsehen („Ich als Zahnarztfrau“…).
  • Als ich 1997 das erste Mal Mutter wurde, ist mir schlagartig klar geworden, dass es in Deutschland mit der Gleichberechtigung nicht besonders gut bestellt war.

Es hat sich in den 30 Jahren zum Glück vieles getan und Deutschland ist in der Zeit moderner geworden. Wir sehen aber in der aktuellen OECD-Studie, dass Deutschland sich noch weiter bewegen muss, um noch mehr qualifizierte Fachkräfte ins Land zu locken (Platz 12 im Ranking). 

Hier ein paar Punkte und Vorschläge, die m.E. noch verbessert werden sollten. Es ist die Sicht einer Skandinavierin und andere mögen es anders sehen. Sie sind meine persönlichen Favoriten, mein Beitrag zur Diskussion:

1.      Sprachkenntnisse: Ja, richtig, die Fachkräfte müssen in den allermeisten Fällen Deutsch sprechen können. Aber auch die hiesige Bevölkerung würde es einfacher haben, wenn sie Englisch und gerne auch andere Sprachen besser beherrschen würden. Dann würde z.B. die Kommunikation in der Übergangszeit, in der eine ausländische Fachkraft die Deutsche Sprache noch nicht so gut beherrscht, besser klappen. Stichwort -> Aufeinander zugehen. Und -> Nicht nur Akademiker brauchen Sprachkenntnisse, sondern alle Menschen im Land.

Vorschlag: Ausländische Filme/TV-Serien im Original mit Untertiteln senden. Auch Interviews mit Politikern, Sportlern und andere Prominente im Fernsehen nicht synchronisieren, sondern mit Untertiteln versehen. So bleibt das Schulenglisch, -Französisch usw besser erhalten und kann im Alltag beim TV gucken noch gestärkt werden. Wenn wir Fremdsprachen tagtäglich hören, wirken sie nicht mehr so fremd. Ausserdem -> Ausländer, die deutsche Untertiteln lesen, lernen Rechtschreibung und verbessern ihr Vokabular!

2.      Schulsystem: Es ist schwer zu vermitteln, warum jedes Bundesland ein eigenes Schulsystem hat. Es ist ein Flickenteppich, für ausländische Fachkräfte/Familien noch schwerer zu verstehen und damit zurecht zu kommen (ich spreche aus eigener Erfahrung als Mutter von 3 Kindern). Wenn wir von Berufstätigen Flexibilität fordern (gilt ja nicht nur für ausländische Fachkräfte), muss das Schulsystem so aussehen, dass es möglich ist, mit der Familie in einem anderen Bundesland umzuziehen, ohne das die Kinder die Klasse wiederholen müssen, von G8 auf G9 oder umgekehrt wechseln, ein Jahr Latein in den Sommerferien nachholen usw usw.

Vorschlag: Ein Schulreform, der sein Name verdient hat! Bayern-Abitur hin oder her; es kann nicht sein, dass die Länder über ihre Standards streiten, und dabei Familien und Kinder die Leidtragenden sind. Und -> Eine Ganztagessschule für alle würde es für Frauen und Männern aus allen Schichten erleichtern, mehr zu arbeiten. Gerade wenn Deutschland nicht nur an männliche, sondern auch an weibliche Fachkräfte aus dem Ausland interessiert ist, würde eine gute Ganztagsschule die Attraktivität von Deutschland im internationalen Vergleich erhöhen.

Dazu gehört auch:

3.      Ehegattensplitting ade! Mit dem Ehegattensplitting wird ein überholtes Ehemodell gefördert, nicht aber eine Familie mit Kindern. Auch Alleinerziehende werden dadurch benachteiligt. Das können vielleicht Menschen, die in Deutschland sozialisiert sind, akzeptieren (auch nicht mehr alle) aber ausländische Fachkräfte, gerade aus anderen europäischen Ländern, ist es schwer zu vermitteln. Wenn eine Fachkraft mit Familie nach Deutschland kommt, wäre der Effekt noch besser, wenn auch der Partner/die Partnerin arbeiten würde. Dies ist aber auf Grund des Ehegattensplittings nicht sehr attraktiv. 

4.      Weniger Bürokratie: Deutschland hat sich auf demWeg der Digitalisierung gemacht. Gut so! Ohne zu zögern einfach stetig auf diesem Weg bleiben und immer schneller und effizienter werden. Dann können nach und nach noch schneller und noch mehr ausländische Fachkräfte ins Land kommen. Und wir, die schon im Land sind, haben auch etwas davon!

Deutschland ist mittlerweile meine Heimat geworden, ich fühle mich hier wohl, und habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Wie es aussieht, bleibe ich hier. Ich drücke die Daumen für eine gute Entwicklung in Deutschland und trage mit meiner Arbeit als Diversity Beraterin ein Teil dazu bei, dass ausländische und deutsche Fachkräfte gut und gerne zusammenarbeiten und Deutschland in internationalen Wettbewerb erfolgreich bleibt.

In welchem Land würden Sie denn gerne leben und arbeiten? Warum? Denken Sie darüber nach und versuchen Sie, hierzulande diese Bedingungen zu schaffen!

 

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