Sichere Stromversorgung in den 2030ern: Investitionen dringend notwendig!

Sichere Stromversorgung in den 2030ern: Investitionen dringend notwendig!

Ein Rahmen für Investitionen in gesicherte Leistung war nie so dringlich wie jetzt. Auf nationaler Ebene liegen die Eckpunkte für ein Kraftwerkssicherheitsgesetz vor und die Einführung eines Kapazitätsmarktes ist angekündigt. Auf europäischer Ebene soll die Einführung von Kapazitätsmechanismen erleichtert werden.

Deutschlands Energieversorgung steht vor einer großen Transformation. Durch den Hochlauf der Elektrifizierung anderer Sektoren steigt der Strombedarf enorm. Liegt der für 2030 geschätzte Bruttostrombedarf noch bei 517 Terrawattstunden (TWh), steigt dieser je nach Szenario des Netzentwicklungsplans (NEP) 2037/2045 auf 1.079 bis 1.303 TWh im Jahr 2045. Und das erfordert Investitionen in entsprechende Kapazitäten. Ein Teil davon ist bereits auf einem guten Weg: Gerade bei Solarenergie ist in den letzten Jahren ein enormer Zubau erfolgt. Seit 2018 sind hier 42 Gigawatt (GW) installierte Leistung hinzugekommen, das entspricht fast einer Verdoppelung der bestehenden Kapazitäten. Doch neben den erneuerbaren Energien braucht es auch gesicherte Leistung, die dann Strom liefert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. (1)

Und hier kündigt sich ein rasanter Rückbau in Deutschland an. Denn aufgrund steigender CO2 -Preise und ambitionierterer Klimaziele zeichnet sich ein marktgetriebener Kohleausstieg vor 2030 ab. Und dieser Wandel trifft Deutschland stärker als andere Länder in der Europäischen Union. Denn der hiesige Energiemix basiert stärker auf Kohleenergie als der europäische Gesamtdurchschnitt. Mit rund 15 GW verfügt Deutschland über 35 Prozent der europäischen installierten Leistung bei Braunkohle. Bei Steinkohle sind es mit 17,5 GW etwa 32 Prozent. Deutschland ist zwar Spitzenreiter bei Wind- und Photovoltaik(PV)-Kapazitäten, aber ebenso gibt es kein Land in Europa, in dem noch annähernd so viele Kohlekraftwerke am Netz sind wie bei uns. Und diese Leistung wird bald vom Netz gehen. Der Ausstieg aus Kernenergie und Kohle ist längst beschlossen und die Umsetzung spürbar.

Nun gilt es, bei der Schaffung der Rahmenbedingungen für neue gesicherte Leistung an netzdienlicher Stelle besser heute als morgen vom Reden zum Handeln zu kommen.

Es wird zu wenig in neue wasserstofffähige Kraftwerke investiert. Die Investitionen rechnen sich nicht oder sind zu risikobehaftet. Die Bundesregierung hat sich auf die Kraftwerksstrategie geeinigt, die in einem Kraftwerkssicherheitsgesetz umgesetzt werden soll. Sie ist als schnelles Absicherungsinstrument für den Kohleausstieg gedacht, um ohne allzu große Änderungen des Marktdesigns neue Kapazitäten zu schaffen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung Arbeiten an einem Kapazitätsmechanismus angekündigt. Dieser soll ab 2028 implementiert sein und die Zeit über 2030 hinaus im Blick haben. Auch hier ist Eile gefragt.

Bestandsaufnahme: Warum braucht Deutschland schnell die Kraftwerksstrategie und daran anschließend einen Kapazitätsmarkt?

Deutschland setzt bislang auf einen Energy-Only-Market. Hier erzielen Stromerzeuger ihre Einnahmen ausschließlich durch den Verkauf von Elektrizität auf dem Markt. Dies bedeutet, dass die Erzeugungskapazitäten durch den zu erzielenden Preis am Strommarkt und nicht durch direkte Kapazitätsvergütung gesteuert werden. Der Marktpreis bestimmt sich nach der Merit-Order-Liste. Anlagen, die günstig Strom produzieren, kommen als Erstes zum Zuge. Das sind in der Regel die Anlagen für erneuerbare Energien, da keine Brennstoffkosten anfallen. Gaskraftwerke werden seltener eingesetzt. Sie haben aufgrund des teuren Brennstoffs hohe Grenzkosten und kommen markgetrieben vor allem dann zum Zuge, wenn der Stromverbrauch witterungsbedingt nicht durch Erneuerbare abgedeckt werden kann.

Neben dem Energy-Only-Market hat Deutschland verschiedene Reserven eingeführt. Die Kapazitätsreserve wird dann genutzt, wenn die Nachfrage nach Strom nicht mehr marktlich gedeckt werden kann. Die Netzreserve kommt dagegen bei Engpässen oder zur Spannungshaltung zum Zuge, also etwa dann, wenn zwar Strom im Markt verfügbar wäre, er aber aufgrund von Netzengpässen nicht zu Verbrauchenden transportiert werden kann. Netzreserve und Kapazitätsreserve basieren auf Bestandskraftwerken.

Insbesondere bei der Netzreserve sind diese meist sehr alt und damit störungsanfällig. Zudem wird es für die Betreiber zunehmend schwer, ausreichend Personal für den Betrieb zu gewinnen und auszubilden. Die Anlagen der Netz- und Kapazitätsreserve haben ein Durchschnittsalter von 33 Jahren. Das älteste Kraftwerk, Walheim Block 1, liegt in Baden-Württemberg und wurde vor rund 60 Jahren in Betrieb genommen. (2) Die übliche technische Lebensdauer eines Kohlekraftwerks beläuft sich auf 35 Jahre. (3)

Reserven in Deutschland im Überblick


ENTSO-E-Bericht zeigt Handlungsbedarf im Kontext Versorgungssicherheit auf

Den Handlungsbedarf zeigt auch das jüngst von ACER bestätigte European Resource Adequacy Assessment (ERAA-2023-Bericht) von ENTSO-E: Die Studie untersucht die europäische Versorgungssicherheit, also wo und in welchen Situationen in den nächsten drei bis zehn Jahren die Stromnachfrage durch Marktkraftwerke nicht gedeckt werden kann (so genannte Lastunterdeckung). Simuliert wird auch das Investorenverhalten. Wenn es sich rentiert, neue Kraftwerke zu bauen, wird dies berücksichtigt. Die Ergebnisse zeigen für Deutschland eine steigende Häufigkeit an marktlicher Lastunterdeckung, wodurch die deutsche Versorgungssicherheit in allen Szenarien ab 2028 nicht mehr eingehalten werden kann. Mit rund 23 Stunden Lastunterdeckung im Jahr 2033 belegt Deutschland im europäischen Vergleich einen der letzten Plätze im Kontext Versorgungssicherheit. Der ERAA-Bericht unterstreicht damit, dass der Bedarf für einen weiteren Kraftwerkszubau gegeben ist und dieser allein marktlich nicht erfolgt. (4)

Im Gegensatz dazu sieht das Versorgungssicherheitsmonitoring der Bundesnetzagentur (BNetzA) keine akuten Risiken für die Versorgungssicherheit und ist zuversichtlich, dass der notwendige Zubau von 17 bis 21 GW bis 2030/2031 gelingt.

Zur Einordnung: Heute beträgt die installierte Leistung von Kraftwerken im Strommarkt etwa 69 GW. Davon fallen 36 GW auf Gaskraftwerke sowie rund 33 GW auf Stein- und Braunkohlekraftwerke. Insgesamt sollte laut den Langfristanalysen der vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) eine gesicherte Leistung von rund 80 GW im Jahr 2030 im System verfügbar sein. Wenn man bedenkt, dass die Kohlekraftwerke sukzessive aus dem Markt gehen und der Neubau eines wasserstofffähigen Gaskraftwerks mit Planungs- und Genehmigungsphase schnell mehr als sechs Jahre in Anspruch nimmt, zeigt dies den politischen Handlungsbedarf.

Die Kraftwerksstrategie: Es ist nicht egal, wo die Kraftwerke entstehen

Die Kraftwerksstrategie plant Ausschreibungen im Umfang von 5 GW für H2 -ready-Kraftwerke, 2 GW für umfassende Modernisierungen und 500 Megawatt für reine Wasserstoffkraftwerke. Zudem sollen 5 GW neue Gaskraftwerke ausgeschrieben werden. Das reicht nicht aus, um den gesamten Neubau-Bedarf zu decken. Besonders im Süden und Westen Deutschlands besteht ein hoher Bedarf an Kraftwerken, die neben einem Beitrag zur Versorgungssicherheit das Netz stabil halten und Engpässe vermeiden.

Eine Studie von Enervis für TransnetBW zeigt, dass ein „Neubau-Vorschuss“ in Kombination mit der Kraftwerksstrategie effiziente Anreize für den Bau neuer Kraftwerke an den benötigten Standorten schafft. Durch vorab garantierte jährliche Vergütungen für die Netzdienlichkeit der Kraftwerke wird die Planbarkeit vereinfacht, was bessere Investitionsbedingungen an systemdienlichen Orten schafft und somit zum Zubau an den richtigen Stellen führt. Der Clou: Gleichzeitig wird der Bundeshaushalt um mehr als 1 Mrd. € entlastet.

Und nicht nur bei der Kraftwerksstrategie ist entscheidend, wo die Kraftwerke entstehen. Das gilt auch für den Kapazitätsmechanismus, der jetzt entwickelt werden muss, um die Stromversorgung nach 2030 abzusichern.

Deutsche Kraftwerke im Überblick


Was ist ein Kapazitätsmarkt?

Ein Kapazitätsmarkt ist ein Markt, bei dem die Vorhaltung von gesicherter Kapazität vergütet wird – unabhängig davon, ob diese tatsächlich abgerufen wird. Er ist technologieneutral unter Beachtung von maximalen CO2 -Limits pro kWh. Das heißt, sowohl Erzeuger, Speicher und Lasten können teilnehmen. Ziel ist, zur Refinanzierung der Investitionskosten (CAPEX) beizutragen und damit einen zusätzlichen Anreiz dafür zu schaffen, dass neue Kapazitäten entstehen oder Bestandskraftwerke, die den Kriterien entsprechen, erhalten bleiben. Investoren und Kraftwerksbetreiber haben damit zwei mögliche Erlösströme: Einerseits über den Stromverkauf auf dem Energy-Only-Market, andererseits über die Bereitstellung von Kapazitäten auf dem Kapazitätsmarkt nach erfolgreicher Teilnahme an marktlich organisierten Ausschreibungen. Um Wettbewerbsverzerrungen im EU-Binnenmarkt zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, ist eine grenzüberschreitende Öffnung vom europäischen Gesetzgeber zwingend vorgeschrieben.

Warum nicht von anderen lernen? Der belgische Kapazitätsmarkt als Vorbild

Eine Studie von Consentec und Ecologic im Auftrag der deutschen ÜNB (2024) betont die Notwendigkeit der Einführung eines zentralen Kapazitätsmarkts mit lokaler Komponente. Die Studie übernimmt Anleihen aus dem belgischen Kapazitätsmarkt, der zeigt, wie ein zentralisiertes System effektiv zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit beitragen kann. Der belgische Kapazitätsmarkt wurde gemäß der Europäischen Elektrizitätsbinnenmarktverordnung, VO [EU] 2019/943, der Europäischen Kommission umgesetzt und stellt damit eine gute Ausgangsbasis für eine schnelle genehmigungsfähige Ausarbeitung eines zentralen Kapazitätsmarktes in Deutschland dar. Eine Besonderheit des in dieser Studie beschriebenen Kapazitätsmarktes ist die Einführung einer lokalen Komponente. Aus Sicht der vier ÜNB ist sie eine wesentliche Voraussetzung für ein effizientes Zusammenspiel des Übertragungsnetzes mit flexiblen Erzeugungs- und Verbrauchseinrichtungen, denn sie ermöglicht es, Synergien – insbesondere bei der Erbringung von Systemdienstleistungen – zu heben.

Dezentraler Kapazitätsmarkt als Alternative? Erfahrungen aus Frankreich

Im Gegensatz dazu stand Frankreich lange Zeit für einen dezentral organisierten Kapazitätsmarkt. Doch hier gibt es eine Reform weg vom dezentralen Modell, um die Effizienz und die Steuerungsmöglichkeiten zu erhöhen. Diese Umstrukturierung zeigt, dass selbst bestehende Systeme immer wieder angepasst werden müssen, um den wachsenden Anforderungen einer sich wandelnden Energielandschaft gerecht zu werden.

Reformen auf europäischer Ebene schaffen Fundament für nachhaltige Einführung von Kapazitätsmechanismen

Die EU hat letztes Jahr Reformen des Strommarktes vorgeschlagen, um stabile Energiepreise und eine geringere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu schaffen. Diese Maßnahmen bieten langfristige Stabilität für Verbraucher und Investoren. Kapazitätsmechanismen, die bisher befristet waren, werden zum festen Bestandteil des Strommarktes. Der vorläufige Charakter wurde nun bewusst im Rahmen der aktuellen Strommarktreform gestrichen und es ist vorgesehen, dass die EU-Kommission Vorschläge zur Vereinfachung des Verfahrens zur Bewertung von Kapazitätsmechanismen machen wird. Die Reform gilt als Reaktion auf die hohen und schwankenden Energiepreise des Jahres 2022 und wurde am 14. März 2023 vorgelegt. Das Reformpaket umfasst unter anderem die Verordnung und Richtlinie zur Gestaltung der Elektrizitätsmärkte sowie die Verordnung zum Schutz vor Marktmanipulation auf dem Energiegroßhandelsmarkt (REMIT). (5)

Ausblick

Die bevorstehenden Herausforderungen im Energiesektor, insbesondere der erwartete Kohleausstieg und der steigende Stromverbrauch durch die fortschreitende Elektrifizierung, erfordern eine schnelle Umsetzung der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Parallel sollte an den Rahmenbedingungen für einen Kapazitätsmarkt als Anschluss- und Ergänzungslösung zugearbeitet werden, um auch zukünftig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Quellen

(1) Energycharts

(2) Bundesnetzagentur - Kraftwerksliste

(3) Lebenszyklusanalyse ausgewählter Stromerzeugungstechniken, Universität Stuttgart

(4) ENTSO-E – ERAA 2023 (entsoe.eu)

(5) Regulation - EU - 2024/1747 - EN - EUR-Lex (europa.eu)

Clemens Jungkunz

focus on future in Advanced Control & Automation@ACA Engineering GmbH, Senior Principal Expert & Enabler

4 Monate

Bedarfsverdreifachung zwischen 2025 und 2045 : ja! Mindestens! Man sollte mal alleine auf die Wintermonate (Mi Nov bis Mi Feb) blicken dediziert. Dann wird der Faktor sicherlich (wg. Wärmepumpen, eAutos etc.) signifikant höher ausfallen.

Bernd Vermeer

Projektierung / Kalkulation Notstromsysteme bei ENGIE Deutschland - Klimaneutralität durch kundenspezifische, angepasste und effiziente Notstromversorgungssysteme

4 Monate

Da bleibt mir nur der TransnetBW zu wünschen, dass die Baugenehmigungen zügig und pünktlich erteilt werden. Andernfalls stehen hoffentlich auch mal diejenigen die Verzögerungen bringen eine Weile im Dunkeln oder müssen draußen am Holzfeuer kochen.

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von TransnetBW GmbH

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen